Man muss den Stolz, dieses uns allen irgendwie angeborene Gefühl, ja nicht gleich - wie Thomas von Aquin - als eine Wurzelsünde ansehen, um auf die Idee zu kommen, dass Außen- und Integrationsminister Kurz diesmal ein klein wenig daneben gegriffen hat.

Kurz hat nämlich zwar ein Problem richtig erkannt: ein erklecklicher Teil der Menschen in Österreich "mit Migrationshintergrund" fühlt sich hierzulande noch nicht so ganz heimisch, identifiziert sich immer noch mehr mit dem Herkunftsstaat (oder womöglich noch mit jenem der Großeltern!) als mit Österreich. Das ist nicht unbedingt integrationsfördernd. Als Antwort auf diesen Befund aber eine Kampagne zum Nationalstolz zu lancieren, ist bestenfalls gut gemeint - also das Gegenteil von gut.

Denn Stolz ist ein Gefühl, das im Zweifelsfall nicht integriert, sondern im Gegenteil - separiert: Ich habe das erreicht, du nicht. Wir sind Weltmeister, ihr nicht ("und so gehen die Gauchos ..."). Folgerichtig haben sich Österreichs Meinungsmacher in kürzester Zeit von #stolzdrauf distanziert. Schon lange nicht mehr ist auf Twitter, Österreichs Plattform für Journalisten, eine Kampagne so schnell und deutlich erst abgelehnt, dann verrissen worden wie diese.

Gabaliersstart

Und das liegt nicht allein am äußerst unglücklich gewählten "Integrationsbotschafter" Andreas Gabalier, der keinen Tag brauchte, um mit der Bekanntgabe jener Dinge, auf die er stolz ist, das Trennende statt des Verbindenden zu betonen: Lederhosen und Dirndl mögen ja Dinge sein, auf die so mancher Österreicher noch stolz ist - wieso eigentlich, was, bitte, haben wir denn dafür geleistet? -, aber schon auf die städtische Bevölkerung gleich welcher Herkunft trifft das längst nicht mehr zu. Ein geglückter Kampagnenstart sieht anders aus.

Gabalier hin oder her, das eigentliche Problem liegt im Ansatz: Stolz ist nicht nur tendenziell trennend. Er lässt sich auch nicht verordnen oder sonst wirklich von außen erzeugen (wie etwa das Gefühl der Geborgenheit). Denn Stolz bezieht sich vor allem auf eigene Leistung, auf eigene Errungenschaften, und nicht auf Dinge, die einfach da sind wie die schöne Landschaft, Berge und Seen oder gar auf Abstrakta wie den Rechtsstaat (sic!).

Vorzeigemigranten

Stolz kann zwar anstecken, aber nur dann, wenn er authentisch präsentiert wird - und die ersten Werbespots dieser Kampagne lassen eher das Gefühl aufkommen, dass da "Vorzeigemigranten" Texte aufsagen, an denen sie kaum ein Wort selbst mit formuliert haben. Man spürt die Absicht und ist verstimmt. Diese Kampagne integriert nicht, sie be-fremdet.

Vor allem aber ist Stolz rückwärtsgewandt. Und Integration ist eine Frage der Gegenwart und Zukunft. Um es zu verbildlichen: ein Fußballteam ist stolz auf die Meisterschaft des letzten Jahres. Aber das hilft all seinen Spielern und Fans genau gar nichts in der laufenden Saison. Da kommt es auf andere Dinge an, Teamgeist zu allererst. Dass Spieler aus vielen Ländern, ja Kontinenten füreinander und nicht gegeneinander laufen, füreinander einspringen, jeder auf seiner eigenen Position, aber nur gemeinsam gewinnen oder verlieren - jeder Fußballer und jeder Fußballfan weiß das.

Dass es in einem Team auch darauf ankommt, ganz verschiedene Spielertypen zu einer Mannschaft zu machen, gute Nachwuchsarbeit zu leisten und zugleich nach Legionären zu suchen für Positionen, die man selber grade nicht besetzen kann, diese Bilder sind Allgemeingut. Dass nicht die gemeinsame Sprache, Religion oder Herkunft, sondern das gemeinsame Ziel ein Team zusammenhält (und dass nichts schöner ist, als einen Erfolg gemeinsam zu erringen und ihn gemeinsam zu feiern!) - da hätte angesetzt werden können.

Freilich hätte eine an solchen Bildern angelehnte Kampagne auch zu kritischen Fragen eingeladen: leisten wir wirklich so gute Nachwuchsarbeit, bieten wir unseren "Legionären" wirklich gute Bedingungen, spielen wir wirklich füreinander? Aber gerade wenn solche Fragen nicht nur an "die anderen", sondern auch an die "eigene", die Mehrheitsgesellschaft gestellt würden, wäre ein erstes Ziel schon erreicht. Nämlich mit der Botschaft: Integration ist keine Einbahnstraße, sie funktioniert nur, wenn alle sich anstrengen - wie auf dem Sportplatz eben.

Schade, dass Sebastian Kurz nicht an den Fußball gedacht hat, bevor er zu seinem millionenschweren Bauchfleck angesetzt hat. Das wäre es gewesen, in Sachen Integration: hashtag #teamspirit. Alaba, Vastic & Co als Role-Models, gemeinsam mit Spielern, deren Urgroßeltern auch schon Österreicher waren - Vielfalt mit einem Ziel, unterschiedliche Herkunft, aber: ein Team.

Darum geht es nämlich in der Integrationsdebatte, nicht um Stolz. Das hätte sogar die Skifahr-Nation Österreich verstanden. (Georg Bürstmayr, DER STANDARD, 13.11.2014)