Wien – Dass im Osten Österreichs Gerichte strenger strafen als jene im Westen, zeigen die Statistiken eindeutig. Gelegentlich sind daran aber die höheren Instanzen schuld, wie der Fall von Ulrike K. zeigt.

Die war Angestellte in einem Wiener Bezirksgericht und hat in einem Zeitraum von mehr als einem Jahr insgesamt 515 Euro aus der Handkassa gestohlen. Sie hatte das getan, da sie als Alleinerzieherin eines Sohnes keinen anderen Ausweg mehr sah, erklärte die Unbescholtene bei ihrer ersten Verhandlung. Sie habe die Stromrechnung teilweise nicht mehr bezahlen und nötige Anschaffungen für das Kind nicht mehr tätigen können.

Das Erstgericht ließ sich von dieser Version überzeugen und beschloss eine Diversion. Was dem Oberlandesgericht Wien gar nicht gepasst hat. Darum muss nun neuerlich ein Schöffengericht unter Vorsitz von Minou Aigner urteilen.

Job verloren, weniger Geld

Die Taten selbst gesteht K. weiter ein, also geht es nur noch um die Strafhöhe. Aigner will vorher noch wissen, was die Angeklagte mittlerweile macht. Ihren Job im Gericht hat sie verloren, seit einem Jahr arbeitet sie in einem Büro – wo man von der Sache nichts weiß – als Schreibkraft und verdient 1050 Euro netto.

Den Schaden und die Kosten, die der Republik entstanden sind, exakt 898,30 Euro, hat sie längst zurückgezahlt, der Schaden ist also wieder gutgemacht. "Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich das tun", sagt K. in ihrem Schlusswort mit Tränen in den Augen.

Nach kürzester Beratung verkündet Aigner das Urteil – der Senat macht von seiner Möglichkeit der außerordentlichen Strafmilderung Gebrauch. Statt der Mindeststrafe von sechs Monaten für den gewerbsmäßigen Diebstahl unter Ausnützung einer Amtsstellung erhält die Angeklagte drei Monate bedingt.

"Leben massiv beeinträchtigt"

Das scheint in einer Strafregisterauskunft nicht auf, was für das Gericht ausschlaggebend war. "Ihr weiteres Leben wäre sonst massiv beeinträchtigt. Die Wirtschaftslage wird immer härter, und kein Arbeitgeber würde Sie mit einer Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls nehmen", begründet Aigner.

Die Milderungsgründe – das Geständnis, die Unbescholtenheit, die Schadenswiedergutmachung und der Umstand,dass sie ihre besser bezahlte Stelle verloren hat – überwiegen bei weitem die Erschwerungsgründe, nämlich, dass es mehrere Taten über einen längeren Zeitraum waren.

Die Angeklagte nimmt das Urteil an, Staatsanwältin Tatiana Spitzer-Edl muss das Ergebnis erst weitergeben und gibt keine Erklärung ab, daher ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, derStandard.at, 17.11.2014)