Um die Irritation von Sehordnungen geht es sowohl Manuel Knapp (Installation im Vordergrund) als auch François Morellet (Wandobjekte).

Foto: Galerie Stadtpark

Fast hat man den Eindruck, als würde das die Ausstellung dominierende Weiß einen Teil der Geräusche verschlucken. Beim Betreten des Hauptraums der Galerie Stadtpark stellt man jedenfalls fest, dass man auch selbst etwas leiser geworden ist. Zum einen hängt das freilich damit zusammen, dass man die Schritte wegen der Bodeninstallation von Manuel Knapp (geb. 1978 in Wolfsberg) gleich etwas bedächtiger lenkt; die Ruhe verdankt sich allerdings auch der geforderten Konzentration.

Dabei hat der Künstler, der ansonsten auch für audiovisuelle Werke bekannt ist, in der Kremser Schau In Default of Appearance - ein Duett mit dem französischen Künstler François Morellet - ausschließlich auf das Visuelle gesetzt: Manuel Knapps raumgreifende Installation basiert auf einer Reihe weißer Objekte, die auf dem Boden ein loses Gefüge ergeben. Diese teils dekonstruierten Stäbe und Balken fungieren gleichzeitig als Träger mehrerer abstrakter Computeranimationen, die fragile, imaginäre Räume eröffnen. Weil die im Loop gezeigten Animationen verschiedene Längen haben, kommt es überdies immer wieder zu neuen Interferenzen: Kein Bild ist zweimal zu sehen.

Bildgrenzen herumschieben

Um das Auflösen medialer Bildgrenzen geht es Knapp genauso wie um das Stören zentralperspektivischer Sehordnungen, an denen hier gerüttelt wird. So ist es etwa zu keinem Zeitpunkt möglich, ein Gesamtbild zu erfassen: Während sich am linken Bildrand geometrische Strukturen zu Räumen zusammensetzen, scheinen diese anderswo aus dem Rahmen zu fallen, weil die Projektionsfläche nicht groß genug ist. So wird das Bildzentrum laufend verschoben, wodurch sich der Blick immer wieder neu justieren muss.

Um die Analyse eingeübter Betrachtungsweisen und die Konstruktion neuer Bildräume geht es auch François Morellet (geb. 1926 in Cholet). Bereits in den 1980ern hat der berühmte Vertreter der konkreten Kunst mit "leeren" Bildträgern experimentiert, um hierarchische Bildordnungen zu erforschen.

Die Arbeit aus der Serie der Défigurations stammt aus dieser Zeit und basiert auf fünf weißen Leinwänden, für die sich Morellet eine sehr eigenwillige Konstellation ausgedacht hat: Alle sind an den Rändern beschnitten, hängen schief an der Wand und gruppieren sich um eine Leinwand, die im Vordergrund steht.

Erwartungsgemäß hat das "Durcheinander" jedoch System, und so verrät ein Blick auf den Untertitel der Arbeit, was der Künstler hier eigentlich "entfiguriert" hat: Schließlich repräsentiert die leere, weiße Leinwand im Zentrum keinen Geringeren als den Christusknaben, um den sich auf Tizians Kirschenmadonna die Muttergottes und noch drei weitere Figuren scharen; Tizians Komposition folgend ersetzte Morellet deren Köpfe durch die "leeren" Formen, was seine kunsthistorische Lektion (2011 waren in der Galerie Ruzicska in Salzburg neuere, Caravaggio und Ferdinand Waldmüller gewidmete Defigurationen zu sehen) genauso lehrreich wie unterhaltsam macht.

Weiß man um diesen Bildhintergrund, kommt man beim Betrachten der Arbeit jedoch kaum umhin, das Meisterwerk zu imaginieren. Der im Ausstellungstitel angekündigten Reduktion, aber auch der Arbeit von Knapp kommt Morellets Arbeit Fold Corners (1978) deswegen eigentlich näher: Es handelt sich dabei um Zeichnungen, auf denen sich einfache Linien zu jenen potenziellen Räumen auffalten, die Knapp noch ein Stück weitergesponnen hat. (Christa Benzer, Album, DER STANDARD, 8.11.2014)