Dringend gesucht: ein neuer bewohnbarer Planet für die Menschheit. Astronaut Cooper (Matthew McConaughey) bricht in "Interstellar" auf eine lange Reise auf, bei der er auch emotional an Grenzen stößt.

Foto: Warner

Vorbei ist die Verlockung der unendlichen Weiten: In "Interstellar" dominiert die Tristesse.

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Die Weltallträume haben fürs Erste ausgedient. Die Menschen müssen in schwierigen Zeiten vor der eigenen Türe Staub kehren. Mit dieser Prämisse geht Christopher Nolans Science-Fiction-Filmdrama Interstellar zu Beginn einigermaßen ernüchtert auf das Genre zu. Die Erde wird von Sandstürmen heimgesucht, die Nahrungsressourcen werden immer knapper, bald wird auch der Maisanbau nicht mehr möglich sein. In dieser brenzligen Situation gewinnt man nichts davon, in die Sternen zu schauen. Cooper (Matthew McConaughey), der einst bei der Nasa beschäftigte Held des Films, muss erfahren, dass die Mondlandung in Schulen inzwischen als Fake im Lehrplan aufscheint: ein Mittel, mit dem die Sowjetunion in wahnwitzige Ausgaben gestürzt wurde.

Dass sich Interstellar in weiterer Folge doch zur Space-Opera aufschwingen wird, liegt daran, dass sich Nolan an einer "Ehrenrettung" der bemannten Raumfahrt, an der Beschwörung eines fast anachronistischen Abenteuergeists versucht. Der britische Filmemacher ist dafür der prädestinierte Regisseur, er kann es sich seit der Dark-Knight-Trilogie und persönlicher grundierten Action-Traumspielen wie Inception wie kaum ein anderer leisten, ausschließlich in großen Zahlen zu denken. Er ist der "auteur" des Blockbusters, mit all den Paradoxien, die so ein Titel mit sich bringt. Kein anderer Film hat diesen Herbst mehr Aufmerksamkeit im Vorfeld des Starts ausgelöst. Fast konnte man meinen, die Menschheit fieberte einer realen Weltraummission entgegen.

Tatsächlich erscheint das Kino nunmehr für das zuständig, was im realen Leben längst zu teuer oder zu utopisch gilt. Alfonso Cuaróns Oscar-prämiertes Raumfahrtsdrama Gravity nutzte 2013 die aktuellen Möglichkeiten des digitalen Films, um ein minimalistisches Überlebensdrama in Schwerelosigkeit (und 3-D) zu entwerfen. Bei der Arbeit handle es sich gar nicht um Science-Fiction, behauptete der Regisseur wiederholt - die Mission würde sich schließlich nicht in futuristischen Settings abspielen. Einerlei, worauf man sich einigt: Gravity steht für einen neuen Realismus des Genres, das einmal die letzte Grenze der menschlichen Zivilisation in den Weiten ferner Galaxien suchte. Cuarón erzählt von Krisenmanagement unter Sternen mit einer Dosis Metaphysik, wenn der Mensch in der Kälte des Alls auf seine Kreatürlichkeit zurückgeworfen wird.

Die Nasa auf Underground-Mission

Interstellar setzt an diesem pragmatischen Zugang an und bleibt andererseits doch einer viel nostalgischer erscheinenden Erlösungsfantasie verhaftet. Cooper, die Wissenschafterin Amelia (Anne Hathaway) und ihr Team suchen mit der Endurance nach einem Planeten, welcher der Menschheit ein Überleben erlaubt - sie müssen sich dafür durch ein Wurmloch nahe am Saturn pressen, durch das man in eine andere Galaxie durchstößt. Das Manöver ist eine Undergroundmission, denn die Nasa arbeitet mittlerweile wie ein James-Bond-Bösewicht im Geheimen unter der Erde, angeführt von Astrophysiker Professor Brand (Michael Caine).

Der Fokus des Drehbuchs, das Nolan erneut mit seinem Bruder Jonathan geschrieben hat, liegt aber nicht nur auf der Dramatik, die sich aus dieser Reise durch den Raum ergibt, sondern auch aus jener, die die Relativität der Zeit verursacht. Cooper, verwitweter Vater zweier Kinder, die er zurücklassen musste, droht die Zeit zu knapp zu werden. Er altert weniger schnell als die Zuhausegebliebenen. Ein emotionaler Ballast, der nicht einfach abgeworfen werden kann.

Das Melodram ist in Interstellar, in diesem Sinne ganz Old-School-Hollywoodrührstück, wie ein Alien von Beginn mit an Bord. Schon daran lässt sich die Differenz zu Stanley Kubricks 2001 - A Space Odyssey messen, mit dem Nolans Film zumindest im Vorfeld, quasi als PR-Maßnahme, verglichen wurde. Kubricks Film spielte in einer anderen Zeit, mit völlig anderen Kontexten: Nach 18-monatiger Arbeit an den Spezialeffekten kam der Film 1968 ins Kino, ein Jahr vor der Mondlandung. Neben vielem anderem fertigte Kubrick das Mahnbild einer von unternehmerischen Interessen gelenkten Raumfahrt. Die menschlichste Regung manifestiert sich in dem kühl-vergeistigten Epos als Erinnerung an ein Kinderlied - wohlgemerkt erklingt dieses im Inneren eines langsam verendenden Computers.

