50.564 Finisher sind kein Lercherlschas. Egal wie man die Sache dreht und wendet: So viele Läuferinnen und Läufer beendeten laut einer Aussendung der Veranstalter vergangenen Sonntag den 44. Marathon in New York. Und auch wenn ich natürlich nicht für die anderen 50.563 sprechen kann, glaube ich doch, mit meiner Meinung nicht ganz allein dazustehen: Das Gänsehautfeeling dieses Laufes zu toppen dürfte mehr als nur schwer sein

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Ein Marathon ist eine einfache Sache. Sagte Emil Zatopek einmal: "Hier ist der Start, dort ist das Ziel. Dazwischen musst du nur laufen". Die "tschechische Lokomotive" hatte natürlich recht. Und wird immer recht haben.

Weil das, was der vermutlich legendärste Leichtathlet des vergangenen Jahrhunderts sonst noch zu den 42,195 Kilometern zu sagen hatte, genauso wahr ist: "Wenn du laufen willst, dann lauf eine Meile. Willst du aber ein neues Leben, dann lauf Marathon."

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Was das mit dem Marathon in New York zu tun hat? Nichts. Alles. Ganz wie Sie wollen. Für mich wurde der Satz - der erste, der mit dem "nur laufen"- vergangenen Sonntag zum Mantra.

Als ab Kilometer 30 oder 31 plötzlich gar nix mehr ging. Weil die Prophezeiung meines Physiotherapeuten Stefan Hackauf da schlagartig wahr wurde: "Das kann ab dort ein schmerzhafter Höllenritt werden", hatte Hackauf gesagt. Aber auch selbst ergänzt, dass das egal sein würde: Irgendwo anders hätte ich nicht bloß aufgegeben - sondern wäre gar nicht gestartet. Aber in New York? No way!

Foto: THomas Rottenberg

Aber der Reihe nach: Der große Lauf in der großen Stadt ist einer der "Big Six". Also einer der sechs ganz großen Läufe: Berlin. Boston. Chicago. London. New York. Tokio. Zum einen Kombinationswertung, die für Spitzenläufer ein enorm lukratives Preisgeld bietet. Zum anderen - in der Welt der Normalos - aber in etwa das Pendant zu den "Seven Summits" im Alpinismus.

Und auch wenn Profibergsteiger da die Kommerzialisierung des Achttausenderbezwingens mit guten Argumenten geißeln: Raufgehen muss man allemal noch selbst - trotz Sherpa-Armeen, Fixseilen und Expeditions-Reiseanbietern.

Und das gilt auch für die 42k im - mehr oder weniger - flachen Gelände: Auch wenn professionelle Reiseanbieter da mit "All-Inc"- oder "Carefree"-Paketen den Startplatz garantieren und das komplette Drumherum organisieren: Laufen muss jeder und jede selbst. Und 42,195 Kilometer sind auch dann noch lang, wenn man sie sich als 26,2 Meilen schön redet.

Foto: THomas Rottenberg

In New York zu starten ist gar nicht so einfach: Die Startnummern schnalzen zwar bis in die 70-Tausender-Zone - aber sich "einfach so" anmelden spielt es nicht: Ein Mann in meinem Alter müsste beispielsweise belegen, für die Strecke weniger als 2 Stunden und 45 Minuten zu brauchen. Das spielt es in diesem Leben für mich nicht mehr - obwohl ich deutlich unter der Durchschnitts-Finisherzeit von vier Stunden und 34 Minuten ins Ziel kam.

Plan B ist die Lotterie. Nur ist Lotto halt Lotto: Mitmachen (ab 15. Jänner kann man sich wieder anmelden) kann jeder - aber die Chancen, gezogen zu werden sind minimal.

Plan C: Über die Mitfinanzierung von Charityprojekten den Startplatz ergattern.

Oder Plan D: Das "Carefree"-Paket von Reisebüros nutzen, die national zugeteilte Kontingente verkaufen.

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Ich entschied mich für Plan D. Genauer gesagt - und im Sinne der Transparenz- und Compliance-Regeln des STANDARD offen dargelegt: Ich wurde eingeladen. Andreas Perer, Chef der Ruefa-Sportreisetochter "Runners Unlimited" setzte mich auf ein Pressereise-Ticket. Auch wenn auf der Hand liegt, dass der Gastgeber da möglichst positiv vorkommen will, ist ebenso klar, dass der Einladende die Geschichte(n) weder redigiert noch kontrolliert oder freigibt. Reisejournalismus funktioniert heute de facto ausschließlich so. Und: Ja, es macht Spaß, wenn sich Hobby und Beruf verbinden lassen. No na.

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Natürlich kann man über den New Yorker Marathon eine Million Geschichten erzählen. Aber neben der reinen "Wie geil ist das denn"-Reportage noch eine USP zu haben, schadet nicht.

