Andreas Breinbauer, Rektor der Fachhochschule des bfi Wien, erforscht mit Kollegen die Entwicklung Wiens als Standort für Unternehmenshauptquartiere.

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STANDARD: Ist Wien ein guter Standort für internationale Konzerne?

Breinbauer: Wien hat vom Mauerfall profitiert und ist eine absolute Drehscheibe für regionale Hauptquartiere multinationaler Unternehmen geworden, die Mittel- und Osteuropa bedienen. Wir haben gute Infrastrukturverbindungen, viele Forschungsinstitutionen, die sich mit der Region beschäftigen, und schon aufgrund der k. u. k. Monarchie ein gewisses Verständnis für den Raum. Wir haben viele Personen mit Migrationshintergrund in Mittel- und Osteuropa, das ist ein Alleinstellungsmerkmal Wiens. Und Österreich wird in den Ländern des Ostens von der Türkei bis Russland als neutraler Ort wahrgenommen.

STANDARD: Was änderte sich mit dem Fall der Mauer für Österreichs Wirtschaft?

Breinbauer: Die heimischen Unternehmen hatten schon vor dem Fall der Mauer enge Beziehungen mit den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang. Wien war damals bereits eine Technologiedrehscheibe für diesen Raum. Manche Unternehmer haben mir gesagt, dass die Geschäfte mit Mittel- und Osteuropa vor der Wende einfacher waren. Durch die wechselnden Regierungen sei dann alles komplexer geworden. Österreich hat seinen Startvorteil aber sehr gut genutzt. In der Folge kamen auch nichtösterreichische Unternehmen nach Wien, weil viel Know-how für diesen Raum vorhanden ist.

STANDARD: Andere Städte konnten nicht aufschließen?

Breinbauer: Befürchtungen, wonach andere Städte Wien den Rang ablaufen könnten, keimten auf, haben sich aber nicht bewahrheitet. Wien hat stabil 160 bis 180 "Regional Headquarters", Prag oder Budapest jeweils 25. Nach der Finanzkrise hat sich aber vieles verändert. Die Ostfantasie ist verblasst. Unternehmen, die zu stark expandiert haben, ziehen sich wieder zurück. Jetzt muss man die Headquarterfunktion Wiens neu bewerten.

STANDARD: In welche Richtung kann es gehen?

Breinbauer: In den Konzernen fragt man sich, ob die eigenen Netzwerke noch richtig aufgestellt sind. Mit komplexen, weltweiten Beziehungen machen sie sich angreifbar. Störungen - durch eine Katastrophe wie Fukushima oder eine politische Krise wie in der Ukraine - möchte man aus dem Weg gehen. Eine weitere Entwicklung ist, dass Produktlebenszyklen immer kürzer werden. Man muss eine Innovation immer schneller auf den Markt bringen und verteilen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ab 2008 wurde die Produktion verstärkt nach Indien und China ausgelagert. Wenn ich in China produziere, brauchen die Waren auf dem Seeweg 30 Tage, bis sie in Europa ankommen. In dieser Zeitspanne kann es etwa bei Flatscreens bereits zu einem Wertverlust kommen.

STANDARD: Am Weltmarkt entsteht also ein Trend zur Regionalisierung?

Breinbauer: Ja, die Produktion könnte sich wieder näher an die Märkte verlagern. Hier stellt sich die Frage, ob die Konzentration Österreichs auf Mittel- und Osteuropa nicht einseitig ist. Ob man nicht diversifizieren sollte. Wir wollen nicht fragen, wie multinationale Unternehmen den Standort Wien sehen. Wir wollen uns in einem globalen Kontext fragen, auf welche Unternehmen sich Österreich und Wien zubewegen sollte. Wir wollen keine Konzerne herholen, die in zwei Jahren wieder weg sind. Wir wollen Konzerne ansprechen und herholen, die eine gewisse Nachhaltigkeit versprechen. Die können zum Beispiel auch aus Asien stammen.

STANDARD: Sie nannten Migranten als Vorteil. Wie helfen diese dem Standort?

Breinbauer: Die größten Sendeländer von Migranten nach Wien sind jene, in denen Österreich das meiste Geschäft macht. Es ist wenigen bewusst, dass die Zuwanderung auch die ökonomische Performance Österreichs in Mittel- und Osteuropa absichert. Die Frage ist, ob wir das nicht erweitern sollen. Ein Spediteur, der in Mittel- und Osteuropa tätig ist, kann in Wien alle Mitarbeiter finden, die die Landessprache der jeweiligen Zielländer sprechen. Wien ist der logische Platz für Geschäfte in diesem Raum, weil hier die Diversität am stärksten ausgeprägt ist. Die Unternehmen wissen die Zuwanderungssituation in Wien sehr wohl zu schätzen.

STANDARD: Sind Migranten auch in hochqualifizierten Bereichen gefragt?

Breinbauer: Bei den Logistikunternehmen ist genau das ein Thema. Es wurden aber einige Chancen vertan, die Migrationssituation als bewusstes Standortargument einzusetzen. Wir haben die Mittel- und Osteuropakompetenz nicht nur aus historischen Gründen, sondern auch wegen der Menschen, die aktuell hier leben und Netzwerke in ihren Herkunftsländer haben. Es würde ganz klar den Standort stärken, wenn die Politik stärker in die Bildung von Migranten investieren würde. Wien hat sich als Hub etabliert, muss aber an den Standortfaktoren weiterarbeiten.

STANDARD: Wien hat neben Stärken wie Lebensqualität auch Imageschwächen, was Weltoffenheit und Internationalität betrifft. Wirkt sich das auf den Standort aus?

Breinbauer: An erster Stelle jener Dinge, die noch intensiviert gehören, steht für mich Forschung und Entwicklung. Wie Migranten gesehen werden, ist aber auch ein Thema, an dem Wien stärker arbeiten könnte. Manager nehmen vor allem die Sichtweisen wahr, die in den Medien kolportiert werden. Auch wenn hochqualifizierte Zuwanderer nicht das Gefühl haben, persönlich diskriminiert zu werden - die Art, wie öffentlich über Migranten gesprochen wird, kann schon zum Gefühl führen, dass das nicht das optimale Umfeld ist. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 12.11.2014)