Computertomografie einer Amerikanischen Schnappschildkröte (Chelydra serpentina): Weiß dargestellt ist das Skelett, blau die Lungen und rot die Muskeln, die für die Luftventilation sorgen.

Grafik: Emma R. Schachner

Links das rund 260 Millionen Jahre alte Fossil von "Eunotosaurus africanus" aus Südafrika, rechts eine Schwarze Pelomedusenschildkröte (Pelusios niger).

Foto: Luke Norton

Die ausgestorbenen Vorfahren der heutigen Schildkröten hatten einen beweglichen Brustkorb und atmeten so wie wir, indem sich Lunge und Brustkorb abwechselnd ausdehnten und zusammenzogen. Weil sich ihre Rippen im Lauf der Evolution aber in einen Panzer umwandelten, entwickelten sie einen im Tierreich einzigartigen Mechanismus für die Atmung: Mit speziellen Muskeln sorgen sie für den Ein- und Ausstrom der Luft. Wie die Atmung dieser Kriechtiere im Lauf der Evolution entstanden ist, berichtet nun ein internationales Forscherteam im Fachjournal "Nature Communications".

Schildkröten sind durch ihren Panzer vor Feinden gefeit, jedoch mussten sie hierfür ungewöhnliche Anpassungen durchlaufen. "Kein anderes Tier habt solch eine Entwicklung durchlaufen", sagt Erstautor Tyler Lyson von der Smithonian Institution in Washington D.C. und vom Denver Museum of Nature and Science (USA). "Der Grund ist höchstwahrscheinlich, weil die Rippen bei den meisten Säugetieren, Vögeln, Krokodilen und Kriechtieren eine ganz entscheidende Funktion für die Atmung haben."

Vergleich mit Fossilien

Obwohl die Reptilien schon lange Gegenstand der Forschung sind, ist erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich gesichert, wie Schildkröten ohne Rippen atmen können. Die Muskeln für die Einatmung sitzen an den Flanken, wo sich auch die Beine der Tiere befinden. "Die Muskeln ragen kuppelförmig in den Panzer hinein. Wenn sie kontrahieren, werden sie flach", erklärt Koautor Markus Lambertz von der Universität Bonn. Durch das dann größere Volumen entsteht ein Unterdruck, der die Atemluft ansaugt. Andere Muskeln umhüllen den Eingeweidesack der Schildkröten und pressen beim Zusammenziehen gegen die Organe, wodurch die Luft wieder ausströmt.

Wie und vor allem wann dieser einzigartige Mechanismus entstanden ist, war bislang allerdings unklar. Um dieses Rätsel zu lösen, verglichen die Forscher nun die für das Ventilationssystem zuständige Muskulatur moderner und fossiler Arten. Das älteste Exemplar war ein rund 260 Millionen Jahre altes Fossil aus Südafrika.

Panzer entwickelte sich erst viel später

Der "Eunotosaurus africanus" genannte Vorläufer verfügte noch über Rippen, wies aber bereits eine Atemmuskulatur wie moderne Schildkröten auf. "Eunotosaurus africanus ist das fehlende Bindeglied zwischen dem frühen Bauplan von Reptilien und dem moderner Schildkröten - eine Art Archaeopteryx der Schildkröten", fasst Lyson das Ergebnis zusammen.

Durch den Vergleich noch lebender und fossiler Schildkrötenarten konnte das Forscherteam nun nachweisen, wie sich das ungewöhnliche Atmungssystem im Lauf der Jahrmillionen entwickelte: In dem Maße, in dem sich die Rippen dieser Kriechtiere zunehmend verbreiterten und den Rumpf versteiften, erwies sich die spezielle Atmung zunehmend als Vorteil.

In der Evolution entwickelte sich also zuerst der neuartige Atmungsmechanismus. Er erwies sich später als notwendige Voraussetzung für die Ausbildung eines schützenden Panzers. "In der Theorie ist natürlich klar, dass die Schildkröten nicht zuerst ihre Rippen umgestalteten und erst danach ihre Atmung anpassten", so Lambertz. Dass das Atemsystem aber bereits 50 Millionen Jahre vor dem Auftreten der ersten gepanzerten Schildkröten entstanden ist, sei dann doch überraschend. (red, derStandard.at, 10.11.2014)