Meine war Hans Plajer: Über den 85-jährigen Klagenfurter, der zum dritten Mal die 26 Meilen im Big Apple laufen würde, habe ich hier - und anderswo - mehrfach berichtet.

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Also bleibe ich jetzt kurz mal beim "Gott, wie geil"-Dings.

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Da ist zunächst mal New York selbst.

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Und: ja, eh genau so, wie man es kennt. Aber halt doch immer wieder eine Hammerstadt.

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Und das auch ohne Marathon: In dieser Stadt zu laufen, ist schon ein bisserl was anderes, als in Wien, Amstetten oder sonstwo ein paar Runden zu drehen.

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Außerdem tut es auch gut, sich laufend nicht bloß zu aklimatisieren, sondern ein Gefühl für ein paar Schlüsselstellen zu bekommen. Etwa den Zieleinlauf im Central Park: Da geht es nämlich bergauf. Und das nicht zu knapp.

Thomas Rottenberg

Und auch wenn Andreas Perer stets betonte, dass New York ein "Marathon mit der Finishergarantie ist, weil Euch hier das Publikum ins Ziel jubelt", wollten wir doch sagen können, das Ziel zumindest gesehen zu haben: Ilan, der Pacer, den ich beim LCC-Herbstlauf im Prater kennen gelernt hatte, sah das genauso wie ich - und ein paar Hundertschaften an Lauftouristen, die da ebenso ihre Vorab-Erinnerungsbilder schossen.

Wir sahen unter anderen dänische, britische, chilenische und deutsche Gruppen, die ebenso wie wir im Reisebüro-Modus hier dabei sein würden.

Foto: THomas Rottenberg

Ein Marathon ist auch ein Megaevent. Schlaue Veranstalter wissen, wie man daraus nicht bloß einen Lauf und eine dröge Messe macht, sondern wie man einerseits den Teilnehmern und Teilnehmerinnen da ein unvergessliches Mehrtageserlebnis bietet - und so dafür sorgt, dass die Wirtschaft jubelt.

Weil kein Besucher (und pro Läufer, erfuhr ich beim Marathon in Berlin im Vorjahr, kommen eine bis eineinhalb Begleitpersonen mit) die Vorab-Events oder das Danach versäumen will.

Foto: THomas Rottenberg

In New York dauert der Trubel rund um den Lauf gute vier, je nach Sichtweise sogar fünf, Tage. Am Freitag beginnt es mit der "Openingceremony", bei der alle teilnehmenden Nationen durch den Central Park paradieren.

Normalerweise ist sowas ja überhaupt nicht mein Ding. Aber die Euphorie und Freude, mit der das hier durchgezogen wurde, war schlicht und einfach ansteckend. Auch, weil da keine Spur von nationalem Chauvinismus zu spüren war: Wir laufen. Gemeinsam. Und aus.

Thomas Rottenberg

Das wirklich Feine an so einer Gruppenreise ist das Coaching: Natürlich kann sich jeder das Streckenprofil auch selbst anschauen. Und seine individuelle Strategie zurechtfeilen. Aber dass der "Sportordination"-Leistungsdiagnostiker Robert Fritz da die Strecke Etappe für Etappe analysierte und nicht müde wurde, neben Eigenheiten vor allem auf die zahlreichen und oft "g´fernsten", weil versteckten, Steigungen hinzuweisen, dürfte einigen Leuten das Rennen gerettet haben. Obwohl sich doch jeder monatelang auf den Tag X vorbereitet hatte.

Foto: THomas Rottenberg

Tag X also. Der begann früh: Gestartet wird in Staten Island in mehreren Wellen. Ich war in der ersten - und sollte um 9:40 Uhr losrennen. Die letzte würde gegen elf auf die Strecke gelassen werden.

Weil aber das Gros der Läuferinnen und Läufer mit Bussen über die Verrazano Bridge angekarrt wird, und die danach aber für die Läufer frei sein muss, muss man schon vor acht Uhr am Startgelände sein. Das ist an sich schon zach.

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Noch zacher ist es aber, wenn dort wegen starken Windes alle Wärme- und sonstigen Zelte abgebaut werden müssen.

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Und die Temperaturen nur knapp über den Gefrierpunkt liegen.

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Nur: Logistisch gibt es vermutlich tatsächlich keinen Plan B. Und sobald die erste Welle dann auf die Verrazano Bridge hinauf startet, ist das ohnehin vergessen.

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Jetzt gibt es nur noch eins: Den richtigen Rhythmus finden. Sich nicht vom eigenen Ehrgeiz dazu verleiten lassen, zu schnell - noch dazu bergauf - loszurennen. Und zu genießen.

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Darum halte ich jetzt einfach die Klappe.

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Und lasse sie mit ein paar Bildern …

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...aber auch Videos (fast) allein.

