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Wer viel für Lebensmittel ausgibt, wird von der Teuerung stärker getroffen. Die Preise für Lebensmittel sind zuletzt nämlich stärker gestiegen.

Foto: apa/schulte

Wien - Das Geld von ärmeren Haushalten verliert schneller an Wert als das von reicheren. Das zeigen von der Statistik Austria veröffentlichte Zahlen vom Montag. Die offizielle Inflationsrate, die vom österreichischen Durchschnittshaushalt ausgeht, betrug zwischen September 2013 und 2014 1,6 Prozent. Die ärmsten zehn Prozent der Haushalte kamen im Schnitt auf eine Inflationsrate von 1,9 Prozent, die reichsten zehn Prozent hingegen nur auf 1,1 Prozent.

Die Inflationsrate von ärmeren Haushalten ist seit 2008 kumuliert um fast ein Viertel höher als die der obersten zehn Prozent. Das liegt laut Konrad Pesendorfer, dem Chef der Statistik Austria, an den stark steigenden Preisen für Lebensmittel und Mieten. Ärmere Haushalte geben relativ mehr von ihrem Einkommen dafür aus und sind damit von Preissteigerungen stärker betroffen.

In den vergangenen sieben Jahren - weiter reichen die veröffentlichten Statistiken nicht zurück - hat die offizielle Inflationsrate das Ausmaß der Teuerung für Menschen mit niedrigem Einkommen mit wenigen Ausnahmen immer unterschätzt. Zwischen 2008 und 2011 ist die Differenz aber klein. Am anderen Ende der Einkommensskala ist es genau umgekehrt.

Laut dem Ökonomen Wilfried Altzinger unterschätzt man die wahre Ungleichheit in einer Gesellschaft, wenn man nur auf Einkommen, nicht aber auf die Entwicklung der Preise der Güter schaue, die man später damit kaufe. "Wer eine Eigentumswohnung besitzt, dem ist es egal, wenn die Mieten steigen." Wer aber 40 Prozent seines Einkommens für die Wohnung ausgebe, spüre das stark. Der Wifo-Forscher Thomas Leoni sieht das ähnlich. In der Gruppe der unteren zehn Prozent befinden sich laut Leoni "klassische Armutsgefährdete".

Darunter würden vor allem alleinerziehende Mütter und alleinstehende Ältere fallen. Er hält es aber nicht für sinnvoll, nur auf die untersten zehn Prozent zu schauen. Wenn grundlegende Güter des Alltags teurer werden - Wohnen, Energie, Essen - dann ziehe sich der Effekt auch weiter nach oben. Der an der Wiener Wirtschaftsuni forschende Altzinger plädiert dafür, Statistiken künftig immer mit verschiedenen Inflationsraten zu berechnen. Auch Leoni hält das für sinnvoll, warnt aber: "Wenn man mit unterschiedlichen Preisindizes arbeitet, wird es schnell sehr komplex."

Schicksal einer Statistik

Der Wifo-Ökonom sieht in einer höheren Inflationsrate für Ärmere aber "keine Naturgesetzmäßigkeit". Es könne auch in die andere Richtung gehen, in den vergangenen zehn Jahren sei die Preisentwicklung aber so gewesen, dass Haushalte mit niedrigeren Einkommen eben am meisten darunter leiden.

Die Statistik Austria präsentierte die Zahlen am Montag, um für mehr Transparenz zu sorgen, sagte Direktor Pesendorfer. Es sei das "Schicksal einer Statistik", dass sie mit Durchschnittswerten rechne. Jeder kann sich seine persönliche Inflationsrate künftig aber selbst ausrechnen. Dafür hat das Institut einen Inflationsrechner online gestellt. Das Interesse dürfte groß gewesen sein, die Seite war den ganzen Nachmittag über wegen überlasteter Server nicht erreichbar.

Die Gewichtung von verschiedenen Kategorien sei nicht in Stein gemeißelt, sagte der Statistik-Chef. Oft werde etwa kritisiert, dass Mieten nur wenige Prozent der durchschnittlichen Ausgaben betragen, wenn die Inflation berechnet wird. Wer eine Eigentumswohnung besitzt, zahlt gar keine Miete. Für sie seien die paar Prozent bereits zu viel. Für die Mieter sei der Wert hingegen deutlich zu klein. Aber gerade hier soll das Onlinetool künftig für Klarheit sorgen, weil sich jeder eine maßgeschneiderte Rate berechnen kann.

In Österreich lag die Inflationsrate (HVPI) im Oktober bei 1,4 Prozent. "Es wird geredet und geschrieben, als wären wir ein Hochinflationsland", sagte Pesendorfer. Viel mehr sehr er froh, dass Österreich "Gott sei Dank weit weg von der Deflationsgefahr ist". Warum die Inflation in Österreich zuletzt deutlich höher sei als in Deutschland, sei "ein Phänomen, dem wir schon länger versuchen nahe zu kommen". Er könne nur Teile von Erklärungsversuchen wiedergeben, eine endgültige Antwort habe er nicht.

In den vergangenen Monaten seien in Österreich die Wohnungsmieten und Grundgebühren bei Mobiltelefonen stärker gestiegen. Auch Preisrückgänge bei Heizöl seien in Österreich schwächer als anderswo. In der EU ist der Preis laut Pesendorfer um zehn Prozent gesunken, in Österreich nur um 7,6 Prozent. Dass fehlender Wettbewerb im Handel eine Rolle spiele, kann er auf Nachfrage von derStandard.at nicht ausschließen. Beweise dafür habe er aber nicht. Was aber zudem eine Rolle spiele: Österreich würden mehr Bioprodukte kaufen, die tendenziell auch teurer sind.

Daten per Scanner

Die Berechnung der Inflation sei noch nicht perfektioniert, sagt Pesendorfer. "Wir könnten besser sein in der Messung." Der ehemalige wirtschaftspolitische Berater von Bundeskanzler Werner Faymann hätte gern Zugriff auf Scannerdaten von Supermärkten. Jedes Mal, wenn eine Banane über das Lesegerät gezogen wird, würde das dann später in der Statistik landen. Die Statistik Austria sei in Verhandlungen mit den Einzelhändlern, die sich bisher sträuben. Sie fürchten um Betriebsgeheimnisse wie etwa die Preispolitik.

In Europa sei Österreich damit im hinteren Drittel, moniert Pesendorfer, eine große Anzahl von Ländern würde ähnliche Projekte schon umsetzen oder sie zumindest planen. Die offizielle Inflationsrate könnte dadurch leicht sinken. Im Moment würden die Preiserheber der Statistik Austria einmal im Monat in jeweils 20 Städten Preise in Supermärkten aufzeichnen. Am Wochenende werde keiner geschickt, das verzerrt, glaubt Pesendorfer. Denn gerade da gebe es oft Rabattaktionen, die sich dann in der offiziellen Inflation nicht wiederfinden würden. (Andreas Sator, derStandard.at, 17.11.2014)