Interstellar hingegen ist ein Tummelplatz menschlicher Gefühlsregungen. Die Mannschaft empfängt Videonachrichten von Familienmitgliedern, ist aber nicht in der Lage, von der anderen Seite des Wurmlochs darauf zu antworten. Einmal lädt der in Zeitschleifen verfangene Cooper eine ganze Ladung an Botschaften herunter. Die Kinder werden vor seinen Augen gleichsam im Zeitraffer groß - Ausdruck eines Lebens in schmerzhafter Asynchronizität.

Bizarre planetarische Oberflächen

Der "cowboy in space" - McConaughey verkörpert seine Figur wieder betont hemdsärmelig - kann darauf nur mit Tränen der Überwältigung reagieren. Die Großaufnahme seines verzerrten Gesichts ist eindringlicher als jede Ausmalung bizarrer planetarischer Oberflächen, auf die der zum visuellen Spektakel neigende Nolan freilich gleichermaßen Wert legt.

Diese Rückführung des Genres aufs allzu Menschliche liegt durchaus im Zeitgeist. Anstatt über die Natur des Anderen (oder die Grenzen zum Nichts) irgendwo da draußen zu spekulieren, wird das All zum Spiegel, in dem sich der Mensch seiner selbst vergewissert, sich wiedererkennt. Schon in Gravity wird Sandra Bullock, allein im Weltraum, mit ihren tief sitzenden Erinnerungen konfrontiert. Spike Jonzes ungewöhnlich technologiefreundlichen Science-Fiction-Liebesfilm Her kann man dagegen auch als Anleitung für eine Zukunft verstehen, in der wir mit unseren Gefühlen in einer digitalen Lebenswelt Frieden schließen.

Dies könnte auch jene Utopie sein, für die Interstellar durch das Wurmloch muss, nur dass es dabei noch nicht einmal um künstliche Intelligenzen geht. Die quaderförmigen Roboter bleiben in diesem Film äußerst funktional, ihre Humorleistung ist eher eingeschränkt. Die Suche nach Grenzerfahrungen, die Überwindung der vertrauten Achsen von Raum und Zeit wird trotz Einbindung des US-amerikanischen Astrophysikers Kip Thorne vor allem zur Familienangelegenheit: im engeren Sinne, was Coopers Bindung zu seinen beiden groß gewordenen Kindern (Jessica Chastain und Casey Affleck) anbelangt; aber auch im Sinne der Menschheitsfamilie, die im All eine Reihe von Schwächen offenbart. Nach dem Motto: Wir sind eben auch nur die, die wir sind. Nicht ohne Grund begleitet die Crew ein Dylan-Thomas-Zitat: "Old age should burn and rave at close of day / Rage, rage against the dying of the light".

Nolan denkt in filmischen Maßstäben immer in Superlativen, aber mehr aus der Perspektive eines Ingenieurs. Aus Liebe zum Film hat er auf 35-mm- und 65-mm-Imax-Format (also nicht digital) gedreht. Die Planeten malt er sich als irdische Landschaften aus, die zu surrealen Traumbildern übersteigert werden - mehr muss gar nicht verraten werden. Die schon zum Markenzeichen gewordene Basstöne von Hans Zimmers Musik - diesmal sphärischer als gewohnt - verstärken die Dramatik der Aktionen. Behäbig bleiben sie stellenweise trotzdem: Ein Andocken auf einer Raumkapsel gerät visuell so aufregend, als würde man dabei zuschauen, wie jemand ein Objektiv auf eine Kamera schraubt.

Das vielleicht Erstaunlichste an diesem Film ist, dass er aus all den schwarzen Löchern, dunkler Materie, Gravitätsschwankungen und anderen astrophysischen Begebenheiten ein erzählerisches Möbiusband formt. Das Wurmloch verbindet in Wahrheit nur Herzen. Menschen, die sich von Angesicht zu Angesicht ansehen (gezeigt als Freude des Astronauten, der auf einem fernen Planeten endlich geweckt wird); Erinnerungen, die man mitnimmt; oder die Angst, nicht genügend Erinnerungen zurückzulassen: Aus solchen ursprünglichen Erfahrungen bezieht Interstellar seine emotionalen Spezialeffekte. Nolan versucht sie mit actiongeladenen Sequenzen zu verbinden, Affekt und Effekt eins werden zu lassen - ein Kraftakt, der den Film dann doch viel zu selten die Schwerkraft überwinden lässt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 8./9.11.2014)