Absolvierten ein Heimspiel in Wels: die skandinavische Free-Improv-Supergroup The Thing

Foto: Petra Cvelbar

Wels – Nassgrau liegt der Novemberhimmel über Wels, die Straßen sind weitgehend menschenleer. Im knallbunten Graffiti-Gemäuer des Alten Schlachthofs herrscht hingegen reges Treiben. Die 28. Ausgabe des Festivals Music Unlimited lockt nationales und internationales Publikum in Scharen an.

Am Samstag dergestalt, dass Organisator Wolfgang Wasserbauer vor dem - Zitat – "Luxusproblem" stand, die Devise "ausverkauft" ausgeben und manch ticketlosem Interessenten den Einlass verwehren zu müssen. Das gut durchmischte Programm dieses Abends bot Abwechslung auf allen Ebenen, Geräuschvolles und Grooviges, Improvisiertes und Komponiertes, Altbewährtes und neu Erprobtes, Gelingen und Scheitern.

Eine erste Überraschung bedeutete das noch junge GIS Orchestra, zusammengestellt aus Profi- und Laienmusikern der Region, die sich der Praxis der dirigierten Kollektivimprovisation in der Nachfolge des Anfang 2013 verstorbenen Amerikaners Butch Morris widmen.

Gigi Gratt und Elisabeth Harnik zeigten, dass 23 spontan musizierende Menschen auf einer Bühne nicht Resultate von planloser Beliebigkeit zeitigen müssen, im Gegenteil: Gratt modellierte aus der orchestralen Klangrohmasse schlüssige, von harten Kontrasten und wuchtigen Akzentketten geprägte Soundscapes, in denen von Death-Metal-Vokalisen bis hin zur türkischen Saz vielfältige Stilingredienzien funkelten. Harniks Dirigat hingegen bedeutete insofern einen klugen Kontrapunkt, als sie die kollektiven Klänge in sanften, organischen Bögen choreografierte, bin hin zur finalen Klimax.

Unspezifischer Klangstrom

Dass andererseits drei Musiker ohne Gespür für die Notwendigkeit der Dialektik von Spannung und Entspannung mehr überschüssige und überflüssige Töne produzieren können als ein wohlangeleitetes Orchester, zeigte sich im norwegisch-niederländischen Trio von Maja Ratkje, Jaap Blonk und Lasse Marhaug: Der dramaturgiefrei fließende Klangstrom der beiden Vokalisten und des Soundelektronikers blieb in der Aussage zu unspezifisch.

Quasi ein Heimspiel absolvierte in Wels die seit 14 Jahren operierende skandinavische Free-Improv-Supergroup The Thing: Während sich die kraftvollen Akzentkontinuen von Bassist Ingebrigt Håker Flaten und Drummer Paal Nilssen-Love auf immer neue und groovige Weise ineinander verzahnten, klinkten sich die Saxofonisten Mats Gustafsson und – als Gast mit dabei – Ken Vandermark wiederholt in die Rhythmusarbeit ein und erhöhten so die Sogwirkung. Um dann etwa in John Coltranes India ihre wie in einem Druckkochtopf brodelnden Energien in unwiderstehlicher eruptiver Ekstatik hervorbrechen zu lassen.

Im letzten Konzert des Abends kam Mats Gustafsson hingegen mit den Akustik-Techno-Virtuosen von Elektro Guzzi nicht wirklich auf einen gemeinsamen Nenner. Nur momentweise wurde das Potenzial dieser mit Spannung erwarteten Bühnenpremiere angedeutet: Hätte Gustafsson anstatt der eher uninspirierten melodischen Phrasen den Rhythmiker in sich aktiviert und perkussive Staccati auf den groovigen Beats tanzen lassen, mehr wäre möglich gewesen. (Andreas Felber, DER STANDARD, 2014.11.10)