"Ich weiß nicht, was das mit einer Seilschaft zu tun hat", sagt Florian Tursky. Der ehemalige Präsident des Österreichischen Cartellverbands (ÖCV) antwortet schnell, seine Aussagen wirken trotzdem wohlüberlegt. Nur einmal während des Interviews kommt er ins Stocken. Was den 26-Jährigen aus dem Konzept gebracht hat? Die Frage, ob es sich beim ehemaligen Vizekanzler Michael Spindelegger und seinem Kabinett um eine Seilschaft des CV handelte.

Immer wieder wird dem ÖCV und seinen Verbindungsmitgliedern vorgeworfen, sie würden sich gegenseitig Posten zuschanzen, Freunderlwirtschaft betreiben und im Klandestinen netzwerken. Die CVer, mit denen wir sprechen, haben wenig Verständnis für solche Anschuldigungen. So auch Tursky, der allerdings kein Problem damit hat zuzugeben, dass er sich in beruflichen Belangen gerne auf Cartellbrüder verlässt.

"Ich bin kein öffentlicher Auftraggeber, aber ich weiß bei den Leuten aus dem Cartellverband (...) sehr gut Bescheid", sagt Florian Tursky (rechts), der ehemalige Präsident des ÖCV, über die Anwerbung von Cartellbrüdern in der Wirtschaft. Links neben ihm: sein Nachfolger Lorenz Stöckl.
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Tursky ist Standortleiter bei der PR-Agentur P8 Hofherr in Wien. Neben ihm und Geschäftsführer Georg Hofherr sind dort noch drei weitere CVer tätig. Dass das Netzwerk von CVern bei der Besetzung von Posten hilfreich ist, ist schwer zu beweisen. Der Verdacht, dass eine Mitgliedschaft zumindest nicht schadet, drängt sich aber in bestimmten Fällen auf – so zum Beispiel bei Turskys Arbeitgeber. Das mag bei privaten Unternehmen zumindest rechtlich kein Problem darstellen, wird aber schnell bedenklich, wenn es um die Besetzung von Posten im öffentlichen Dienst oder in der Verwaltung geht. Gerade zu diesem Zweck werden solche Netzwerke jedoch gesponnen: um ihren Mitgliedern einen Vorteil zu verschaffen, den Menschen, die außerhalb dieser geschlossenen Gruppe stehen, nicht haben.

"Der ÖCV wurde vor 150 Jahren gegründet, um Einfluss zu nehmen. Und ich glaube, dass er das heute noch tut, durch seine Mitglieder", sagt Tursky. Als Seilschaft will er den Cartellverband aber nicht bezeichnen. Sein Nachfolger als ÖCV-Präsident, Lorenz Stöckl, gibt zwar zu, dass es "viele Alte Herren gibt, die man kennenlernt, die in wichtigen Positionen sitzen und mit denen man sich Du auf Du unterhalten kann". Er fügt jedoch hinzu: "Das heißt aber nicht, dass diese einem nach dem Studium automatisch einen Job besorgen. Diese Zeiten sind – leider, muss man sagen – für uns vorbei."

"Naturgemäß ist im Prinzip der Lebensfreundschaft ein wesentlicher Kern des Netzwerkens verankert." Dieter-Anton Binder, Historiker an der Universität Graz

Die CVer wehren sich in den Interviews vehement gegen den Vorwurf, Teil einer Seilschaft zu sein. Vielmehr heben sie die positiven Aspekte ihres Netzwerks hervor. Gerhard Hartmann ist Mitglied mehrerer ÖCV-Verbindungen und Verfasser zahlreicher Bücher über den Cartellverband. Seiner Meinung nach sind die Anschuldigungen heuchlerisch: "Jedem Netzwerk wird vorgeworfen, dass es ein Machtnetzwerk ist, das ist logisch. Es wird zwar in der Unternehmensführung propagiert, sich mit Netzwerken zu versehen, aber wenn es dann ein konkretes gibt, ist das auch wieder nicht gut." Letzten Endes seien es immer Leistung und Qualifikation, die bei einer Postenbesetzung entscheidend seien. Wie Hartmann meint: "Wichtig ist, dass es keine Patronage seitens der Alten Herren gibt. Man kann nicht jemanden fördern, nur weil er beim CV ist. Wenn man jemanden fördert, muss der genauso qualifiziert sein wie jemand anders."

