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Die hochriskante Überfahrt nach Italien führt viele Asylsuchende auch nach Österreich. Künftig müssen Behörden sorgfältiger prüfen, wen sie wieder nach Italien zurückschicken.

Foto: REUTERS/Giorgio Perottino

Österreich darf Asylsuchende nicht mehr einfach nach Italien abschieben: In Zukunft müssen die Behörden vor allem bei Familien mit Kindern genauer prüfen, ob sie während ihres Asylverfahrens in Italien angemessen betreut werden. Im Fall einer achtköpfigen Familie aus Afghanistan hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dies angezweifelt.

Dämpfer fürs Asylsystem

Das bedeutet zwar keinen generellen Stopp für Abschiebungen nach Italien. Dennoch ist das Urteil ein weiterer Dämpfer für den umstrittenen Aufteilungsmodus für Asylwerber in Europa. Laut diesem Modus müssen Schutzsuchende ihr Verfahren dort abwarten, wo sie erstmals von der Polizei aufgegriffen wurden. Für alle, die über Italien nach Österreich kommen, sind also prinzipiell die italienischen Behörden zuständig. Die Straßburger Richter sagen nun, dass es künftig nicht mehr so leicht gehen wird: Nur dann, wenn feststeht, dass Kinder altersadäquat untergebracht sind und Familien nicht auseinandergerissen werden, darf Österreich nach Italien ausweisen.

Laut Staatsrechtler Gerhard Muzak von der Uni Wien ist diese Auflage nicht nur auf Familien, sondern "auf alle besonders schutzwürdigen Personen" anzuwenden – also zum Beispiel auch auf Menschen, die unter einem schweren Trauma leiden.

Mehr Verfahren in Österreich

Die Entscheidung kommt zwar "nicht übermäßig überraschend" für den Juristen, sie liege auf einer Linie mit der früheren Judikatur des EGMR. Doch "für die Behörden ist das sicher ein höherer Aufwand", sagt Muzak im derStandard.at-Gespräch. Letztlich werde es wohl bedeuten, dass österreichische Behörden künftig öfter jene Verfahren durchführen, für die eigentlich Italien zuständig wäre – etwa wenn die italienischen Behörden nicht in angemessener Zeit antworten.

Zufällig via Italien

Das sei auch nur gerecht, meint Anny Knapp von der Asylkoordination im derStandard.at-Gespräch. "Es ist nicht einzusehen, dass Italien für zigtausende Asylverfahren zuständig sein soll, nur weil eine der Hauptfluchtrouten zufällig über italienisches Staatsgebiet verläuft." Auch Knapp glaubt, dass die Asylbeamten künftig nicht nur bei Familien mit Kindern genauer hinschauen müssen, sondern auch bei Traumatisierten: "Sie müssen sich von Italien die Zusicherung holen, dass es vor Ort eine angemessene Behandlung gibt und sich der Zustand der Betroffenen nicht weiter verschlechtert."

Die Straßburger Entscheidung richtete sich konkret gegen die Schweiz, die ebenfalls Teil des EU-Asylaufteilungssystems ist. Eine achtköpfige afghanische Familie, die über Italien und Österreich eingereist war, sollte nach Italien abgeschoben werden und hatte dagegen erfolglos berufen. Erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bekamen sie Recht.

Wie viele Familien im Vorjahr über Italien nach Österreich einreisten, um hier Asyl zu suchen, weiß man im Innenministerium nicht. Italien ist bei den Rücküberstellungen aus Österreich Zielland Nummer eins, ein Fünftel aller EU-internen Abschiebungen geht in das südliche Nachbarland.

Folgen für Traiskirchen

Sollten die österreichischen Asylbehörden künftig regelmäßig auf Antwort aus Italien warten müssen, wird das auch Auswirkungen auf die Lage in Traiskirchen haben: Das Erstaufnahmezentrum ist darauf angewiesen, dass rasch geklärt wird, welches EU-Land für ein Asylverfahren zuständig ist. Je länger dieses Zulassungsverfahren dauert, desto länger wird ein Platz im Lager beansprucht, da die Länderquoten nur für jene Fälle gelten, in denen Österreichs Zuständigkeit bereits feststeht.

Im Innenministerium sieht man jedoch wenig Grund zur Sorge: Schon jetzt sei es "üblich, bei Familien genau zu prüfen", bevor man sie ausweise, heißt es auf derStandard.at-Anfrage. (Maria Sterkl, derStandard.at, 5.11.2014)