Das knapp 40 Zentimeter lange Fossil eines frühen Ichthyosauriers wurde in der südostchinesischen Provinz Anhui entdeckt. Der Körperbau deutet darauf hin, dass dieses Exemplar amphibisch gelebt hat - und womöglich ein lange vermisstes evolutionäres Bindeglied darstellt.

Foto: Ryosuke Motani / UC Davis

Davis/Wien - Im Jahr 1811 stiftete ein spektakulärer Fossilienfund im Süden Englands Verwirrung: Die erst zwölfjährige, später legendäre Paläontologin Mary Anning entdeckte das erste vollständige Skelett eines Ichthyosauriers.

Die Klassifikation des Fossils zu einem Zeitpunkt, als Urzeitreptilien noch unbekannt waren, stellte Forscher vor ein Rätsel. Denn die Form des Skeletts erinnerte an Fische oder Delfine, andere Merkmale hingegen an Landwirbeltiere. Nach weiteren Funden kam man zu dem noch heute gültigen Schluss, es müsse sich um ein ausgestorbenes Meeresreptil aus einer mehrere Arten umfassenden Gruppe handeln, und nannte diese Ichthyosaurier (Fischechsen).

Rätselhaftes Verschwinden

Bis heute wurden rund 80 Arten dieser Reptilien beschrieben, die mehr als 150 Millionen Jahre lang die Meere bevölkerten. Vor rund 93 Millionen Jahren - und damit lange vor den Dinosauriern - verschwanden die letzten Vertreter der Ichthyosaurier aus bis heute ungeklärten Gründen.

Aber auch von der Evolution der Meeressaurier ist vieles unbekannt. Klar ist: Keine andere bekannte Reptiliengruppe hat sich im Lauf der Zeit so gut an das Leben im Wasser angepasst wie sie. Eine Verbindung zu ihren auf dem Land lebenden Vorfahren ließ sich allerdings noch nicht herstellen. Denn bisher lagen nur Fossilien von Ichthyosauriern vor, die bereits vollständig an das Leben im Wasser adaptiert waren.

Evolutionärer Lückenfüller

Ein neuer Fund könnte diese evolutionäre Lücke nun schließen: Forscher um Ryosuke Motani von der University of California in Davis beschreiben aktuell im Fachblatt "Nature" das bisher älteste ichthyosaurierartige Lebewesen, das vor etwa 248 Millionen Jahren im Südosten Chinas gelebt haben dürfte. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um ein entwicklungsgeschichtliches Bindeglied handelt: Der Körperbau von Cartorhynchus lenticarpus deutet nämlich auf amphibisches Leben hin - also zu Wasser und zu Land.

Darauf lassen etwa die großen, flexiblen Flossen und Gelenke schließen, die vermutlich eine seehundähnliche Fortbewegung an Land ermöglichten. Dafür spricht auch die geringe Körperlänge von rund 40 Zentimetern. Im Vergleich mit den rein aquatischen jüngeren Spezies besaß Cartorhynchus lenticarpus zudem eine recht kurze Schnauze, die eher an auf dem Land lebende Reptilien erinnert.

Die dicken, stabilen Rippenknochen dürften hingegen ein Vorteil für die Fortbewegung in küstennaher, rauer See gewesen sein, schreiben die Forscher. Gewissheit können allerdings nur weitere Funde bringen. Mary Annings 200 Jahre altes Rätsel geht also in die nächste Runde. (David Rennert, DER STANDARD, 6.11.2014)