EbM-Experte Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems hat sich Gedanken zum Thema Lebensverlängerung und Tod gemacht.

Foto: georg h. jeitler / donau-universität krems

Das, was wir am Tod so fürchten, ist seine absolute Zuverlässigkeit. Egal wie weit die Medizin schon gekommen sein mag, am Ende des Lebens steht noch immer der Tod; die Medizin ist am Ende, Trauer, Philosophie und Glauben übernehmen.

Fixpunkt Tod

In diesem Blog geht es jedoch um Studien und in denen ist die Zuverlässigkeit des Todes einer der wenigen Fixpunkte. Denn der Tod ist immer bedeutend und er lässt kaum Interpretationsspielraum. Beinahe alles andere was in Studien gemessen wird ist deutlich schwammiger, und gelegentlich macht der Tod darauf aufmerksam, dass in Studien das Falsche gemessen wurde. Zum Beispiel bei Medikamententests zum Herzinfarktrisiko, bei denen in erster Linie der Cholesterinspiegel beobachtet wird.

Clofibrat wurde jahrelang als wirksames Medikament zur Senkung des Herzinfarktrisikos gepriesen, weil es den Cholesterinspiegel senkt. 36 Clofibrat-Präparate waren im Handel erhältlich. Natürlich hängen hoher Cholesterinspiegel und Herzinfarktrisiko zusammen, im Falle von Clofibrat stellte sich aber heraus, dass der Cholesterinspiegel zwar sinkt, die Todesfälle aber zunehmen. Nur wurde "Tod" in den Studien ursprünglich nicht gemessen. Der deutsche "Spiegel" schrieb: "In Wahrheit hilft Clofibrat nur schneller ins Grab."

Schlimmer als der Tod?

Wir alle wünschen uns ein langes und erfülltes Leben. Die moderne Medizin hat uns diesem Wunsch näher gebracht uns damit aber auch vor neue Herausforderungen gestellt. Längeres Leben erfordert manchmal einen Preis, meist in Form von verringerter Lebensqualität. Schauen wir uns das am Beispiel Prostatakrebs genauer an.

Diese Form von Krebs ist sehr häufig, entwickelt sich aber meist langsam. Wir wissen aus Studien, dass Früherkennung in manchen Fällen Leben retten kann. Allerding zu einem hohen Preis. Das Risiko nach einer Prostatakrebs-Operation an Inkontinenz oder Impotenz zu leiden ist 40 Mal so groß, wie die Chance, dass einem Mann durch diese Operation das Leben gerettet wird.

Ehefrauen bewerten dieses Missverhältnis anders als ihre betroffenen Männer. Viele der Frauen wollen überhaupt keine Lebenszeit ihrer Partner aufgeben, egal welche Nebenwirkungen zu erwarten sind. Die betroffenen Männer stufen diese Nebenwirkungen als weit negativer und würden lieber ein erhöhtes Sterberisiko in Kauf nehmen als mit solchen Nebenwirkungen leben zu müssen.

Frage der Werte

Die Entscheidung für oder gegen Krebsfrüherkennung wird daher zu einer Frage der persönlichen Werte und Präferenzen. Bei Beratung durch Ärzte darf daher nicht nur über Tod und Lebensverlängerung gesprochen werden, sondern es müssen alle Fakten auf den Tisch.

Auch zielgerichtete Krebsmedikamente stellen Patienten vor die Entscheidung Lebensqualität vs. Lebensdauer: Viele dieser Medikamente gelten als wirksam, weil sie das Leben signifikant verlängern können – oft jedoch nur für ein paar Wochen. Und selbst das machen sie zu einem hohen Preis: Nebenwirkungen wie Herzerkrankungen oder eine gestörte Wundheilung machen das Leben eines Krebspatienten nicht gerade angenehmer. Zynisch gesagt wird in extremen Fällen das Leben nicht verlängert, sondern das Sterben verzögert.

Soll auf solche Medikamente verzichtet werden? Auch hier können Studien keine Antwort geben, sondern nur eine Entscheidungsgrundlage bieten. Ärzte müssen anhand der Studien abschätzen können, was die Patienten tatsächlich erwartet: welcher Nutzen einer Therapie spürbar beim Patienten ankommt und welche Risiken er eingeht. Und dann müssen sie es dem Patienten verständlich erklären, damit der seinen eigenen Werten entsprechend entscheiden kann. Das gilt im Grunde für jede Therapie, vom Hustenzuckerl bis zur Chemo. (Gerald Gartlehner, derStandard.at, 31.10.2014)