Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum werteten die Daten der ersten zehn Jahre der Vorsorge-Koloskopie (Darmspiegelung) aus: Ihr Fazit: Durch die etwa 4,4 Millionen Vorsorge-Koloskopien wurden circa 180.000 Darmkrebsfälle verhütet. Dem stehen 4500 Überdiagnosen gegenüber.
Deutschland war 2002 eines der ersten Länder weltweit, das die Darmspiegelung als Bestandteil des gesetzlichen Krebsvorsorgeprogramms eingeführt hat. Die Forscher zogen für ihre Studie die Befunde der 4,4 Millionen Vorsorge-Koloskopien heran, die zwischen 2003 und 2012 durchgeführt wurden. "Das ist die bisher umfassendste Auswertung des nationalen Vorsorge-Koloskopie-Programms", sagt Studienleiter Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum, der die Berechnungen durchgeführt hat.
Darmkrebs entdecken als Rechenleistung
Grundlage für die Berechnungen ist ein mathematisches Modell, das neben den Befunden und der Sterblichkeitsrate unter anderem auch berücksichtigt, mit welcher Häufigkeit und in welchem Zeitraum sich verschiedene Darmkrebsvorstufen zu bösartigem Krebs weiterentwickeln.
Insgesamt wurden in den ersten zehn Jahren Vorsorge-Koloskopie 180.000 Krebsvorstufen entdeckt und konnten gleich während der Untersuchung entfernt werden. Die Ärzte fanden außerdem mehr als 40.000 Fälle von Darmkrebs frühzeitig in einem Stadium, in dem zumeist noch eine Heilung möglich ist. Dem gegenüber standen nur etwa 4.500 Überdiagnosen.
Koloskopie und Wirksamkeit
"Um eine Krebsvorstufe zu finden und damit einen Krebsfall zu vermeiden, müssen 28 Darmspiegelungen durchgeführt werden. Bei einer unter 121 Untersuchungen wird ein bösartiger Tumor frühzeitig erkannt.
Aber nur eine von 1.089 Untersuchungen führt zu einer Überdiagnose" erläutert Michael Hoffmeister, einer Autoren der Arbeit, und ergänzt: "Bei Teilnehmern unter 75 Jahren resultieren nur 0,4 Prozent der Darmspiegelungen in einer Überdiagnose – damit schneidet die Vorsorge-Koloskopie deutlich besser ab als andere Programme zur Krebs-Früherkennung. Bei der Mammographie beispielsweise führt ein deutlich höherer Prozentsatz der Untersuchungen zu einer Überdiagnose."
Die Wahrscheinlichkeit, durch die Endoskopie einem Krebsfall vorzubeugen, ist am höchsten, wenn die Untersuchung um das 60. Lebensjahr vorgenommen wird. Mit steigendem Alter der Screening-Teilnehmer steigt auch die Rate der Überdiagnosen.
Hermann Brenners Fazit ist eindeutig: "Die Darmspiegelung wird auf lange Sicht nicht nur die Darmkrebs-Sterblichkeit senken. Das endoskopische Screening ist echte Prävention. Im Gegensatz zu anderen Screening-Programmen wird zusätzlich auch das Auftreten neuer Krebsfälle deutlich zurückgehen."
Vorsorge in Wien
Die sicherste und zeitsparendste Methode, Darmpolypen zu erkennen und gleich zu entfernen ist also die Darmspiegelung. "Patienten bekommen eine Kurznarkose und schlafen entspannt, dadurch können wir den Darm gründlicher als früher absuchen und auch versteckte Polypen aufspüren", sagt Friedrich Weiser vom Medico Chirurgicum in Wien. Die kassenärztliche Gemeinschaftspraxis gilt mit 8.000 jährlich durchgeführten Darmspiegelungen als eine der erfahrensten Zentren in Österreich und arbeitet sieben Tage die Woche, "das Argument, man hätte keine Zeit, gilt also bei uns nicht", sagt Weiser, vor allem könne man danach sofort nach Hause.
Was Weiser neben der Koloskopie ab dem 50. Lebensjahr noch empfiehlt: Viel Bewegung und weniger als 300 Gramm rotes Fleisch, Wurst oder Schinken essen. Alkohol und Nikotin seien auch schlecht.
Um mehr Menschen für die Darmkrebsvorsorge zu motivieren, tourt das 20 Meter lange Darmmodell derzeit durch Österreich und ist am 14.11.2014 von 9 bis 19 Uhr in Alt Erlaa zu besichtigen. (idw/red, derStandard.at, 5.11.2014)