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Die Lokführer planen einen Streik nie dagewesenen Ausmaßes.

Foto: Reuters

Berlin - Deutsche Bahnkunden stehen vor vier schwierigen Streiktagen. Etwa zwei Drittel der Züge dürften durch den Ausstand der Lokführer ausfallen. Aus Sicht der Bahn sind die Chancen, den Arbeitskampf noch mit juristischen Mitteln verhindern zu können, gering.

Es wird der bisher längste Lokführer-Ausstand in der Geschichte des Unternehmens sein. Dafür werden Ersatzfahrpläne aufgestellt. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hatte am Dienstag zu einem bundesweiten Arbeitskampf aufgerufen.

Kurz vor dem geplanten Streik hat die Deutsche Bahn der Gewerkschaft eine Schlichtung angeboten. Doch diese lehnte ab: Der angekündigte Streik werde wie geplant verwirklicht. Es gehe um das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit, das die Bahn verletzen wolle. Darüber könne man nicht verhandeln, so der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky.

Merkel appelliert an Verantwortungsbewusstsein

Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel empfiehlt ein Schlichtungsverfahren zur Beendigung des Tarifkonflikts zwischen Bahn und Lokführergewerkschaft GDL. "Es gibt auch die Möglichkeit der Schlichtung, wenn beide Partner zustimmen", sagte die Kanzlerin am Mittwoch in Berlin. Dies hatte die Deutsche Bahn zuvor angeboten.

"Ich kann nur an das Verantwortungsbewusstsein appellieren, hier Lösungen zu finden, die für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben – bei aller Wahrung des Rechts auf Streik."

Dreistelliger Millionenbetrag

Der Streik bei der Deutschen Bahn könnte die Wirtschaft einen dreistelligen Millionenbetrag kosten. "Bei durchgängigen Streiks von mehr als drei Tagen sind in der Industrie Produktionsunterbrechungen zu erwarten", sagte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). "Die Schäden können dann schnell von einstelligen Millionenbeträgen auf über 100 Mio. Euro pro Tag ansteigen."

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) befürchtet negative Folgen für die Konjunktur. "So ein langer Streik zum jetzigen Moment ist ganz klar ein weiterer Konjunkturschock", sagte DIHK-Chefvolkswirt Alexander Schumann zu Reuters TV. "Wir befinden uns ja schon in einer Konjunkturdelle. Da macht es so ein langer Streik nicht einfacher, wieder herauszukommen."

Österreich kaum betroffen

Die ÖBB erwartet durch den deutschen Lokführerstreik "wenige bis keine" Einschränkungen für den Verkehr in Österreich, auch beim Personenfernverkehr wird großteils Entwarnung gegeben. Züge über den Deutsche-Bahn-Korridor sind dank ÖBB-Lokführern nicht betroffen, EC-Verkehre auf der Strecke Italien–Innsbruck–München über Kufstein werden planmäßig erwartet, das Gleiche gilt für Nachtverkehre.

Treffen könnte dies folgende Reisende: ICE-Verkehr Wien über Linz/Passau (in Österreich planmäßig, Teilausfälle innerhalb Deutschlands zu erwarten), Zugpaar EC 390/391 (Linz/Frankfurt, Ausfall im Bereich der Deutschen Bahn), EC-Verkehr aus Deutschland über Salzburg und Tauern-/Ennstal bis Klagenfurt bzw. Graz (Ausfall im Bereich der Deutschen Bahn), EC-Verkehr Zürich/München über Lindau (Ausfall im Bereich der Deutschen Bahn), Ausfall des Autoreisezugs Wien–Hamburg–Wien am Mittwochabend.

Wenn wirklich alle Stricke reißen, dann gibt es zumindest Geld zurück. "Wenn die Reise eines Kunden vom Streik betroffen ist, bekommt er sein Ticket natürlich kostenfrei voll erstattet, auch Sparschiene-Tickets – da sind wir sehr kulant", so die Bahn. Und sie fügt hinzu: "Vergessen wir bitte nicht das große Bild: Die ÖBB fährt tagtäglich weit mehr als 4.000 Züge."

Streik ab Mittwochnachmittag

Der Streik in Deutschland soll am Mittwochnachmittag (15.00 Uhr) im Güterverkehr beginnen. Ab Donnerstagmorgen (2.00 Uhr) wollen dann auch die Lokführer des Regional- und Fernverkehrs sowie der S-Bahnen die Arbeit ruhen lassen – bis Montagmorgen um 4.00 Uhr. Es ist bereits die sechste Streikaktion im laufenden Tarifkonflikt.

Zu Beginn des Ausstands will der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky in Berlin noch einmal die Haltung der Gewerkschaft vor Medienvertretern erklären. In dem Tarifstreit will die GDL einen eigenständigen Tarifvertrag für Zugbegleiter durchsetzen. Dabei pocht sie auf das Prinzip der Tarifpluralität, dem zufolge mehrere Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe möglich sind. Die GDL fordert außerdem fünf Prozent mehr Einkommen und eine kürzere Wochenarbeitszeit.

"Maßlos"

Die staatseigene Deutsche Bahn hat den Streik als maßlos verurteilt und die GDL zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgefordert. Gespräche über Spielregeln für die Tarifrunde waren am Sonntag gescheitert.

Der Konzern will ein juristisches Vorgehen gegen den Streik prüfen, schätzt die Erfolgsaussichten aber als gering ein. Man schaue sich "das natürlich auch von der juristischen Seite erneut an", sagte Personalvorstand Ulrich Weber im Deutschlandfunk.

"Unsere Erfahrung mit den Arbeitsgerichten ist, dass sie sich sehr schwertun in solchen Fragen der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit, solchen Ersuchen nachzukommen", stellte der Bahnmanager aber fest. In der Vergangenheit hätten die Gerichte in aller Regel gegen den Arbeitgeber entschieden.

Kritik

Aus der Politik kam scharfe Kritik am Vorgehen der GDL und ihres Vorsitzenden. "Claus Weselsky verliert gerade jedes Maß", sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi "Spiegel Online". Die Politikerin forderte Weselsky auf, seine Streikpläne zurückzuziehen.

Deutschlands Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) warnte davor, die öffentliche Akzeptanz für den neuen Bahnstreik über Gebühr zu strapazieren. Der "Bild"-Zeitung (Mittwoch) sagte er, Streik sei zwar ein elementarer Bestandteil der Tarifautonomie, doch sollten die Tarifparteien "mit diesem hohen Gut sehr verantwortungsvoll umgehen". CDU-Generalsekretär Peter Tauber betonte: "Die Dauer des Streiks allein lässt jedes Maß vermissen."

Der Fahrgastverband Pro Bahn bedauerte den Streik. Die GDL und ihr Vorsitzender dürften nicht länger alles auf eine Karte setzen und kompromisslos alle Einigungsvorschläge vom Tisch wischen. Sie müssten bereit sein, zusammen mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zu verhandeln. (APA, red, derStandard.at, 5.11.2014)