Olga Cieslarová mit einer Maske von Präsident Miloš Zeman: "Es ist wichtig, die Demokratie zu feiern." Mit Satire setzt sich die Initiative For_um mit den problematischen Seiten der Gesellschaft auseinander.

Foto: Gerald Schubert

"Die Regierung vergisst den November", titelte vergangenen Dienstag die tschechische TageszeitungLidové noviny. Der November, das ist in Tschechien eine Chiffre für die Samtene Revolution vor 25 Jahren: Heute vor genau 25 Jahren, am 17. November 1989, wurde in Prag eine Studentendemonstration von der Polizei niedergeknüppelt - und binnen weniger Wochen war das kommunistische Regime der Tschechoslowakei plötzlich Geschichte. Ende Dezember 1989 residierte bereits der Dichter und Dissident Václav Havel als Staatsoberhaupt auf der Prager Burg.

Tschechische Politiker müssen sich nun Vergleiche mit ihren deutschen Kollegen gefallen lassen, die dem Jahrestag des Mauerfalls in Berlin vor wenigen Tagen einen ungleich höheren Stellenwert eingeräumt hatten: Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am ehemaligen Todesstreifen mit einer Botschaft an die Welt richtete, verbringt Tschechiens Premier Bohuslav Sobotka seinen Feiertag in der US-Hauptstadt Washington. Dort nimmt er - zwei Tage später - mit anderen tschechischen Politikern an der Enthüllung einer Havel-Büste auf Capitol Hill teil.

Es ist vor allem die Symbolik des falschen Timings, die vielen Tschechen sauer aufstößt. Vergessen hat die Regierung "den November" allerdings nicht.

Kranzniederlegung in Prag

Unmittelbar vor seinem Abflug in die USA hatte Sobotka wenigstens noch eine Kranzniederlegung in Prag auf dem Programm. Ministerien verschicken ganze Listen mit Gedenkveranstaltungen. Präsident Miloš Zeman kommt am Nachmittag mit seinen Amtskollegen aus Deutschland, der Slowakei, Polen und Ungarn zu einer Feierstunde zusammen.

Akzente setzt aber auch die Bürgergesellschaft, die das Andenken an die Samtene Revolution nicht der politischen Elite überlassen will. Die Initiative "For_um" - im Tschechischen ein Wortspiel aus den Begriffen Witz und Kunst - bastelt seit drei Monaten an ihrem "Samtenen Karneval". In einem leerstehenden Innenstadtpalais am Ufer der Moldau hat For_um mit Künstlern und NGOs das "Samtene Zentrum" eingerichtet.

In mehr als 50 Räumen weht hier tatsächlich so etwas wie der Geist des November 1989 - auch wegen des Gebäudes selbst, das innen noch so aussieht wie vor einem Vierteljahrhundert.

Abends gab es hier in den vergangenen Wochen Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen; tagsüber wurde die Karnevalsprozession des 17. November vorbereitet. Korruption, Umweltschutz, Minderheiten - die Themenpalette beim Umzug durch die Prager Innenstadt ist breit. "Es ist wichtig, die Demokratie zu feiern", erklärt Olga Cieslarová, die Chefin von For_um, im Gespräch mit dem Standard und bahnt sich einen Weg zwischen Farbtöpfen, Politikermasken und Atomkraftwerken aus Pappe. "Unsere demokratische Gesellschaft hat auch problematische Seiten, mit denen wir uns satirisch auseinandersetzen."

Rüpelhafter Staatspräsident

Prominenteste Zielscheibe der Kritik ist Staatspräsident Zeman. Viele werfen dem hemdsärmeligen Linkspolitiker vor, in erster Linie eigene Machtinteressen zu verfolgen. Anfang November schockierte Zeman die Nation mit Vulgärausdrücken in einem live ausgestrahlten Radiointerview.

Kurz zuvor hatte er während einer Chinareise Tibet und Taiwan als untrennbare Teile der Volksrepublik bezeichnet. Über Demokratie und Menschenrechte wollte Zeman in Peking hingegen nicht sprechen.

Im Internet hagelt es seither Rücktrittsaufforderungen, die deftigsten Zitate aus dem Radiointerview wurden vertont und kursieren als Musikvideos in den sozialen Netzwerken. Am Freitag haben drei Vizebürgermeister im nordböhmischen Ústí nad Labem in ihren Büros die Präsidentenporträts von den Wänden genommen. Jetzt hängt dort wieder das Konterfei von Václav Havel. (Gerald Schubert aus Prag, DER STANDARD, 17.11.2014)