Am liebsten reden sie über Kunst. Bruder Ivan Šarčević, der Guardian des Franziskanerklosters im Herzen des Viertels Bistrik in Sarajevo spricht etwa gern über die "Explosion des Lichts" in der Genesis-Darstellung von Ivo Dulčić, einem wilden Glasmosaik das über zwei Fenster verläuft. Wenn er alleine in der dunkelrot bemalten Kirche meditiert, sucht er in der Kreuzigungsszene aus Holz jenes Gesicht, in dem er sich selbst wider finden kann. Šarčević ist es auch wichtig, dass die muslimischen Studenten von der Musikakademie in Sarajevo hier bei ihm in der Franziskaner-Kirche ihre Abschlussprüfungen ablegen können. "Wir wollen ein Zusammentreffen von Glauben und Kultur", erklärt er. Weil die Kroaten in Sarajevo eine Minderheit darstellen, sei die Franziskanerkirche auch offen für andere Minderheiten. "Für Polen, Slowenen, Deutsche", sagt er. "Es geht um eine offene Gesellschaft." Einige Franziskaner-Klöster in der Herzegowina verfügen wiederum über interessante Sammlungen moderner Kunst, die man in der karstigen Provinz so gar nicht vermuten würde. In Tomislavgrad, dem früheren Duvno hat Ante Pranjić gerade ein neues Museum eröffnet. "Ohne Kunst geht es nicht", erklärt er. "Alles andere geht verloren, die Kunst ist aber das, was von der Seele bleibt." Die Franziskaner in Bosnien-Herzegowina verstehen sich als Kulturträger.

Sie wollen aber "volksnah" und keineswegs elitär sein. Sie sehen sich als Überlieferer über lange Zeiträume hinweg, die Traditionen weitertragen wollen und etwas überdauern. Dieses Selbstverständnis beziehen sie vor allem daraus, dass sie "die einzige westliche Institution waren, die im Osmanischen Reich" überlebt hat, wie Šarčević erklärt. Tatsächlich waren die Franziskaner die einzigen katholischen Priester im Osmanischen Reich, wie auch der Generalvikar in Mostar, Željko Majić einräumt. Dadurch verstehen sie, wie man Brücken baut. "Die bosnischen Franziskaner haben eine slawische Kultur, sie verbinden Aufrichtigkeit mit Listigkeit. Während der Osmanischen Zeit hat man gesagt, dass sie mit einem Auge in den Westen schauen und mit anderen nach Istanbul", erzählt ein anderer Franziskaner, der nicht namentlich genannt werden möchte. "Es ging damals darum, eine Balance zu finden, eine Koexistenz mit den anderen, einen Modus vivendi." Nach dem zweiten Weltkrieg suchte man wieder einen Modus vivendi im sozialistischen Jugoslawien, eine Delegation der Franziskaner besuchte Tito in Belgrad. So erhielt man etwa die Genehmigung in Sarajevo Theologie zu lehren.

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Franziskaner in Bosnien-Herzegowina
Foto: Picturedesk/ZAMUR ART

