Im Grunde wirkt Harley-Davidson – fast wie Enfield – wie eine Marke, die so gut von ihrem Erbe lebt, dass sie sich nicht verändern muss – und das auch nicht tut. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Denken wir nur an die Street 500 und 750, die Harley letztes Jahr vorgestellt hat. Die handlichen Cruiser sind ein Schritt hin zu neuen Kundenkreisen – hin zu Ridern, die schon auf gerne einmal eine Kurve fahren wollen.

foto: harley-davidson

Mit LiveWire sorgte der Motorradhersteller aus Milwaukee entlang der Route 66 schon seit einigen Wochen für Aufsehen. Harley-Davidson reiste von einem Dealer zum nächsten, im Gepäck stets den neuen Prototypen einer Cruiser mit E-Antrieb im modernen Design.

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Eine Harley-Davidson kauft man sich heute nicht, weil sie so schön leise ist, sondern weil auch jemand der drei Straßen weiter geht, den Klang der großen V2-Motoren schnell zuordnen kann. Lärm ist also durchaus Teil des Verkaufserfolges von Harley-Davidson. Die nennen das natürlich anders – vergessen aber nicht darauf, auch ihrem E-Cruiser einen eigenständigen Sound anzutrainieren, an dem man sie rasch erkennen kann. Was der Soundgenerator der LiveWire von sich gibt, klingt recht futuristisch – irgendwo zwischen Warp-Antrieb, fliegender Untertasse und KITT im Super-Pursuit-Mode würde ich sagen.

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Harley-Sprecher Rudi Herzig spricht im Spiegel "von Kampfjets auf Flugzeugträgern" an die ihn das Geräusch erinnert – klingen die dort leicht anders als an Land oder in der Luft? Egal.

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Von 6. bis 9. November wird die LiveWire auf der EICMA in Milano stehen. Alle technischen Daten der Maschine rückt Harley noch nicht heraus. Der E-Cruiser soll in unter vier Sekunden von 0 auf 100 km/h sprinten, wird bei 150 km/h abgeregelt, hat keine Schaltung. In dreieinhalb Stunden soll man den Akku mit einer Kapazität von 10 kWh laden können – was dann für eine Distanz von 85 Kilometer reichen soll. Rund 75 PS hat der Motor, und ein Drehmoment von etwa 70 Newtonmeter.

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Eine offizielle Bestätigung, dass Harley diese Maschine bauen wird, gibt es, wie zu erwarten war, nicht. Die Gerüchteküche brodelt allerdings schon und die wohlgesonnensten Schätzungen gehen von einem Marktstart 2016 aus. Dabei darf man Harley durchaus glauben, dass die Markteinführung noch gar nicht geplant ist. Viel eher wollen die Erbauer, der wirklich schweren Eisen, für die Manager mit den grindigen Kutten, wohl abklopfen, wie die Stammklientel auf so ein Motorrad reagiert.

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Klatschen alle begeistert und fragen nach den Kaufverträgen, wird es wohl ein Leichtes sein, ein derartiges Motorrad vom Band laufen zu lassen. Und wenn die Begeisterung eine homöopathische ist, dann war es immerhin noch ein guter Marketing-Gag, der zur Folge hat, dass man in Milwaukee ständig ein Feigenblatt zur Hand hat, das man hervorholt, wenn es Schelte wegen großer Motoren mit geringer Leistung bei ordentlichem Verbrauch gibt. Denn "Wir können, es will aber keiner", ist immer noch besser als ein "Ich will – aber kann nicht."

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Dass sie wollen, zumindest dass sie das Projekt sehr ernst nehmen, das sieht man schon allein am Desgin der LiveWire. Die Einsitzer ist klar als Harley zu erkennen, wirkt gleichzeitig angenehm modern und robust. Bis zur Serie wird sich da und dort wohl noch etwas ändern müssen, damit die Paragraphenreiter keinen Herzkasperl kriegen – aber die Tuner wissen jetzt ja schon einmal, wo die Rückspiegel wirklich hingehören. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 3.11.2014)

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