Wien – Palästina ist ein Armageddon der Diplomatie und der Politik. Wo nichts mehr zu helfen scheint, wird jeder neu anmutende Schritt zum Ausdruck der Hoffnung. Sei es auch nur im Versuch, einander an den Armen zu fassen und zu tanzen, bis sich das Verfahrene und Zertrümmerte in den Köpfen zu lockern beginnt.
So stürzen sich zehn palästinensische Tänzerinnen und Tänzer unter der künstlerischen Leitung von Koen Augustijnen, Rosalba Torres Guerrero und Hildegard De Vuyst der flämischen Compagnie Les Ballets C de la B in den levantinisch-arabischen Volkstanz Dabke. Badke heißt ihr Stück, das am Wochenende im Tanzquartier Wien zu sehen war.
Der Titel ist eine Verdrehung der Bezeichnung Dabke, denn der alte, stets Gemeinschaftlichkeit unterstreichende Tanz erfährt hier eine mitreißende Erweiterung. Badke beginnt auf verdunkelter Bühne mit durch einzelne Stimmlaute unterstütztem rhythmischem Stampfen. Erst wenn langsam das Licht aufglimmt, wird im nebelverhangenen Raum eine Reihe sich bewegender Gestalten erkennbar, aus der löst sich eine Frau, um ein Solo zu zeigen.
Von da an entwickeln die ganz alltäglich gekleideten jungen Frauen und Männer zum Soundtrack von Sam Serruys ein Zusammenspiel aus vitaler Energie und emotionalem Aufbruch, das individuelle und gemeinsame Präsenz feiert, als ob es weder ein Gestern noch ein Morgen gäbe. Die Musik gibt eine Dynamik vor, in der sich östliche Tradition und westlicher Pop mischen.
In Badke geht es um den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Aber nicht um die Darstellung von Desasterpolitik, Krieg und Propaganda, sondern um ein Eintauchen in die Gefühle jener, die sich nicht mit den Todesstrategien ritualisierter Feindseligkeit abfinden wollen. Daher gibt es keine Bombengeräusche, keine Bilder von Opfern, weder Angriffs- noch Verteidigungspolemik.
Störungen im Überschwang
Da tanzt, um es mit einer Metapher zu beschreiben, das nackte Leben den alltäglichen Schrecken an die Wand, wo dieser Schrecken dann stehenbleibt und auf die Szene stiert. Bei Badke wird also nichts verdrängt, sondern all das Grauen des unendlichen Nahostkonflikts mit neuem Mut angefasst, gewendet und sozusagen "enttanzt". In den anfänglich fröhlichen Überschwang mischen sich mit der Zeit störende Momente: Unterbrechungen der Musik, Babyweinen in den temperamentvollen Rhythmen, ein inszenierter Stromausfall, Gesten der Abwehr und des Sichschützens. Erst am Ende schlagen Momente der Erschöpfung durch, ermatten die Bewegungen, stumpft die Musik ab.
Unter den Tanzenden befindet sich auch als starke Präsenz Farah Saleh, die vergangenen Mai als Artist in Residence des Tanzquartiers Proben ihrer eigenen Arbeit präsentiert hat. Saleh ist seit vier Jahren Mitglied der Sareyyet Ramallah Dance Company, für die sie 2013 das Gruppenstück Ordinary Madness choreografiert hat. Der Umgang mit dem Krieg in ihrer Heimat hält Saleh und ihre Mitdarsteller in einem festen Griff, dem sie sich entschlossen zu entwinden suchen. Das Wiener Publikum reagierte mit begeistertem Applaus. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 10.11.2014)