Mit klammheimlichem Bedauern, ihr Schicksal nicht (schon jetzt) an die konservative Wertanlage Sebastian Kurz binden zu können, werden die Delegierten des ÖVP-Parteitages am Wochenende mit parteiamtlich gebotener Begeisterung eben Reinhold Mitterlehner auf den Schild heben. Sie wählen, ohne eine Wahl zu haben, denn im Ritual der Schilderhebung von Parteiobleuten mussten sie in den letzten Jahren eine Routine entwickeln, bei der Tempo alles war und die Freude, ein Opfer gefunden zu haben, jede Ahnung von dessen vorprogrammierter Vergänglichkeit unterdrückte.

Extrapoliert man die Amtsdauer der schwarzen Parteiobleute seit 2006, sind die Chancen Mitterlehners, als Spitzenkandidat seiner Partei in die Nationalratswahl von 2018 zu gehen, gering. So schlimm muss es aber nicht kommen. Die ersten Wochen, in denen er seit Michael Spindeleggers Flucht nach Luxemburg dessen Parteigeschäfte übernahm, soll sich das Betriebsklima in der Koalition nach Aussagen der Beteiligten einigermaßen verbessert haben, ohne dass sich das bisher, bei nüchterner Betrachtung, auf einen versprochenen Betriebserfolg übertragen ließ. Am innerkoalitionären Frontverlauf in Grundfragen hat sich nichts verschoben, und freundlichere Nasenlöcher können Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Koalition nicht beseitigen. Wenn sich diese verhärten, bekommt Mitterlehner vielleicht doch die Chance, noch vor 2018 als Spitzenkandidat in Wahlen zu gehen.

Noch darf er sich über einen leichten Aufwind für die ÖVP freuen, er wird aber nicht vergessen, dass das, was Obmannwechsel in der ÖVP regelmäßig begleitet, nur eine Bewegung warmer Luft ist, die nicht lange anhält. Nach der Inthronisation ist es damit gewöhnlich vorbei, und ob in einem Jahr mit vier Landtagswahlen ein neues Parteiprogramm unter dem mitreißenden Motto "Evolution Volkspartei" der Evolutionierten die Wähler in Scharen zutreibt, erlaubt Zweifel. Gegen Mitterlehner als Evoluzzer wirkte Spindelegger als Entfessler noch revolutionär, vor allem wegen des Unterhaltungswertes, der sich aus der Diskrepanz zwischen Person und angemaßter Rolle ergab.

Welche Rolle sich Mitterlehner auf den Leib schreibt, müsste er Partei und Öffentlichkeit am Wochenende wissen lassen. Alles bisher zum Thema Parteiführung Angedeutete war so allgemein gehalten, dass sich niemand fürchten musste, der die ÖVP in ihrer gegenwärtigen Struktur ohnehin für die beste aller Parteien hält, mögen die Wählerinnen und Wähler denken, was sie wollen und sie abstrafen bis auf den dritten Platz. Nach drei vergeblichen Anläufen wartet die Partei sehnlichst auf einen Retter, weshalb Mitterlehner, wie seine Vorgänger, ein hervorragendes Wahlergebnis einfahren wird, das wenig besagt.

Für die SPÖ ist das eine disziplinierende Orientierungshilfe zu ihrem Parteitag Ende des Monats. Die dorthin Delegierten wissen dann, wie weit sie Unbehagen zurückstellen und mit welchem Wahlergebnis sie Werner Faymann als Parteiobmann ausstatten müssen, um seine Autorität als Bundeskanzler nicht zu untergraben. Das könnte wirklich spannend werden. (Günter Tracler, DER STANDARD, 7.11.2014)