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Für Sahra Wagenknecht ist die Eurokrise längst nicht ausgestanden.

Foto: apa/Rainer Jensen

STANDARD: Sie meinten kürzlich, die Europäische Zentralbank habe keine Stresstests durchgeführt, sondern Zombiebanken einen Persilschein ausgestellt. Was meinen Sie damit?

Wagenknecht: Obwohl bekannt ist, dass die europäischen Banken noch faule Papiere in der Größenordnung von etwa 1000 Milliarden Euro in ihren Büchern halten, wurde seitens der EZB ein nur sehr geringer Kapitalbedarf festgestellt. Das ist schon auffällig und wirft Fragen auf, wie die Szenarien dieses Stresstests ausgelegt waren. Offenbar ging es darum, den meisten Banken zu bescheinigen, dass sie ausreichend kapitalkräftig sind. Die Leverage Ratio (bei der Leverage Ratio wird das Eigenkapital ins Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme gesetzt, Anm.) beispielsweise bei der Deutschen Bank liegt bei 2,38 Prozent – das heißt, das Institut ist ausgesprochen schlecht kapitalisiert. Und die EZB hatte nichts, gar nichts, zu bemängeln.

STANDARD: Nun hat die EZB auch die Aufsicht über 120 Banken übernommen. Zufrieden?

Wagenknecht: Das ist ein ganz merkwürdiges Konstrukt. Die EZB soll in Personalunion Geldpolitik machen, Banken beaufsichtigen und gleichzeitig problematische Papiere ankaufen? Das ist wie eine Lebensmittelaufsicht, die den Restaurants Gammelfleisch abkauft und ihnen dann den Persilschein ausstellt. Die EZB ist Gläubigerin der Banken. Wenn sie einem Institut bescheinigt, dass es pleite ist und abgewickelt werden soll, würde auch die EZB selbst Geld verlieren – ein großer Interessenskonflikt. Insofern ist diese Aufsicht genau das, was wir nicht brauchen, wenn wir eine ernsthafte Regulierung der Finanzmärkte anstreben.

STANDARD: Wie könnte diese Regulierung aussehen?

Wagenknecht: Wir brauchen Regeln, die das Eigenkapital der Banken deutlich höher ansetzen – und zwar nicht das manipulierbare, also das risikogewichtete Eigenkapital, sondern das harte. Experten halten eine Quote von zehn oder zwanzig Prozent in einem etwas längeren Zeitraum für durchaus realistisch. Die Banken müssten nur aufhören, Dividenden auszuschütten oder Boni zu verteilen. Außerdem müssten Banken, die Geld von "normalen" Sparern verwalten, Hochrisikospekulationen gänzlich verboten werden. Die Deutsche Bank ist ein Prototyp für diesen Missstand: Durch die Integration der Postbank wurden Millionen von Kleinsparern und deren Gelder übernommen. Doch das Institut hat nach wie vor ein riesiges Derivategeschäft. Schätzungen zufolge liegt das Nominalvolumen der Derivate bei 60 Billionen. Das sind tickende Zeitbomben, weil der Steuerzahler rettend einspringen müsste, um den Kleinanleger zu schützen.

STANDARD: Was kann die EZB überhaupt noch gegen die Wirtschaftsflaute tun?

Wagenknecht: Man hat Erwartungen an die EZB, die sie nicht erfüllen kann. Das muss die Politik regeln. Die EZB kauft seit Jahren mit billigem Geld Zeit, um die hohen Schuldenstände refinanzierbar zu halten. Der Preis dafür sind neue und immer größere Finanzblasen und Ungleichgewichte. Und die Schuldenstände sowohl der Privaten als auch die der Staaten wachsen weiter. Möglicherweise kann man das einmal mehr übertünchen, indem die EZB Staatsanleihen kauft und damit die Renditen neuerlich senkt. Das verschiebt die Probleme jedoch nur.

STANDARD: Was wäre sinnvolle Geldpolitik?

Wagenknecht: Die EZB gibt den Banken seit Jahren Geld. Geld, das in der realen Wirtschaft nicht ankommt. Dürfte die Zentralbank den Staaten direkt Geld geben – was aber nicht der Fall ist – hätten wir ein ernsthaftes Konjunkturprogramm: Ich schlage Direktkredite der EZB zu 0,05 Prozent vor mit der Auflage, Investitionen in den betreffenden Ländern zu finanzieren.

STANDARD: Experten senken die Prognosen für das Wirtschaftswachstum deutlich. Droht ein neues Aufflammen der Eurokrise?

Wagenknecht: Die Eurokrise war nie vorbei, sondern nur überdeckt. Die Arbeitslosigkeit, vor allem bei der Jugend, ist in Spanien und Griechenland nach wie vor dramatisch. Was das Wirtschaftswachstum betrifft, können wir im besten Fall von Stagnation sprechen. Die vielen Kürzungsdiktate haben die Krise verschärft. Bislang gab es keine echten Programme, die das Wachstum wieder ankurbeln. Es besteht die Gefahr, dass die Krise auch an die Finanzmärkte zurückkehrt.

STANDARD: Schürt der Euro also den Hass zwischen den Völkern?

Wagenknecht: Der Euro selbst nicht, die aktuelle Europa-Politik aber schon. Früher konnten Staaten unterschiedliche Entwicklungen von Löhnen durch Abwertungen ausgleichen. Wenn Länder wie Griechenland oder Spanien das Gefühl haben, dass die Troika ihnen ständig Maßnahmen diktiert, die ihre Lebensverhältnisse verschlechtern, dann richtet sich irgendwann Wut und Hass auf Europa. Ich verstehe auch die Empörung der Franzosen, wenn Frau Merkel nun auch jenseits des Rheins regiert und Paris faktisch mit ihr aushandeln muss, mit wie vielen sogenannten "Strukturreformen", die im Kern immer Verschlechterungen für Arbeitnehmer bedeuten, man sich ein Prozent Defizit erkaufen kann. Das hat mit souveräner Haushaltspolitik nichts mehr zu tun und ist Wasser auf den Mühlen von Le Pen und Co.

STANDARD: Die Zinsen dümpeln auf einem Rekordtief, eine kleine Bank kündigt gar Strafzinsen für Sparguthaben in bestimmter Höhe an. Welchen Rat haben Sie für Anleger?

Wagenknecht: Sollte sich diese Praxis in großer Breite durchsetzen, wird es richtig übel für den Kleinanleger. In diesem Fall müsste der Gesetzgeber eingreifen. Wenn viele Leute ihr Geld abheben und zu Hause lagern, wäre das ein Konjunkturprogramm für die Einbrecherindustrie. (Sigrid Schamall, DER STANDARD, 13.11.2014)