Erstmals in Srebrenica erwähnt

Die Macht des Ordens ist in Bosnien-Herzegowina unvergleichbar. Denn erstens gibt es auch heute kaum andere katholische Orden und zweitens haben die Franziskaner in anderen Staaten der Welt lange nicht so viele Pfarreien inne. 1291, also 65 Jahre nach dem Tod von Franz von Assisi, wurden die Franziskaner erstmals in Srebrenica erwähnt, daher kommt auch der Name der franziskanischen Provinz Bosna Srebrena. Im Jahr 1339 wurde das bosnische Vikariat errichtet, ein Jahr später das erste Kloster bei Visoko eröffnet. Die Franziskaner standen den mittelalterlichen Königen in Bosnien-Herzegowina sehr nahe und waren dementsprechend einflussreich. Das änderte sich mit der Eroberung des Landes durch die Osmanen Mitte des 15. Jahrhunderts. Es gab zwar keine Zwangsislamisierung, doch Muslime wurden steuerlich bevorzugt. Die Franziskaner standen aber unter einem gewissen Schutz des Sultans. In einer Anordnung (Firman) - die Ahd-Namah heißt - wurde ihnen Religionsfreiheit zugesichert. "Ich, Sultan Khan der Eroberer, erkläre hiermit vor aller Welt, dass die bosnischen Franziskaner mit diesem Firman des Sultans unter meinen Schutz gestellt werden. Ich befehle hiermit: Niemand darf diese Menschen und ihre Kirchen stören oder verletzen! Sie sollen in Frieden in meinem Staat leben. Diese Menschen, die Emigranten geworden sind, sollen Sicherheit und Freiheit genießen. Sie können in ihre Klöster zurückkehren, die sich in den Grenzen meines Landes befinden. Niemand soll sie beleidigen, den Besitz oder die Kirchen dieser Menschen in Gefahr bringen oder sie angreifen!", heißt es in dem Dokument aus dem Jahr 1463.

Bruder Stjepan Duvnjak spricht von einer "pragmatischen Urkunde des Sultans". "Die Franziskaner sind hier geblieben und hatten auch Loyalität der neuen Gewalt gegenüber. Sie dachten sich, dass die Okkupation nicht ewig dauern werde", erklärt der Guardian vom Kloster in Kraljeva Sutjeska in Zentralbosnien. Dann erwähnt ein Sprichwort: "Dort wo die Türken mit dem Schwert hingehen, gehen die Franziskaner mit dem Rucksack hin." In seinem Kloster befinden sich etwa 2000 türkisch-arabische Dokumente, die vom Sultan herausgegeben wurden, etwa Prozessschriften rund um Eigentumsfragen, die als Zeugnisse aufbewahrt wurden, um sich gegen eine neuerliche Steuerlast zu verteidigen.

Wienkrieg 1683 als Zäsur

Aus der Sicht der bosnischen Franziskaner gibt neben der Eroberung durch die Osmanen, eine zweite historische Zäsur, den Wienkrieg 1683, dem die Eroberungszüge von Eugen von Savoyen in Bosnien folgten. Denn die Dynamik dieser Kriege hatte verheerende Folgen für die Franziskaner und Katholiken vor Ort. Über 30 Klöster wurden in von den Osmanen zerstört, nur drei blieben in Bosnien übrig, kein einziges in der Herzegowina. 100.000 Katholiken folgten Eugen von Savoyen über die Grenze. In den kommenden Jahrzehnten wurden den Franziskanern immer mehr Steuern aufgebrummt. Sie verschwanden aber nicht völlig, sondern sie versteckten sich. In der Herzegowina trugen sie etwa ein Fez und einen Schnurrbart als Zeichen der Anpassung. Die Messen wurden auf offenem Feld abgehalten, weil es keine Kirchen gab. Die Franziskaner hatten dafür mobile Altäre bei sich, einen davon kann man etwa im Kloster in Livno sehen. "Sie waren in dieser Zeit die Verbindung zum Westen. Sie bekamen in Italien oder in Österreich-Ungarn eine umfangreiche Ausbildung. Und sie versuchten etwas nach Bosnien zu bringen, etwa Bücher und Gegenstände der Liturgie", so Duvnjak. Deshalb sind die Archive und Museen in den Franziskanerklöstern in Bosnien-Herzegowina heute wahre Schatzgruben. Hier finden sich wertvolle Bücher, Münzsammlungen, archäologische und ethnologische Artefakte.

