Erinnerungen an die Zeit um 1960: Elisabeth Augustin, Falk Rockstroh, Barbara Petritsch, Dorothee Hartinger, Laurence Rupp und Sven Dolinski (von links). Das Thema der Burgtheaterpremiere: Eine Gruppe modernistischer Künstler erfindet in Maria Saal (Kärnten) das Leben neu.

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Christian Stückl, in Oberammergau Passionsspielleiter.


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STANDARD: Das Turrini-Stück "Bei Einbruch der Dunkelheit" nimmt sich wie ein Kommentar zu Thomas Bernhards Roman "Holzfällen" aus. Geschildert wird eine Künstlerkolonie in Kärnten, in Maria Saal. Ein Komponist und seine Frau halten eine Gruppe von Jungkünstlern aus; im wirklichen Leben befanden sich unter diesen Thomas Bernhard, H. C. Artmann, Gert Jonke und eben auch der junge Peter Turrini. Wie sehr hat das Wissen um die Geschichte des Ehepaares Lampersberg für Ihre Inszenierung eine Rolle gespielt?

Christian Stückl: Zuerst bekam ich einen Anruf von Frau Bergmann. Turrini wird 70, sie hätten dieses Stück. "Sie haben mitbekommen, Herr Stückl, dass hier eine große Umwälzung stattfindet. Es ist eine Position frei, und an diese wollen wir das Turrini-Stück setzen, haben Sie Lust?" Ich habe das Stück gelesen und überhaupt nichts über die Ausgangssituation gewusst. Im ersten Augenblick dachte ich: 'Das schrampft so dahin!', der Text läuft auf einem eigenartigen Level, von dem ich nicht wusste: Was wollte der Turrini jetzt da?

STANDARD: Würden Sie sich als Turrini-Kenner bezeichnen?

Stückl: Ich habe seit Jahren keinen Turrini mehr gelesen. Als ich in den 1990er-Jahren Anfänger an den Münchner Kammerspielen war, da sind einem Die Minderleister begegnet, Josef und Maria, Die Rozznjogd. Bei uns draußen war es um ihn zuletzt stiller geworden. Beim Lesen dachte ich mir: Mit den ersten Stücken hat das wenig zu tun. Was beschreibt er da für eine Gesellschaft? Wie steht er hinter den einzelnen Figuren? Klarheit gab es für mich erst nach dem zweiten Anlauf, wobei es zuerst einmal gut war, nichts vom Skandal um Holzfällen zu wissen, vom Thonhof in Maria Saal, von Lampersberg, der mir bis heute nicht viel sagt. Das ist auch die Ausgangsposition, aus der heraus man das Stück machen kann. Da drinnen jetzt Thomas Bernhard oder H. C. Artmann nachzubauen oder Lampersberg und seine Frau - dös interessiert mi' jetzt ned.

STANDARD: Stattdessen?

Stückl: Was treibt diese Gesellschaft, was diskutiert sie, wie macht sie sich selber kaputt? Im ersten Augenblick war ich mit dem dritten Akt bei Werner Schwab, bei dessen Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos. Das Stück mit Frau Grollfeuer und ihrem Mietshaus. Mit dem Bild eines solchen Hauses im Kopf habe ich versucht, an das Turrini-Stück heranzugehen.

STANDARD: Was wäre die Parallele?

Stückl: Sowohl beim Schwab als auch beim Turrini gibt es einen Impuls, aus Selbsterlebtem zu schöpfen. Ich habe mit Turrini viel geratscht, war überrascht, wie er fast jede Geschichte aus der Erinnerung heraus geschrieben hat. Ich habe gesagt: "Herr Turrini, Sie haben sich einmal wahnsinnig aufgeregt über den Thomas Bernhard, weil der gegen den Lampersberg vorgegangen ist ...!"

STANDARD: Bernhard hat Lampersberg in "Holzfällen" verunglimpfend porträtiert.

Stückl: "Wenn ich mich in die Figur des 15-jährigen Alois hineindenke, so habe ich das Gefühl, Sie sind genauso wenig nett zu Lampersberg. In dem Stück wird schließlich über Kindesmissbrauch erzählt. Sie sind um nichts freundlicher, als es Bernhard damals war!"

STANDARD: Um was geht es dann in dem Stück? Ist das Künstlermilieu, in dem das Stück spielt, nur ein Vorwand, um über das Grässliche zu erzählen, das Menschen einander zufügen?

Stückl: Die Lampersberg-Figur geht einmal mit dem Satz von der Bühne: "Ich verabschiede mich jetzt aus der Kunstdebatte!" Ich habe ja manchmal das Gefühl, wenn wir Kunstdebatten führen, dass sie zu nichts führen. Wir kommen nie weg vom privaten Verständnis der Dinge. Versuche ich, eine These in die Welt zu stellen, kommt ein anderer daher, hinterfragt oder widerlegt sie. In Bei Einbruch der Dunkelheit wird viel über Kunst geredet - und die Figuren kommen keinen Schritt weiter in ihrer Kunst. Uns geht es am Theater nicht viel anders. Behauptungen werden an die Bühnen herangetragen, es wird ununterbrochen diskutiert. Wir treten ziemlich oft auf der Stelle. Womöglich trifft Turrini hier einen Sachverhalt, der für uns Künstler in besonderer Weise gilt.

STANDARD: Sie sind erfolgreicher Theaterintendant am Münchner Volkstheater. Wie sind Sie mit der aktuellen Burgtheaterkrise in Berührung gekommen?

Stückl: Matthias Hartmann und ich haben ja eine gemeinsame Münchner Vergangenheit. Er war in den 1990er-Jahren am Residenztheater engagiert, ich an den Kammerspielen. Die zwei Jungregisseure der Stadt! Wir sind nebeneinander aufgewachsen.

STANDARD: Sie überquerten die Straße, um einander zu treffen.

Stückl: Ja, genau, wir taten dies aber selten. Zurück zu Ihrer Frage, ich habe in einem Interview gesagt: In einer Situation, wo wir wissen, dass alle Städte sparen müssen, jedem Theater die dritte, vierte Konsolidierungsrunde auferlegt wird, müssen wir extrem verantwortungsvoll umgehen. Ganz rasch sind diejenigen am Schreien, die sagen: Unsere Steuergelder werden für so etwas verbraten! Unsere Form des Theaters im deutschsprachigen Raum können wir nur halten, wenn wir pflichtbewusst agieren. Wurde mir in München ausgerichtet, ich dürfe keine Kollegenschelte betreiben, habe ich gesagt: Ich mache keine Kollegenschelte, weil ich gar nicht die Umstände kenne.

STANDARD: Und als Sie in Wien zu arbeiten begannen?

Stückl: Habe ich schon bis 15. Oktober mitbekommen, dass eine große Unruhe herrscht. Du hast keine drei Minuten die Probe unterbrechen können, waren die Schauspieler thematisch schon wieder bei der Situation. Ich war froh, als endlich Klarheit herrschte darüber: Frau Bergmann macht's jetzt - was nicht die schlechteste Lösung ist, weil es erst einmal Ruhe ins Haus bringt. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 11.11.2014)