Es ist ein guter Tag für die CSU. Kaum ist am Dienstag das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg verkündet worden, da verschickt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber auch schon seine Pressemitteilung. "Das Urteil schafft Klarheit für die deutschen Gerichte und schiebt dem gezielten Zuzug in die Sozialsysteme in Europa einen Riegel vor", sagt er - und keiner in der CSU möchte da widersprechen.
Denn in einer Grundsatzentscheidung hat der EuGH entschieden, dass EU-Staaten Bürger anderer EU-Länder von bestimmten Sozialleistungen ausschließen können, wenn diese keiner Arbeit nachgehen und allein mit dem Ziel ins Land gekommen sind, Unterstützung zu beanspruchen.
Aufnahmeland nicht zu Zahlung verpflichtet
Geklagt hatte die 25-jährige Rumänin Elisabeta D. Seit 2010 lebt sie mit ihrem Sohn bei ihrer Schwester in Leipzig. Arbeit hat sie nie gesucht, dennoch beantragte sie jene Sozialleistung, die in Deutschland als "Hartz IV" bekannt ist - eine steuerfinanzierte Grundsicherung von derzeit 391 Euro monatlich, plus Geld für die Miete. Anspruch haben Langzeitarbeitslose und Hilfsbedürftige, die nicht arbeiten können.
Das Jobcenter in Leipzig verweigerte die Zahlung, es folgte ein Rechtsstreit, der bis an den EuGH führte. Laut dem Urteil des EuGH können Staatsangehörige anderer EU-Länder nur dann eine Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zu bestimmten Sozialleistungen verlangen, wenn ihr Aufenthalt die Voraussetzungen der "Unionsbürgerrichtlinie" erfüllt.
Das bedeutet, dass das Aufnahmeland (im aktuellen Fall Deutschland) nicht verpflichtet ist, während der ersten drei Monate Sozialleistungen zu zahlen. Danach muss der Staat bis zu fünf Jahre lang nur dann einspringen, wenn die Zuwanderer nachweisen, dass sie über "ausreichende Existenzmittel verfügen". Die Klägerin aus Leipzig konnte sich daher auch nicht auf das Diskriminierungsverbot berufen.
Cameron stößt Debatte an
Zufrieden mit dem Urteil dürfte auch der britische Premier David Cameron sein. Er hatte die Debatte um Armutsmigration zu Jahresbeginn angestoßen und fordert, Sozialleistungen für EU-Einwanderer einzuschränken.
In Deutschland war es vor allem die CSU, die sich zum Jahreswechsel stark vor "Sozialtourismus" fürchtete. Denn am 1. Jänner 2014 erlangten auch Rumänen und Bulgaren die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit. Bis dahin hatte Deutschland - wie auch Österreich - seinen Arbeitsmarkt noch abgeschottet.
Dauerbrenner "Sozialtourismus"
"Wer betrügt, der fliegt", lautete eine Kampagne der CSU; sie zog mit dieser auch im März in die bayerischen Kommunalwahlen. Auch die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) hatte ihre Landtagswahlkämpfe im Sommer 2014 mit diesem Thema erfolgreich geführt.
Doch Zahlen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung belegen keinen "Sozialtourismus" von Bulgarien oder Rumänien nach Deutschland. Mitte 2014 waren 13,6 Prozent aller Bulgaren und Rumänen auf Hartz IV angewiesen. Bei der Gesamtbevölkerung beträgt der Anteil derer, die die Grundsicherung beziehen, nur 7,5 Prozent. Allerdings liegt die Quote - bezogen auf alle Ausländer in Deutschland - bei 16,2 Prozent.
Starker Druck der CSU
Kindergeld (entspricht der österreichischen Familienbeihilfe) können EU-Bürger, die nach Deutschland kommen - anders als die Grundsicherung - vom ersten Tag an beanspruchen. Das gilt auch für Kinder, die nicht in Deutschland, sondern im Heimatland leben. Allerdings hat der EuGH im Juni 2012 entschieden, dass das deutsche Kindergeld mit den Leistungen im Heimatland verrechnet werden muss. Dafür muss die Steueridentifikationsnummer vorgelegt werden.
Der Druck der CSU war zu Jahresbeginn so groß gewesen, dass die damals noch junge große Koalition eine Kommission einsetzte, die sich des Themas "Sozialmissbrauch durch EU-Ausländer" annahm. Mittlerweile hat die schwarz-rote Regierung beschlossen, hier schärfer vorzugehen.
Ausweisung möglich
Die wichtigsten Neuerungen: Wer zur Arbeitssuche nach Deutschland kommt, soll sich dort nur noch sechs Monate aufhalten. Findet er in dieser Zeit keine Stelle, muss er wieder ausreisen. Länger zu bleiben soll nur möglich sein, wenn eine konkrete Aussicht auf einen Job besteht.
Außerdem sollen die deutschen Behörden EU-Zuwanderer künftig ausweisen und ihnen für drei bis fünf Jahre die Wiedereinreise verweigern dürfen, wenn diese ihren Aufenthalt auf "Rechtsmissbrauch oder Betrug" gründen. Dies ist auch derzeit schon möglich, allerdings nur, wenn jemand im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit schwere Straftaten begeht oder Seuchengefahr besteht. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, 12.11.2014)