Psychisch krank: Tobias Moretti als verhaltensauffälliger Vater.


Foto: Polyfilm

Wien - Sogar als Geschichtenerzähler ist dieser Mann unberechenbar. Anstatt seine kleine Tochter beim Mittagstisch zum Essen zu ermuntern, erzählt er ein Märchen. Denn wer nicht isst, bekommt von ihm Michael Endes Parodie vom Hänsel und Knödel zu hören - und hat so plötzlich einen leeren Kinderteller vor sich.

Besonders in alltäglichen Situationen wirkt sein Verhalten merkwürdig und erklärlich zugleich. Jede Geste, jedes Wort von ihm erlangen besondere Bedeutung, und sei es, dass er nur kurz auflacht oder sich eine Zigarette anzündet. Seine Frau und sein erwachsener Sohn, der noch bei den Eltern wohnt, befinden sich in gespannter Erwartungshaltung. Der nächste Ausbruch aus der sogenannten Normalität ist eine Frage der Zeit, und wenn ihm die Nachbarn eine Satellitenschüssel vor seinem Arbeitszimmer aufstellen, geht der an Schizophrenie erkrankte Hans Dallinger (Tobias Moretti) die Wände hoch.

Der junge deutsche Filmemacher Christian Bach verlässt sich in seinem Debütfilm allerdings keineswegs ausschließlich auf die bemerkenswerte schauspielerische Leistung von Tobias Moretti in der Rolle des psychisch kranken Architekten, sondern erweitert den Fokus auf dessen familiäres Umfeld - hier vor allem auf die Probleme, die mit der Krankheit des Vaters auf seinen Sohn Simon (Jonas Nay) und dessen frische Liebe zu einer Studentin (Hanna Plaß) zukommen.

Hirngespinster verfolgt also weniger einen Krankheitsverlauf - Dallingers Schizophrenie belastet ohnehin seit vielen Jahren das familiäre Gefüge -, sondern das Vertuschen und Verdrängen eines Normalzustands. In der Gemeinschaft der Kleinstadtsiedlung sind die Dallingers längst kollektiv ausgegrenzt. Nicht zuletzt aufgrund dieses Szenarios erweist sich der Vergleich mit anderen Spielfilmen, die sich der Darstellung von Schizophrenie widmen, wie etwa Hans Weingartners Das weiße Rauschen, als wenig zweckmäßig: Anstatt für ein die Zuschauer verstörendes Hinübergleiten in die Krankheit interessiert sich Hirngespinster für die auf der Zerreißprobe stehenden sozialen Beziehungen. Im Gegensatz zu Jack Nicholson in The Shining nimmt Moretti auch gleich zu Beginn die Axt in die Hand - zwecks Sachbeschädigung auf dem Nachbardach.

Doch obwohl Bach sich seinem Thema über weite Strecken unaufgeregt widmet, kommt auch dieser Film nicht ohne Zuspitzung aus. Die Ununterscheidbarkeit von Wahn und Wirklichkeit führt so schließlich doch zum paranoiden Versteckspiel im eigenen Haus, während gleichzeitig die Lösung des ödipalen Konflikts ansteht. Als Vater weiß Danninger für den Sohn in Sachen Liebe guten Rat: Durch den Liebesschmerz müsse man durch, es sei immerhin der einzige im Leben, der sich wirklich lohne. (Michael Pekler, DER STANDARD, 6.11.2014)