Dass man sich aber auch im beruflichen Umfeld mit Männern umgibt, die man bereits seit langem kennt, eventuell auch aus der gemeinsamen Verbindung, hält Hartmann für unproblematisch: "Wenn jemand in einer Führungsposition einen Mitarbeiter sucht und bei der Auswahl aus drei Bewerbern mit gleicher Qualifikation den bevorzugt, mit dem ihn dieses Grundvertrauen verbindet, darf man so etwas niemandem verdenken. Denn er muss mit diesem Menschen zusammenarbeiten und nicht die anderen." Dass solche Prozesse systematisch ablaufen, glaubt Hartmann sowieso nicht. "Wir kennen uns, und wir helfen uns", sagt er knapp.

In den Vorständen und Aufsichtsräten der untersuchten Unternehmen ist der Anteil der CVer recht unterschiedlich.

Die Mitglieder der ÖCV-Verbindungen gehen in die Wirtschaft, und die Wirtschaft schickt etwas an den CV zurück. Zum Beispiel in Form von Inseraten in der verbandsinternen Zeitschrift "Academia". So schaltete die Uniqa-Versicherung im Jahr 2013 Werbung im Wert von 19.800 Euro. Die gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft Alpenland, in deren Vorstand Michael Spindelegger in den Jahren 2008 und 2009 saß, gab laut Preislisten der "Academia" 5.400 Euro aus und inserierte in allen sechs Ausgaben.

"Medien machen Macht"

Der Österreichische Cartellverband und seine Verbindungen vertreten klar definierte Werte. Für eine solche Organisation ist es immer von Interesse, Mitglieder in Positionen zu wissen, die die öffentliche Meinung mitbestimmen und bilden – zum Beispiel in Medienhäusern. Gerade in diesem Jahr, in dem das Motto des Vorortes "Medien machen Macht" lautet, ist man sich dessen beim CV bewusst. Die Mai-Ausgabe der "Academia" wurde deshalb dem Thema "Zukunft der Zeitung" gewidmet. Darin zu finden sind unter anderem die Meinungen von und Interviews mit "NZZ Österreich"-Chefredakteur Michael Fleischhacker und den Cartellbrüdern Gerald Grünberger (Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen), Nikolaus Koller (Studiengangsleiter Journalismus und Medienmanagement an der FH Wien) und Michael Tillian (ehemaliger Geschäftsführer von "Die Presse" und "Wirtschaftsblatt"). Während Tillians Zeit bei der "Presse" entstand auch die Idee einer Kooperation zwischen der Tageszeitung und dem CV. Diese wurde auch auf der Website des Cartellverbands angekündigt.

Von "Chancen und Vorteilen für alle Cartellbrüder" ist da zu lesen, ebenso von einer "stärkeren Vernetzung zwischen unserem Verband, seinen Mitgliedern und den bürgerlichen Medien" – ein exklusives Angebot von einem CVer an seine Cartellbrüder. Michael Tillian sieht darin nichts Verwerfliches: "Wir haben viele Kooperationen mit unterschiedlichsten Hintergründen. Manchmal eben auch mit Praktikumsmöglichkeiten, zum Beispiel mit dem ÖCV, dem Außenministerium, Whatchado, der YPD-Challenge et cetera." So wie die anderen CV-Mitglieder streicht auch Tillian hervor, dass Leistung und Qualifikation an oberster Stelle stünden, wenn es um Einstellungen gehe. "Wir wählen die Menschen, die bei uns letztlich ein Praktikum machen, immer ausschließlich nach professionellen Kriterien aus." Allzu viele CVer dürften den Ansprüchen nicht genügt haben. Laut Tillian hat lediglich ein Verbindungsmitglied einen Praktikumsplatz in der Geschäftsführung erhalten. Auf die Unabhängigkeit und Integrität des Hauses wirkt sich so eine Besetzung Tillian zufolge nicht aus.

Medien und ÖCV.

