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Der deutsche Rap- und Pop-Superstar Cro begeisterte in der Wiener Stadthalle (hier bei seinem Konzert in der Vorwoche in Mannheim).

Foto: Apa/Ronald Wittek

Eigentlich war früher Sido der Mann mit der Maske im deutschen Rap. Das aber ist gefühlte hundert Jahre her. Der Mann ist längst Thirtysomething, also gewaltig alt – und die Kinder kennen ihn eigentlich nur noch als ehemaliges Ekel aus der ORF-Castingshow "Die große Chance". Möglicherweise hat sich Sido auch nicht gehalten, weil er zwar starke Gefühle freisetzte, aber ziemlich sicher die falschen. Wenn man zu Hause wohnt und die Pubertät noch vor sich hat, hört man nicht gern Musik, in der es um Nutten, von der Natur nicht dezidiert vorgesehene, aber tolerierte Sexualpraktiken und dauernd eine auf die Fresse geht.

Der einzige positive Zugang, den Sido zum Leben fand, das der Zielgruppe des deutschen Rap ja noch bevorsteht, war jener zu Drogen. Damit kann man zwar bei seinen Kumpels auf der Toller-Hecht-Skala punkten, die Herzen der großen und kleineren Kinder fliegen einem aber nicht gerade zu. Die folgende Läuterung, Maskenablegung und Raps über seine geliebte Mutter dürfen als letzte Karrierefehlentscheidung betrachtet werden. Die Fanbase wohnt zwar noch zu Hause, aber übertreiben muss man es mit dem gereimten und geschüttelten Lob aufs Hotel Mama auch nicht.

Cro alias Carlo Waibel ist zehn Jahre jünger und trägt statt Totenkopfmaske in Billigmetall die Faschingsmaske eines Pandabären. Er kommt auch nicht aus einem sozialen Brennpunkt im Osten Berlins, sondern aus dem Schwabenland und lebt heute in Stuttgart. Dort besitzt man zwar auch Lebensfreude, aber in geordneten Bahnen. Um sieben in der Früh steht man trotz allem auf jeden Fall auf und geht einer ordentlichen Arbeit nach.

Gute Laune regiert

Cros Leistung ist dabei keine geringe. In der Wiener Stadthalle fallen vor 10.000 restlos begeisterten Zuschauern während einer zweistündigen Show zwar mehrmals Kraftausdrücke, aber so spielt das Leben. Wer hat zwischen Nutellabrot, Zähneputzen und Schuheanziehen nicht schon mindestens dreimal "Scheiße" gesagt, bevor er das Haus verlässt? Lass Worte keine Macht über uns bekommen!

Cro hat nach all den Bushidos, Haftbefehls, King Orgasmus Ones oder Bass Sultan Hengzts endlich wieder entdeckt, dass das Leben nicht nur aus Schulhofschlägereien, dem Zerkratzen von Autos und anderer Kleinkriminalität in den Ghettos der deutschen Städte besteht. Wenn man jung ist, wäre es nämlich eigentlich günstig, dass man es so einrichten kann, dass man zwischendurch auch einmal gut drauf ist. Für schlechte Laune und hängende Mundwinkel bleibt später immer noch genügend Zeit.

Cro ist mit seinen in Wien in Dialogform mit den Fans erarbeiteten Hits wie "Easy" oder "Meine Zeit, Meine Gang" oder "Never Cro Up" ein Botschafter der guten Laune. Nach all den Boyband- und Grungerock-Jammereien der vergangenen Jahrzehnte vergisst man ja gern, dass Popmusik ursprünglich darauf angelegt war, Spaß zu machen. Das ist nicht nur Feierabendvergnügen, das war auch einmal ein Lebensgefühl.

Trotz der Maske, die ihn davor schützen soll, dass die Leute mitkriegen, dass er vielleicht auch einmal nicht so gut drauf ist, kommt das völlig unpeinlich über die Bühne. Ein Cro-Konzert, das ist der letzte Kindergeburtstag, an dem alles gut und perfekt war. Jeder weiß, dass es in den nächsten Jahren immer noch ernster und ernsthafter werden wird. Hey, aber heute ballern wir uns die Birne mit vielen bunten Smarties, Old-School-Coca-Cola und heimlich einer Zigarette von Papa schnell hinter dem Haus weg.

Cro kommt dabei mit einem DJ, einem Multiinstrumentalisten an Gitarre/Bass/Piano und einem Schlagzeuger sowie zwei Gastrappern aus. Stilistisch schert sich der Mann wenig. Er sampelt Gitarrenriffs aus dem Indie-Rock, abgerockte Soul-Samples, kommt zeitweilig – zwischen Rap und Gesang wechselnd – in die Balladennähe Xavier Naidoos, kratzt aber gerade noch rechtzeitig die Kurve, um ein wenig Ska-Schunkelei Richtung Bierzelt-Polka zu treiben.

Anstatt Mittelfinger und Scheißkieberei fordert Cro sein Publikum dazu auf, die Nebenstehenden im Saal zu umarmen und zu küssen. Aus den dauergezückten Taschentelefonen der Kundschaft kann man auch wunderschöne Lichtermeere basteln. Eine Konfetti-Panzerfaust wird abgefeuert. Am Ende steht Cro auf einem schwankenden Turm mitten im Saal. Kugelblitze und Raketen schießen durch die Stadthalle. Guter Typ. (Christian Schachinger, derStandard.at, 18.11.2014)