Leo Hemetsberger.

Foto: Josef M. Fallnhauser

Spät erst konnten wir uns rauben, was unser Eigenstes ist - privat sein zu dürfen, respektierten Freiraum gegenüber staatlicher Gewalt oder anderen Kollektiventwürfen, nicht nur zu gewinnen, sondern garantiert zu bekommen. Im 16. Jh. wurde der Begriff "privat" aus dem lateinischen Lehnwort "privare" für absondern, berauben entwickelt.

Begriffe erfahren Deutungswandlungen und differenzieren sich durch Diskurse in dialektischer Weise weiter. Wichtig war im 18. Jhdt etwa die Erweiterung des Privatbegriffs hin zum Privateigentum, federführend angeregt durch den britischen Philosophen John Locke, der persönliches Eigentum mit Freiheit gleichsetzen wollte.

Aller guten Dinge sind drei

Doch die Genese reicht viel weiter zurück. Im römischen Recht war das Eigentum ursprünglich schrankenloses dominum an einer Sache, und stand nur dem Vollbürger, pater familias zu. Dessen Recht umfasste im archaischen vitae necisque potestas sogar die Kindstötung.

Die Römer definierten als Basis ihrer Rechtsordnung die Freiheit der Person, die Vertragstreue und den Schutz des Eigentums. Doch wie wir wissen konnte weder Frauen noch Sklaven ihr Leben damals selbst gestalten.

The dark ages?

Im Mittelalter fußte die Geltung des Rechts auf der Zugehörigkeit einer Person zu einer Gemeinschaft. Zwar wurde mit der christlichen Botschaft die prinzipielle Würdigkeit jedes Menschen ausgesprochen, dessen Sündhaftigkeit bedurfte nach kirchlicher Auffassung jedoch der göttlichen Gnade, um zur versprochenen Seligkeit gelangen zu können. Staatliche Gewalt war von kirchlicher Duldung abhängig, und das Recht wurde als Sanktionsmittel wider sündhafte Verfehlungen gegenüber der Obrigkeit aufgefasst.

Privatsphäre, das Recht auf körperliche Unversehrtheit vor Gericht und einen Anspruch auf faire Verfahren gab es nicht. Leibeigenschaft und Lehensherrschaft, Zunft- und Standesbewusstsein, und ein sich absolutistisch verstehender Feudalismus machten eine freie, private Rechtspersönlichkeit unmöglich.

Hier steh ich und ich kann nicht anders

Immer wieder lehnten sich Einzelne oder Gruppen unter großen Opfern gegen diese Deutungshoheiten auf. Die Menschen wollten ein so willkürliches Rechtsverständnis nicht ertragen. Anfangs regte sich der, durch das kirchliche Bildungsmonopol bestimmte Widerstand gerade in theologischen Kreisen.

Woher aber konnte man unabhängige Grundlagen nehmen, um ein anderes Verhältnis von Mensch und Institution abzuleiten? Aus der Philosophie. Grotius und Pufendorf begründeten die Naturrechtslehre, woraus später das allgemeine Völkerrecht hervor ging. Denn "das Recht der ganzen Menschheit, d. h. alle Rechtsverhältnisse – auch zwischen Einzelpersonen – innerhalb der magna generis humani societas" sollte etabliert werden. Jedes Individuum verfügte ihrer Ansicht nach über ein eingeschriebenes Naturgesetz, die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und Orientierung nach dem persönlichen Gewissen und der Vernunft.

In Abkehr von den theologischen Konzepten, wo Gott Prinzip der Offenbarung und Gesetzgebung war, kam jetzt der einzelne Mensch als vernunftbegabtes Wesen zentral ins Bild, der nicht mehr ein subjectum als Unterworfenes ist, dem die symbolische Ordnung eingeschrieben wird, sondern der sich frei von feudalen oder erbsündigen Verstrickung als Vernunftwesen mit einem Recht auf Privatsphäre zu fassen beginnt.

I am free, am I?