Behüter Bosniens

Mitte des 19. Jahrhunderts, also noch bevor Österreich-Ungarn Bosnien-Herzegowina okkupierte, wurde das Leben für die Franziskaner wieder einfacher. Die Osmanen erlaubten 1853 den Bau der ersten Kirche in Livno. Ein Jahrzehnt zuvor hatten sich die Franziskaner getrennt, neben Bosna Srebrena entstand eine eigene herzegowinische Provinz. Entlang dieser Provinzgrenze scheiden sich auch massiv die Geister. Die herzegowinischen Franziskaner gelten als Nationalisten. Die bosnischen Franziskaner hingegen als integrativ. Bruder Ivan Šarčević aus Sarajevo ist einer jener Franziskaner, über den bosnische Muslime sogar sagen, er sei "ein Behüter Bosniens". Tatsächlich beziehen sich Leute wie er auf das mittelalterliche Bosnien als Staat, sie sehen in allen Teilungsabsichten einen Angriff auf das eigene Selbstverständnis. "Die Franziskaner hatten im Mittelalter ihre Provinz und das Königtum war der Bewahrer der Selbständigkeit des Landes", erklärt Šarčević. "Erst mit der nationalen Emanzipation wurde dann Kroatien zum Vaterland." Für Leute wie ihn ist der Verbleib der Kroaten in Bosnien (und nicht nur in der Herzegowina) gerade heute essenziell für das Gefüge des labilen Staates.

Beine in Bosnien, Kopf in Zagreb

Šarčević kritisiert deshalb all jene, die eine Trennung der Nationalitäten wollen. Der verstorbene kroatische Präsident Franjo Tuđman habe einen "großen Teil seines eigenen Volkes geopfert hat", meint er. "Die politischen Herzegowiner wollen auch heute Bosnien ohne Kroaten". Besonders ärgerlich findet er die Berichterstattung über Bosnien-Herzegowina in kroatischen Medien. "Im kroatischen Fernsehen sprechen die wichtigsten Nationalisten aus der Herzegowina." Aus Zentralbosnien sind viele Kroaten indes weggezogen. Die Idee einer eigenen kroatischen Entität (Herceg-Bosna) in der Herzegowina analog zur serbischen Republika Srpska geistert seit dem vergangenen Krieg in vielen Köpfen herum. "Aber wo soll denn die Grenze dieser dritten Entität verlaufen?", fragt Šarčević warnend. Er will damit darauf hinweisen, dass in der Herzegowina Muslime und Katholiken in den selben Dörfern leben. "Die Idee einer dritten Entität folgt doch nur der Politik der ethnischen Säuberungen", meint er. Šarčević spricht von einer "Entbosnifizierung der bosnischen Kroaten". Auch durch die franziskanische Gemeinschaft geht ein Riss, so wie er durch die gesamte bosnische Gesellschaft geht. Während in Bosnien viele für das Zusammenleben aller Religionen eintreten und gerade darin etwas Wertvolles sehen, pochen herzegowinische Franziskanern auf Differenz. Je nach dem in welches Kloster man geht, sind die Perspektiven völlig andere. "Bosnien ist unser Staat", sagt Duvnjak, der in Zentralbosnien lebt. Über die Herzegowiner sagt er: "Die haben die Beine in Bosnien und den Kopf in Zagreb."

In der Herzegowina wiederum findet man wohl keinen Franziskaner, der keine dritte Entität will, also einen "kroatischen Landesteil". Ante Pranjić in Tomislavgrad etwa. Er begründet dies damit, dass "die Muslime arabische Gewohnheiten oder Gewohnheiten aus der Türkei haben." Und dies passe nicht für ein "europäisches Leben". "Die wollen ein Schariatsgesetz", mutmaßt er. Zudem fürchtet er eine "Majorisierung". Die Muslime seien die Mehrheit, meint Pranjić. "Und wir sind eine Minderheit geworden. Vor den Türken hatte das kroatische Volk aber hier noch 80 Prozent", bezieht er sich auf eine Zeit, die mittlerweile 400 Jahre vorbei ist. Tuđman habe noch die Hoffnung gehabt, dass sich die Bosniaken Richtung Westen orientierten, führt er weiter aus. "Aber das ist nicht die Realität."