Etwas anders sieht das "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak: "Das war eine unglückliche Formulierung. Es gibt keine Kooperation und es gibt in der 'Presse'-Redaktion auch keinen ÖCV-Praktikanten." Laut Nowak gab es, nachdem der Artikel auf der ÖCV-Website erschienen war, ein Gespräch mit dem Redaktionsausschuss, in dem beschlossen wurde, dass eine solche Bevorzugung nicht möglich sei. "Was es gab, war ein Gespräch zwischen Herrn Tillian, dem CV und mir, bei dem es um Abos gegangen ist. Das machen wir mit anderen Vereinen auch", sagt er.

Zwei Mitglieder der "Presse"-Redaktion, die anonym bleiben wollen, erzählten jedoch unabhängig voneinander, dass die Kooperation intern für Aufruhr gesorgt habe und erst nach Beschwerden der Redaktion zurückgezogen worden sei. Das Erwägen einer solchen Kooperation sagt jedenfalls viel über das Selbstverständnis des CV aus und zeigt, wie das Netzwerk nach Meinung der Mitglieder funktionieren sollte: Ein Alter Herr erleichtert den jungen Burschen den beruflichen Einstieg. Fest steht auch, dass es Personen gibt, die in ihrem Berufsleben immer wieder zu Stationen gelangen, an denen sie auf Cartellbrüder treffen.

Das Leben des Hans Magenschab

Hans Magenschab ist so eine Person. Lange Zeit war der heute 77-Jährige Pressesprecher des ehemaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil. Die beiden lernten einander in der gemeinsamen Verbindung, der Bajuvaria, kennen. Vor seiner Zeit als Pressesprecher war Magenschab, der Rechts- und Staatswissenschaften studiert hat, als Journalist beim ORF tätig. 1970 wechselte er zur "Furche". Die Wochenzeitung wurde 1945 von Friedrich Funder, Mitglied bei der Verbindung Carolina, unter dem Namen "Kulturpolitische Wochenschrift" gegründet. In den Jahren 1975 und 1976 war Magenschab "Furche"-Chefredakteur. Auch einer seiner Nachfolger als Chefredakteur, Hubert Feichtlbauer, ist Mitglied einer ÖCV-Verbindung. Die "Furche" steht für ähnliche Werte wie der ÖCV. Wenig verwunderlich also, dass dort in der Vergangenheit Cartellbrüder auch in führenden Positionen zu finden waren.

"Der CV hat mir in meinem beruflichen Leben im Großen nicht weitergeholfen. Grundsätzlich hängt das aber damit zusammen, dass man als Journalist immer verdächtigt wurde, dass man als Verbindungsmitglied eine Pro-Stellung oder -Haltung einnimmt zu einer Bewegung wie dem CV. Oder dass man als Journalist nicht dem Objektivitätsgebot folgt und hier subjektive Gesichtspunkte eine Rolle spielen", sagt Magenschab und erklärt, dass er immer versucht habe, den CV aus dem Spiel zu lassen.

Die nächste berufliche Station Magenschabs war die NEWAG-NIOGAS (heute Energie-Versorgung Niederösterreich, EVN). Als Pressechef war er dort mit der medialen Aufarbeitung des Baus des Atomkraftwerks Zwentendorf und der Folgen beschäftigt. Die EVN gilt schon seit langer Zeit als Anlaufstelle für CVer. Im Mitgliederverzeichnis des ÖCV befinden sich 30 Personen, die bei der EVN tätig sind oder waren – unter ihnen beispielsweise der amtierende Vorstandsdirektor Peter Layr, Aufsichtsratspräsident Burkhard Hofer und der ehemalige Generaldirektor Rudolf Gruber.

1994 wurde Magenschab Pressesprecher des CV-Kollegen und Bundespräsidenten Thomas Klestil. Die beiden kannten einander nicht nur von gemeinsamen Abenden auf der Bajuvaria-Bude, bald hatten der Journalist und der sieben Jahre ältere Politiker auch geschäftlich miteinander zu tun. "Er war Botschafter in Washington und bei der UNO in New York, und ich habe mit ihm zu tun gehabt, zum Beispiel bei der Waldheim-Auseinandersetzung", sagt Magenschab. Klestil war in dieser Zeit eine wichtige Auskunftsperson für den Journalisten, und sie hatten oftmals miteinander telefoniert. An die wohl wichtigste Begegnung erinnert sich Magenschab noch gut:

"Ich habe ihn nach der Wahl Klestils in der Herrengasse getroffen. Er hat mich direkt heraus gefragt: Ich bin auf der Suche nach einem Mitarbeiter, der den journalistischen Bereich bearbeitet. Interessiert dich das? So ist es passiert, also da gab es keine geheimen Geschichten. Wäre ich nicht beim CV gewesen, dann hätte er mich wahrscheinlich genauso engagiert."

