Jedes Jahr versammeln sich in der deutschen Stadt Wunsiedel in Bayern Neonazis, um "ihrer Helden" zu gedenken. Doch in diesem Jahr wehrten sich die Bewohner der Stadt im Fichtelgebirge auf kreative Art und Weise: Der "Trauermarsch" wurde zum Spendenlauf, und für jeden Meter, den die Neonazis zurücklegten, wurden zehn Euro an die Initiative Exit-Deutschland gespendet, an die sich Aussteiger aus der Neonaziszene wenden können. Die Beteiligten haben davon jedoch erst während des Demonstrationszuges erfahren.
Auf der "Laufstrecke" fanden sich zahlreiche satirisch bedruckte bunte Plakate, wie "Wenn das der Führer wüsste", "Im Spendenschritt Abmarsch" und "Endspurt statt Endsieg". Verteilt wurde auch "Marschverpflegung": Bananen mit der Aufschrift "Mein Mampf".
"Disziplin ist für die Neonazis bei dieser Art von Märschen besonders wichtig, denn sie wollen 'ihrer Helden' ja in Ruhe gedenken", sagt Martin Becher, Geschäftsführer des Bayrischen Bündnisses für Toleranz, das an der Initiierung des Projekts beteiligt war, im Gespräch mit derStandard.at. "Deshalb war diese Aktion für sie wirklich unausstehlich, weil sie die Plakate nicht einfach abreißen können. Das hätte Bilder produziert, die sie unter allen Umständen vermeiden wollten."
Bei der Aktion wurden 10.000 Euro gesammelt, die Unternehmen und Privatleute aus der Region spendeten. Becher meinte zwar, dass sich die gleiche Aktion "nicht eins zu eins in Wunsiedel nochmal wiederholen wird", jedoch zeigt sich Fabian Wichmann von der Zentrum Demokratische Kultur (ZDK), der die Aktion ebenfalls organisierte, offen für einen Export der Idee: "Man kann es zwar nicht spontan machen und muss ein paar Rahmenbedingungen beachten, aber an dem einen oder anderen Ort könnte es doch funktionieren." Anfragen von unterschiedlichen Bündnissen und Städten lägen bereits vor.
Die bayrische Stadt Wunsiedel hat eine hohe symbolische Bedeutung für die rechtsextreme Szene, da Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß nach seinem Tod im Jahr 1987 dort beigesetzt wurde. Wegen Ablaufs des Pachtvertrags wurde das Grab im Juli 2011 zwar aufgelöst, dennoch pilgern jährlich Neonazis in die Stadt. "Es ist immer noch einer der wenigen Orte, wo ein führender Repräsentant des Naziregimes beerdigt war", für viele andere führende Nationalsozialisten gebe es eine solche "Pilgerstätte" nicht, sagt Martin Becher.
Die Anzahl der Teilnehmer nehme aber ab: "In den allerschlimmsten Zeiten waren die Zahlen fast im fünfstelligen Bereich. Am Samstag waren nach unserer Zählung 195 Nazis da", so Becher.
Die Heß-Gedenkmärsche wurden 2008 durch ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zwar gestoppt, die Veranstaltung wurde daraufhin aber von "Heß-Marsch" zu einem allgemeinen "Trauermarsch" umformuliert. "Bezugnahmen zu Heß dürfen aus der Kundgebung heraus nicht stattfinden", so Fabian Wichmann. "Aber allen, die dort demonstrieren, ist natürlich der historische Kontext um das aufgelöste Grab von Heß klar." (maa, derStandard.at, 17.11.2014)