Persönliche Freiheit ist nur in einem staatlich-rechtlichen Rahmen garantiert. Darauf müssen auch Utopien wie jene einer Privatrechtsgesellschaft zurückgreifen, weil sie eine verallgemeinerbare Übereinkunft voraussetzen. Der Staat ist nicht jener Rest, der dem Markt nicht unterworfen werden kann, sondern er stiftet Gemeinschaft als gewusstes Wollen aller im aktiven politischen Prozess Beteiligter.

Soweit sagte es zumindest die idealistische Theorie. Es ist, Ironie der Geschichte, letztlich nur der von vielen Seiten lange ideologisch bekämpfte langweilige Rechtsstaat im Verbund mit den internationalen Organisationen, der die Freiheit der Einzelnen schützen könnte.

Das Privatrecht selbst ist eine sehr späte Entwicklung, nämlich als "Gesamtheit aller Rechtssätze bei denen Berechtigter oder Verpflichteter nicht ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt in seiner Eigenschaft als solcher ist." Das schrieb Kant 1797. Dazu ist die Annahme des autonomen Willens, als der von jeder äußeren und inneren Fremdbestimmung befreiten Vernunft, erforderlich.

Kein Weg zurück

Privatautonomie ist also das Prinzip, dass in aufgeklärten Gesellschaften jeder frei seinen Willen bilden, äußern und diesem Willen entsprechend seine Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung eigenverantwortlich gestalten kann, wofür man verantwortlich zeichnet. "Vor Kant kann nicht zurück gegangen werden." Dieser Ausspruch des Philosophen Franz Schuh, den er vor Jahren in Graz im Rahmen einer Diskussion zur Menschenwürde getätigt hat, gilt für mich auch als Aufruf, dass wir unser Freiheitsbewusstsein im Diskurs immer wieder neu, kritisch von Kant ausgehend, zu gewinnen haben. Die Verführungen dagegen machen es uns leicht, viel zu leicht, davon abzusehen. Sie sind so raffiniert gestaltet wie nie zuvor. Bleiben wir daher achtsam, damit wir unsere mit Mühe erkämpften Rechte als Privatpersonen nicht schleichend auf dem Altar einer saturierten Bequemlichkeit verschenken. Dazu demnächst mehr.

Fürchtet euch nicht!

Als Ausgangspunkt zu einer erweiterten Diskussion, was ein Liberalismus im 21 Jhdt. sein kann, jenseits der langweiligen bekannten ideologischen Fronten, sei auf das Werk von Judith Shklar verwiesen, die mit ihrem Ansatz eines "liberalism of fear" eine spannende Grundlage zu einem neuen liberalen Selbstverständnis gelegt hat. Kein Bürger sollte in Angst leben müssen, nicht vor der Natur und ihren existentiellen Bedrohungen und schon gar nicht vor dem Staat. Dieser verblüffend einfache zentrale Ausgangspunkt wirkt sich als Kriterium in vielen Bereichen positive konstituierend aus, meine ich.

Better try next time

Nehmen wir ein einfaches Beispiel aus dem Bereich der neuen Selbständigen und der Startups. Unternehmer sollten der Willkür staatlicher oder gesetztlich legitimierter Institutionen, wie etwa im Bereich der Pflichtversicherungen oder dem Insolvenzrecht insofern nicht schutzlos ausgeliefert sein, als ihnen im Falle einer schlechten Geschäftsentwicklung nach dem Scheitern die Möglichkeit eines Neubeginns auf Jahre hinaus verwehrt bleibt.

Wer bei uns scheitert, wird von institutioneller Seite geächtet, fast schon geteert und gefedert. Da schlägt unsere unselige Schuldkultur voll durch. Im Gegenteil sollte, wer mutig genug ist, es nochmals probieren zu wollen, die Freiheit haben, es einfach tun zu dürfen. Die Angst vor dem sozialen Stigma dagegen lähmt nur und treibt so manchen auf die Obdachlosigkeit zu. (Leo Hemetsberger, derStandard.at, 18.11.2014)