"Wäre ich nicht beim CV gewesen, dann hätte er mich wahrscheinlich genauso engagiert", schildert Hans Magenschab, der ehemalige Pressesprecher von Thomas Klestil, wie es zu seinem Engagement kam.
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In den Gesprächen streiten die CVer einhellig ab, dass sie persönliche Vorteile aus dem bestehenden Netzwerk ziehen. Oft können sie die Vorwürfe nicht einmal nachvollziehen. Für Kritiker besteht jedoch kein Zweifel: Bei den ÖCV-Verbindungen geht es nicht nur um das Erleben eines Gemeinschaftsgefühls, sondern auch darum, das berufliche Fortkommen durch Kontakte zu forcieren. "Lebensfreundschaft ist in Wahrheit nichts anderes als die Verpflichtung innerhalb des CV zur gegenseitigen beruflichen Unterstützung. Und das ist dann der Beginn der Protektionswirtschaft", sagt der emeritierte Universitätsprofessor Werner Doralt. Harald Katzmair sieht die Sache etwas nüchterner: "Sie werden in einer Organisation, die so groß wie der Cartellverband ist, alle Formen finden. Es wird sicher auch Seilschaften geben, es gibt definitiv Leute, die ich der Elite zuordnen würde, und manche davon sind zweifelsohne auch mächtig."

Der Netzwerkexperte Harald Katzmair über die Seilschaften im CV.
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Katzmair ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter von FAS Research und analysiert Elite- und Machtnetzwerke. Seiner Meinung nach funktionieren Seilschaften in den unterschiedlichsten Bereichen. Sie seien in Umfeldern, in denen es Veränderungen gibt, aber nur bedingt funktionabel und entwicklungsfähig. Außerdem ist er davon überzeugt, dass man nicht von "dem" CV sprechen kann. Zu vielfältig seien die Einstellungen und Meinungen der einzelnen Mitglieder, deshalb sei es auch schwierig, von einem Machtnetzwerk oder institutionalisierten Seilschaften zu sprechen. Es hänge viel von Einzelpersonen ab, die ihre persönlichen Interessen vertreten, die aber natürlich deckungsgleich mit den Werten des ÖCV sein können. Der Fortschritt mache aber vor dem etwas antiquiert wirkenden Cartellverband ebenfalls nicht halt. "Grundsätzlich ist auch der Cartellverband davon betroffen, dass es im Jahr 2014 andere Strömungen, andere Netzwerke gibt, die am Ende die Aufmerksamkeit, die psychophysische Präsenz der Menschen binden", sagt Katzmair.

Der Netzwerkexperte über die veränderte Bedingungen für den Cartellverband.
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Wie steht es also nun um den ÖCV als Seilschaft im beruflichen Umfeld? Die CVer selbst scheinen stolz auf ihr funktionierendes Netzwerk zu sein, ohne es für problematisch zu halten, dass man einander kennt und hilft. Fast scheint es so, als ob sie den guten alten Zeiten etwas nachtrauern, als das gegenseitige Unterstützen noch leichter fiel. Experten wie Harald Katzmair glauben, dass die großen Zeiten des CV vorbei sind. Andere, vor allem schnellere Netzwerke, sind an die Stelle der alten Strukturen getreten. Es mag vielleicht ein Rückzugsgefecht sein, das die Verbindungsbrüder kämpfen, doch vereinzelt mit großem Erfolg. Dabei sind diese Errungenschaften meist abhängig von einzelnen Personen. Michael Spindelegger war so eine Person, der es zustande brachte, Verbindungsbrüder um sich zu scharen, und das auf höchster politischer Ebene. Ob sein Nachfolger Reinhold Mitterlehner es ihm gleichtut, bleibt abzuwarten.

Aber auch in der zweiten Reihe, an den Höchstgerichten, in den Spitzenpositionen der Wirtschaft und den politischen Landesorganisationen, gibt es Häufungen von Verbindungsmitgliedern. Viele der CVer befinden sich dort aufgrund ihrer Qualifikation, aber nicht immer ausschließlich deshalb.