Thomas Rottenberg

Weil: Wenn sich das Gänsehaut-Feeling …

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… das mich fast die gesamte Strecke begleitete, …

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… dadurch nicht erschließt, …

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… ist dieser Lauf einfach Nichts für Sie.

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Das ist kein Vorwurf…

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…sondern einfach so.

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Mich jedenfalls…

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…haben Bilder,…

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… Schilder, …

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...Bands..

Thomas Rottenberg

...und das Publikum…

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…tatsächlich fast schweben lassen.

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Wobei das natürlich so nicht stimmt: Die Strecke ist tough. Zum Einen, weil viele Brücken oft wirklich steile Rampen haben.

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Zum anderen, weil es auch in den Stadtvierteln ständig bergauf geht. Und zwar - scheinbar - endlos: Wie lang etwa die First Avenue ist, spürt man erst, wenn man sie bei böigem Gegenwind bergauf läuft.

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Um dann in der Bronx einen U-Turn zu machen - und Richtung Central Park zu laufen. Wieso der Wind da unbedingt mitdrehen musste (und zwar von der ersten bis zur letzten Welle) und wie es sich geografisch ausgeht, dass die Fifth Avenue - die ja parallel zur First verläuft- ebenfalls bergauf führt, ist eines der großen Rätsel des Marathons.

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Andere Rätsel stellen sich, wenn man sieht, wie selbstverständlich hier - in einem Feld von mehr als 50.000 Läufern - Rollstuhlfahrer und andere Behinderte mit dabei sind.

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In Wien schaut das nämlich ganz anders aus: Obwohl etwa beim Vienna City Marathon nicht einmal 9000 Personen die volle Distanz laufen, sind Rollis und Inklusion dort - aber auch anderswo - immer noch ein NoGo.

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An den Behinderten und denen, die sie begleiten würden, liegt es nicht. Ganz nebenbei ist das nur eines von mittlerweile einer Unzahl an Beispielen, an denen sich der Unterschied in Sachen Herzlichkeit, Offenheit und Empathie zwischen Wien und anderen Städten offenbart: Je öfter ich anderswo laufe, umso deutlicher wird dieses Bild eines Marathons, bei dem Hobbyläufer lediglich als notwendiges, aber immerhin zahlendes Übel gesehen und behandelt werden. Ich bin längst nicht mehr der Einzige, dem auffällt, dass es beim Wiener Marathon da auf 1001 Ebenen viel Luft nach oben gibt.

Foto: THomas Rottenberg

Aber ich schweife ab. Hier geht es ja um New York. 42 Kilometer Gänsehaut. 42 Kilometer Volksfest. 42 Kilometer (mit Ausnahme der Brücken und ein, zwei Straßenzügen), auf denen es kaum einen Meter gibt, an dem nicht gejubelt, applaudiert und angefeuert wird - und zwar von der ersten bis zur letzten Welle.

Wenn dann, nach den letzten 400 Metern bergauf durch den Central Park endlichendlichendlich das Ziel nicht mehr zu verfehlen ist, ist alles gut.

Foto: THomas Rottenberg

Die Zeit? Vollkommen egal. "You did it!" jubelt, schreit und schulterklopft es jetzt. Von allen Seiten: Kein Steward, kein Streckenposten, kein Security, kein Polizist, kein Rotkreuzmitarbeiter, der da nicht gratulieren würde. Lacht. Beglückwünscht - und sich mit und für jeden, der "es" geschafft hat, freut. Unpackbar amerikanisch halt. Aber auch unpackbar schön: So muss laufen.

New York hat ein paar besondere Besonderheiten: Hier sind die Finisher auch am Tag danach Helden. Man trägt die Medaille offen und stolz über der Jacke spazieren.

Sie gilt an diesem Tag als U-Bahn-Netzkarte. Und wildfremde Menschen halten einen auf der Straße an - um zu gratulieren, zu umarmen oder Hände zu schütteln. Freilich tragen die "Helden" auch zur Erheiterung bei.

New York Times-Video: "After the New York City Marathon"

Foto: Thomas Rottenberg

Denn nach einem Marathon gibt es ein paar Dinge, die der Körper gar nicht gern tut. Stiegensteigen zu Beispiel. Oder sich bücken. Oder aufstehen. Oder … Außerdem bewegen sich viele Finisher jetzt in etwa mit der Geschwindigkeit der Kontinentaldrift.

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Was noch zu sagen ist: Andreas Perers "Finishergarantie"-Ansage bewahrheitet sich. Alle Österreicher seiner Gruppe schafften es ins Ziel. Fluchend - und gleichzeitig strahlend. Auch Hans Plajer. Und nicht nur Emil Zatopek hat recht, auch der oder die Unbekannte, der/die mein Lieblingsschild entlang der Strecke getextet hatte: "Running is a mental thing: You are all insane." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 6.11.2014)

Foto: Klaus Fernsebner