Wien - In der ostukrainischen Rebellenhochburg Donezk hat es die heftigsten Gefechte seit der Einigung auf eine Waffenruhe Anfang September gegeben. In unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum war in der Nacht zum Sonntag Artilleriefeuer zu hören. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) äußerte Besorgnis über die Verlegung von Panzern und Truppentransportern in die Ostukraine.

Die Kämpfe in Donezk begannen gegen 02.00 Uhr nachts (01.00 Uhr MEZ) und dauerten zunächst unvermindert an. Am Sonntagmorgen waren die Gefechte weniger intensiv.

Bewohner berichteten zudem von Kämpfen am Flughafen. Dort ist es seit Mitte April immer weder zu Gefechten gekommen. Ein Bewohner sagte der Nachrichtenagentur AFP, er habe gesehen, dass sieben motorgetriebene Kanonen in Richtung des Flughafens sowie in Donezks Nachbarstadt, den Eisenbahnknotenpunkt Jassinuwata unterwegs gewesen seien.

Probleme mit Bergung

OSZE-Beobachter zur Überwachung der Waffenruhe hatten zuvor nahe der von prorussischen Rebellen kontrollierten Städte Donezk und Makijiwka Konvois mit Panzern, Truppentransportern und Haubitzen gesichtet, wie die Organisation in der Nacht mitteilte. Der Schweizer Außenminister und amtierende OSZE-Präsident Didier Burkhalter zeigte sich "sehr besorgt" über ein mögliches Wiederaufflackern der Gewalt in der Ostukraine. Er rief die Konfliktparteien auf, alles zu tun, um die vereinbarte Waffenruhe zu stabilisieren.

Die prorussischen Separatisten haben den Regierungstruppen indessen die gezielte Zerstörung von Wohnvierteln mit Brandbomben vorgeworfen. Mehrere Menschen seien verletzt worden, sagte in Donezk der Vizekommandant der Aufständischen, Eduard Bassurin, am Sonntag. Zwei Aufständische seien getötet, ein weiterer verletzt worden.

Nach Angaben Kiews wurden seit Freitag neun ukrainische Soldaten getötet. Die UNO gab die Zahl der Toten in den vergangenen sieben Monaten mit mehr als 4.000 an. Unterdessen erklärte der niederländische Außenminister Bert Koenders, dass die Opfer des im Juli über der Ostukraine mutmaßlich abgeschossenen Malaysia-Airlines-Flugzeugs möglicherweise nicht alle geborgen werden können. Derzeit sei nicht klar, "wann und sogar ob" die letzten neun Opfer geborgen und identifiziert werden könnten, sagte Koenders am Samstag bei einem Besuch der Unglücksstelle. Fünf Särge mit den sterblichen Überresten von Opfern trafen unterdessen in den Niederlanden ein. Da 193 der 298 Todesopfer Niederländer waren, leitet Den Haag die Ermittlungen.

USA als Krisenvermittler

Der russische Außenminister Sergej Lawrow ging nicht näher auf den Vorwurf der ukrainischen Führung ein, wonach am Freitag 32 Panzer und andere Militärfahrzeuge aus Russland in die Ostukraine eingedrungen sein sollen. US-Außenamtssprecherin Jennifer Psaki hatte zuvor ebenso wie die NATO erklärt, dass keine unabhängige Bestätigung für Kiews Darstellung vorliege. Als Lawrow nach einem Treffen mit US-Außenminister John Kerry in Peking um klärende Informationen gebeten wurde, sagte er knapp: "Wenn Psaki keine hat, habe ich auch keine."

Zugleich forderte Lawrow die US-Regierung trotz gravierender Meinungsunterschiede auf, sich im Ukraine-Konflikt als Krisenvermittler einzubringen. Wenn Washington zur Entschärfung der Lage und zum "Dialog" zwischen den Konfliktparteien beitragen wolle, wäre das ein "Schritt in die richtige Richtung".

Gorbatschow kritisch

Nach den Worten des ehemaligen sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow befindet sich die Welt "an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg". Gorbatschow, der eine wichtige Rolle beim Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren spielte, warf dem Westen und der NATO im Schweizer Rundfunksender RTS vor, im Zuge des Ukraine-Konflikts "neue Mauern" errichten zu wollen.

Der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) sprach sich für einen Neuanfang in den Beziehungen zu Moskau aus. Angesichts von Bedrohungen wie der durch die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) seien die gemeinsamen Interessen mit Russland "erheblich größer" als die Differenzen, sagte Genscher der "Bild am Sonntag". (APA, 9.11.2014)