Der Filmemacher und Fotograf Wim Wenders als Motiv in der monumentalen Fotokunst Sebastião Salgados, in der sonst häufig die Schrecken von Vertreibung und Genozid dokumentiert werden.

Foto: Thimfilm/Salgado

STANDARD: Herr Wenders, Sie besitzen selbst zwei Bilder von Sebastião Salgado. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen dem Sozialfotografen und dem Naturfotografen Salgado beschreiben?

Wim Wenders: Die beiden Aspekte sind schwierig in ein Verhältnis zu setzen. Als Sozialfotograf ist Sebastião Salgado mehrfach an sein Ende gekommen und irgendwann auch daran zerbrochen. Viele andere wären womöglich zu Zynikern geworden und hätten einfach weitergemacht. Sebastião aber hat aufgehört und ist - durch seine Erfahrung und seine Wahrnehmung der Natur - dazu gekommen, noch einmal neu anzufangen. Es ist etwas ganz anderes, in Krisengebiete zu reisen und Hungersnöte und Kriege zu dokumentieren, als die Orte aufzusuchen, die noch aussehen wie zu Anbeginn der Zeit. Das eine hat das andere abgelöst.

STANDARD: War diese Umorientierung für ihn eine Art Genese?

Wenders: Ja, es war auch ein Heilungsprozess. Das Land, die Natur und die Wälder, die er gepflanzt hat, haben ihn von dem Trauma, so viele Tote fotografiert zu haben, geheilt. Ich denke, er war anfangs gar nicht darauf gefasst, dass dieses neue Interesse so ein großes Abenteuer für ihn bedeuten würde. Mit dem Projekt Genesis, an dem er über acht Jahre gearbeitet hat, hat er ein neues Kapitel in der Naturfotografie aufgemacht.

STANDARD: Es geht Ihnen in "Das Salz der Erde" darum, den Menschen hinter den Fotografien zu zeigen. Sie teilen sich die Regie mit Salgados Sohn Juliano.

Wenders: Sebastião hat sich mit Haut und Haar seiner Arbeit verschrieben. Er ist nicht nur in diese Gebiete geflogen, hat ein paar Fotos geschossen und ist danach wieder abgereist. Er ist jahrelang vor Ort geblieben und war immer noch da, als alle anderen schon wieder weg waren. Diese Beharrlichkeit zeichnet seine Arbeit aus. Die Mehrheit der Sozialfotografen versucht, sich diesen Umständen nicht auszusetzen. Sebastião hat in all den Jahren aber immer seine Familie gehabt. Und nur weil es diesen Rückzugsort gab, konnte er sich überhaupt so schutzlos da hineinbegeben. Wenn sich jemand so in seine Arbeit stürzt, kann man den Menschen von seinen Fotografien nicht mehr trennen.

STANDARD: Sie selbst unterscheiden zwischen dem Filmemacher und dem Fotografen Wim Wenders, das überrascht mich. In Ihren Filmen greifen Sie das Thema Fotografie ja immer wieder auf.

Wenders: Ich glaube, es würde die beiden gar nicht mehr geben, wenn ich sie nicht voneinander trennen würde. Schon vom Kopf her ist es etwas völlig anderes: etwas erzählen zu wollen, also eine Geschichte mit Schauspielern, einem Drehbuch und einer großen Maschinerie letzten Endes an einen Ort zu tragen, oder ohne Geschichte anzufangen, ohne Team, ohne Unterbau, ganz alleine, und die Geschichten, die ein Ort mir erzählt, aufzuspüren.

STANDARD: Sie genießen die Freiheit des Fotografierens?

Wenders: Ja, aber auch das Hören und Zuhören. Ich benutze die Kamera wie ein Tonbandgerät.

STANDARD: Also würden Sie die Fotografie eher mit der Arbeit an Dokumentarfilmen vergleichen?

Wenders: Der Trick ist in beiden Fällen, unsichtbar zu werden. Als Erzähler hinter der Geschichte zu verschwinden ist eine Technik, die man sich aneignen muss. Die Frage lautet: Wo ist die Grenze zwischen dem Privaten und dem Persönlichen? Das Private ist der Gegenstand von Promi-Magazinen, das Persönliche ist der Bereich der Kunst. Nur die Menschen, die bis an die Grenze von dem gehen, was persönlich möglich ist, ohne dabei privat zu werden, können Geschichten von allgemeiner Relevanz erzählen. Etwas erzählen, was nichts mit mir zu tun hat, ist wieder eine eigene Technik. Das macht im Prinzip das Hollywood-Kino.

STANDARD: Sie müssen sich also auch nach vierzig Jahren noch regelmäßig überprüfen?

Wenders: Immer. Manchmal möchte man näher heran an die Grenze, weil man denkt, etwas könnte relevant sein, um den Gegenstand in ein besseres Licht zu rücken. Zum Beispiel im Fall Salgado: Da ist ein Mann, der komplett für seine Fotografie lebt und sich damit identifiziert. Und dann lernt man ihn kennen und findet heraus, dass der ganze Mann undenkbar gewesen wäre ohne seine Frau. An diese Beziehung könnte man auch anders rangehen, aber dann liefe man Gefahr, das Sujet des Films - was trieb diesen Mann an? - aus den Augen zu verlieren. Ich habe versucht, die Beziehung zwischen Salgado und Lélia zu beschreiben, ohne aus dem Film ein Ehe-Porträt zu machen.

STANDARD: Welche Qualitäten zeichnet eine Fotografie aus, die ein Filmbild nicht besitzt?

Wenders: Das Filmbild funktioniert nur als Architektur von vielen Bildern. Natürlich gibt es immer wieder Einzelbilder, die ganz toll sind, die man dann aber besser rausnimmt, weil sie für sich gesehen so stark sind, dass sie das Gesamtbild aus dem Gleichgewicht werfen. "Kill your idols" ist eine wichtige Maxime im Schnitt. Ein Foto dagegen darf alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Es braucht die Zeit-Architektur des Filmbildes nicht, weil es alle Zeit in sich selbst hat. Sebastião wiederum ist ein Fotograf, der Architekturen entwirft. Für seine Arbeit Exodus bereiste er viele Länder, um von Vertreibung zu erzählen. Insofern könnte man Exodus fast wie einen Film sehen, der Bildband besteht aus Sequenzen.

STANDARD: Es gibt einen Leica-Werbespot mit Ihnen, in dem Sie über die haptischen Qualitäten und das emotionale Moment beim Fotografieren sprechen. Sie filmen seit Jahren digital, fotografieren aber analog. Worin besteht der Unterschied?

Wenders: Fotografieren besitzt ein sehr emotionales Moment. Denn es findet im Augenblick statt. Jede digitale Kamera hat einen kleinen Bildschirm; man ist beim Fotografieren bereits mit dem Produkt konfrontiert. Was mich völlig abtörnt, ist, das Bild zu sehen, bevor es geschossen ist. Der Akt des Fotografierens muss ein Geheimnis bewahren. In dem Moment, wo ich das Bild im Vorhinein sehe, ist der Dialog mit dem Ort beendet. Ab Freitag in den Kinos. (Andreas Busche, DER STANDARD, 10.11.2014)