Die These vom allgemeinen Dialektschwund konnte von Wissenschaftern nicht bestätigt werden: In mancher Gruppe werde Dialekt sogar als Gruppenmerkmal gepflegt.

Foto: Regine Hendrich

Graz - "Woasch eh, der hot voll a zache Fressen!" Dass dieses Zitat einem wissenschaftlichen Gesprächskorpus und nicht einem Polizeiverhör zur Aufklärung einer Schlägerei entnommen ist, mag überraschen. Tatsächlich entstammt der Satz einem Gespräch zwischen jungen Leuten in einem Innsbrucker Jugendzentrum, das der Germanist Arne Ziegler und sein Team für ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Forschungsprojekt zum Thema "Jugendsprache(n) in Österreich" mitgeschnitten haben.

Dabei geht es den Forschern weniger um die gerade angesagten Begriffe in der Kommunikation zwischen Jugendlichen als um Veränderungen in der sprachlichen Tiefenstruktur, also der Grammatik. Was am Eingangszitat interessiert, ist also nicht so sehr die Verwendung des Adjektivs "zach" für "hässlich", sondern die markante Wortstellung in diesem Satz: "Die sogenannte externe Intensivierung der Nominalphrase – 'voll eine hässliche Fresse' statt 'eine voll hässliche Fresse' – kommt in der Erwachsenensprache so gut wie nicht vor", sagt Projektmitarbeiterin Melanie Lenzhofer.

Um sicherzugehen, dass es sich bei den ermittelten Besonderheiten wirklich um jugendspezifische Formen handelt, haben die Forscher jedem aufgezeichneten Gespräch unter Jugendlichen zum Vergleich eines unter Erwachsenen aus der gleichen Region zur Seite gestellt. Außerdem kommen die Wortspender aus sämtlichen Landeshauptstädten sowie den jeweiligen ländlichen Regionen, damit auch eventuelle Stadt-Land-Unterschiede erfasst werden können.

"Wir haben bisher relativ große Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Jugendjargons beobachtet", sagt Lenzhofer. So scheinen Jugendliche in größeren Städten beispielsweise das Präteritum deutlich häufiger als Gleichaltrige auf dem Land zu verwenden, berichtet die Germanistin. Warum sich diese im gesprochenen Österreichisch unübliche Zeitform ("ich sah" statt "ich habe gesehen") gerade bei der städtischen Jugend immer mehr durchsetzt, ist noch ungeklärt. "In Deutschland synchronisierte oder produzierte Fernsehserien, in denen das Präteritum häufig vorkommt, werden ja auch von den Jugendlichen in ländlichen Regionen konsumiert", wundert sich Lenzhofer. "Aber möglicherweise ist dort der Einfluss des Dialekts noch stärker."

Ausgeprägter Dialekt

Die häufig vorgebrachte These vom allgemeinen Dialektschwund bei jungen Menschen können die Forscher jedenfalls nicht bestätigen. Mitunter zeige sich sogar ein gegenteiliges Bild: "In bestimmten Cliquen wird bewusst ein ausgeprägter Dialekt als Gruppenmerkmal gepflegt", sagt die Germanistin. Aber ist es neben der regionalen Herkunft nicht auch eine Frage von sozialem Hintergrund und Bildungsstand, wie Jugendliche sprechen? "Wir gehen nicht davon aus, dass es nur eine Jugendsprache gibt", betont Lenzhofer. "Da die einzelnen Jugendgruppen sehr heterogen sind, gibt es selbstverständlich auch viele unterschiedliche Jugendsprachen."

Aus diesem Grund haben die Forscher von allen Jugendlichen, die an ihrem Projekt teilnahmen, auch Metadaten wie den eigenen und den elterlichen Bildungshintergrund und Ähnliches erhoben. "Damit können wir gegebenenfalls erkennen, welche sozialen Faktoren bestimmte sprachliche Formen motivieren", erklärt Projektleiter Arne Ziegler. Die entsprechenden Ergebnisse liegen allerdings noch nicht vor, zurzeit ist man noch mit der äußerst aufwändigen Transkriptionsarbeit beschäftigt.

An die eineinhalb Stunden dauert es, bis eine einzige Minute Aufnahmematerial exakt in schriftliche Form übertragen ist. Immerhin sprechen bis zu fünf Leute oft gleichzeitig über mehrere Themen. Überlappungen transkribieren die Forscher genauestens untereinander in Partiturschreibweise.

Während hier also akribische Detailarbeit gefordert ist, lässt sich im untersuchten Sprachmaterial selbst eine gewisse Neigung zur verbalen Aufwandsminimierung feststellen. Die Germanisten sprechen von "syntaktischer Verkürzung", die sich etwa durch das Einsparen von Artikeln ("Hast du Prüfung gehabt?" statt "Hast du eine/die Prüfung gehabt?") oder im Wegfallen von Präpositionen äußert ("I will nit immer Juze gammeln" statt "Ich will nicht immer im Jugendzentrum herumhängen").

Präpositionsvermeidung komme zwar auch bei Erwachsenen vor, sagt Lenzhofer, "aber bei den Jugendlichen zeichnet sich eine höhere Frequenz ab". Gelegentlich werden Präpositionen auch durch regionalsprachlich geprägte Vorwörter ersetzt: "Gehst du morgen am Eisring?" statt "Gehst du morgen zum/auf den Eisring?". Auch bei der Ankündigung einer direkten Rede übt sich die Jugend gerne in Wortsparsamkeit: So heißt es häufig statt "ich habe gesagt", "dann hat er gesagt" schlicht "ich so", "er so" . Geht ja auch und macht weniger Arbeit.

Syntaktische Reduktion

Dass der syntaktischen Reduktion durch Smartphone und Co zugearbeitet wird, liegt auf der Hand. Wer schreibt in einer E-Mail oder SMS heute noch "hahaha", wenn auch mit effizienten drei Buchstaben (höhnisch) gelacht werden kann? "LOL" heißt das halbwegs aktuelle Wort dafür, das längst auch die gesprochene Jugendsprache in Stadt und Land bereichert.

Immerhin ist es eine Frage der Lebenskunst, wie viel Zeit man mit dem Formulieren langatmiger Phrasen und Satzkonstruktionen verbringt. Eine Überlegung, die auch dem emphatischen Ausruf "YOLO" (You only live once) zugrunde liegen mag, der einigen der untersuchten Gespräche oft völlig unvermittelt philosophische Würze verleiht. Und auch wenn ein knappes "OMG!" die zu transportierenden Emotionen vielleicht nicht ganz so gut auszudrücken vermag wie die altmodische Langform ("Oh mein Gott!") – ein Bekenntnis zur sprachlichen Sparsamkeit ist es allemal.

In das bekannte Lamento, wonach unser schönes Deutsch im jugendlichen Mund verstümmelt werde, möchten die Grazer Forscher dezidiert nicht einstimmen. "Wir wollen empirisch abgesicherte Erkenntnisse gewinnen, die künftig auch in den Sprachunterricht für Deutschlernende einfließen sollen", verweist Arne Ziegler auf das didaktische Ziel des Projekts. "Immerhin sind die verschiedenen Jugendsprachen Teil der österreichischen Sprachrealität, die es zu entschlüsseln gilt." (Doris Griesser, DER STANDARD, 19.11.2014)