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Überwachungskameras werden eher akzeptiert als Datenhandel.

Foto: APA/dpa/Marc Tirl

Wien - "Durch Überwachungstechnologien werden fundamentale Bürgerrechte gebrochen", fand der EU-Ethikexperte Julian Kinderlerer klare Worte. Anlass war eine internationale Konferenz zu Sicherheit und Überwachung in Wien, bei der vergangene Woche gleich drei groß angelegte Studien vorgestellt wurden. Allen ist gemeinsam, dass sie im Auftrag der EU-Kommission versuchten herauszufinden, was die Europäer von NSA, Drohnen und anderen Technologien zur Datensammlung im Dienste der Sicherheit halten.

Für Kinderlerer, Präsident der European Group on Ethics in Science and New Technologies, steht fest: "Der Staat ist nicht nur dafür verantwortlich, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen, er muss auch ihre Rechte schützen." Es müssten Wege gefunden werden, um hier eine Balance herzustellen - auch wenn der Staat in individuelle Rechte eingreifen müsse, wenn es darum geht, Bürger vor Terrororganisationen wie dem "Islamischen Staat" zu schützen.

Die Bürger selbst reagieren unterschiedlich auf verschiedene Sicherheitstechnologien, wie Michael Friedewald vom deutschen Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) zeigte. Das Projekt, das ausgerechnet den Namen "Prisms" trägt, wurde wie die anderen gestartet, bevor die Snowden-Enthüllungen zur NSA ins Rollen kamen - durch die auch das britische Überwachungsprogramm Prism bekannt wurde.

Datenhandel inakzeptabel

Die Befragung von rund 27.000 Menschen aus 27 EU-Mitgliedsstaaten (ohne Kroatien) untersuchte, wie bestimmte Szenarien und ihre Auswirkungen auf Sicherheit und Privatsphäre eingeschätzt wurden. Wenn etwa bei einem Fußballmatch sämtliche Überwachungstechnologien zum Einsatz kommen - von Video- und Telefonüberwachung über Drohnen bis hin zu Recherchen in sozialen Netzwerken -, ist das für 70 Prozent der Europäer in Ordnung.

Am anderen Ende der Skala steht eine weitaus subtilere Praktik: der Handel mit Daten zu Marketing- und Profiling-Zwecken. Dem stimmen gerade einmal acht Prozent zu - noch weit weniger als der Überwachung durch fremde Institutionen wie der NSA. Das finden immerhin noch 28 Prozent der Befragten akzeptabel. Gespalten zeigen sich die Europäer, was DNA-Datenbanken, Smartmeter und biometrische Zugangskontrollen betrifft.

"Konkrete Maßnahmen wie die Kennzeichenerkennung, um Raser im Wohngebiet zu erwischen, werden viel eher angenommen als abstrakte", sagte Friedewald. Außerdem stellten die Forscher nationale Unterschiede fest, was die Akzeptanz von Überwachungstechnologien betrifft: Während sich die Befragten in skandinavischen Ländern offener zeigten, waren die Niederländer, Deutschen, Österreicher und Griechen weitaus skeptischer. "Dabei ist Vertrauen gegenüber dem Staat zentral", sagte Friedewald. "In den letzten Jahren haben die Bürger erlebt, dass die Regierungen das Problem kleinreden. Damit haben sie massiv Vertrauen verloren."

Zustimmung unter Voraussetzungen

Bürger seien bereit, Eingriffe in die Privatsphäre zu akzeptieren, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen und unter strenger Kontrolle. Das ergab das Projekt "Surprise", das Bürgerforen mit jeweils etwa 200 Menschen in neun europäischen Ländern durchführte. Aus den Debatten ging hervor, dass "die Technologien effizient sein und nur unbedingt notwendige Daten gezielt und kurzfristig sammeln sollen", wie Surprise-Koordinator Johann Cas vom Institut für Technikfolgenabschätzung der Akademie der Wissenschaften berichtete.

"Zwei Drittel der Befragten wollen, dass nicht-technologische Überwachungsmittel eine größere Rolle spielen." Zusätzlich sprachen sich die Bürger für eine intensivere Bekämpfung der langfristigen Ursachen von sozialen Konflikten und politischer Radikalisierung aus - etwa der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit. "Die Skepsis ist gegenüber zukünftigen Technologien und Anwendungen noch viel größer als gegenüber heutigen", fügte Cas hinzu. "Es gibt ein großes Bedürfnis nach effektiver Regulierung durch den Staat. Der bestehende Datenschutz wird wie der Wilde Westen wahrgenommen, wo alles passieren kann."

Die mehr als 300 Empfehlungen, die bei den Bürgerforen gesammelt wurden, sollen nun in konkrete Entscheidungshilfen für die Politik münden - so wie auch die Ergebnisse der anderen Studien. Einig sind sich die Forscher, dass die Bürger mehr eingebunden werden müssen - was auch die Suche nach vertrauenswürdigeren Sicherheitstechnologien beinhalten müsse. (kri, DER STANDARD, 19.11.2014)