Messen mit Minaretten

Vorurteile und Konkurrenzkampf werden auch materiell manifestiert. Betrachtet man etwa die Kirche der Franziskaner in Mostar, so fällt der hohe, schmale Kirchturm auf, der sich mit den Minaretten zu messen scheint. Im Kloster in Humac sind gleich beim Eingang die Bilder der kroatischen HVO-Soldaten aus dem letzten Krieg zu sehen und an einer Tür pickt ein Pickerl mit dem Bild des kroatischen Ex-Generals Ante Gotovina. "In der Verfassung wird das kroatische Volk genannt, also sollte es nach dieser Logik auch alle Rechte bekommen. Wenn das serbische Volk ein Recht auf eine eigene Entität hat, warum sollten die Bosniaken oder die Kroaten kein Recht darauf haben?", sagt auch Generalvikar Željko Majić in Mostar. "Der Vertrag von Dayton ist ungerecht. Warum sollte ein Volk die Hälfte des Landes haben und die anderen beiden die andere Hälfte?"

Der kroatische Nationalismus zeigt auch Auswirkungen bei den bosnischen Franziskanern. Manche stehen mittlerweile zwischen den Stühlen. Sie sagen, dass es entweder ein Bosnien-Herzegowina mit drei Entitäten geben sollte oder mit gar keiner. "Sie sind in einer defensiven Situation. Sie haben im Krieg die Hälfte ihrer Gläubigen verloren", erklärt Drago Bojić, der Direktor des multireligiösen Zentrums in Sarajevo. "Ein Teil der bosnischen Franziskaner glaubt auch nicht mehr an das Zusammenleben", meint der Mann traurig. Bojić sorgt sich, dass der alte franziskanische, integrative bosnische Geist verloren gehen könnte und der herzegowinische Geist überhand nehmen könnte. In der Herzegowina ist man auch in anderen Dingen stärker auf Konfrontation ausgerichtet. Weil sich die Franziskaner hier als die eigentlichen Vertreter der Katholiken sehen, fechten sie mit der Weltkirche einen Machtkampf aus.

Herzegowinische Affäre

Der Hintergrund der Scharmützel liegt schon mehr als hundert Jahre zurück und nennt sich die "herzegowinische Affäre". Als die Weltkirche mit der Okkupation durch Österreich-Ungarn 1878 nach Bosnien-Herzegowina kam, versuchte man die Macht der Franziskaner zu bescheiden, allen voran Bischof Josip Stadler. Doch die Franziskaner liessen sich das nicht gefallen. Die herzegowinische Affäre eskalierte zwischen 1968 und 1988. 1968 versuchte noch der damalige Bischof Petar Čule einen Weltpriester in das Dorf Crnač zu schicken, doch die Dorfbewohner verjagten diesen wieder, weil sie nur einen Franziskaner akzeptieren wollten. Hundert Jahre nach Beginn der Krise griff der Heilige Stuhl schließlich durch. 1975 entschied der Heilige Stuhl per Dekret, dass die Franziskaner in der Herzegowina die Hälfte aller Pfarren behalten dürften, die andere Hälfte sollte an die Weltkirche gehen. Allerdings akzeptierten dies die Franziskaner nicht. Und auch die Gläubigen in der Herzegowina hielten zu den Brüdern in den braunen Kutten.

1996 eskalierte die Situation in Čapljina. Die Franziskaner verließen zunächst die Pfarre, doch die Gläubigen mauerten die Kirchentüre zu, sodass der Diözesanklerus nicht hineinkonnte. Und so kamen die Franziskaner wieder zurück und übernahmen die Kirche wieder. Einer der Rebellen ist Mile Vlašić, der auch heute in Čapljina im Pfarrhaus zu finden ist. Er wurde 1999 aus dem Orden ausgeschlossen, dürfte eigentlich keine Kutte tragen und darf auch sein Priesteramt nicht mehr ausführen, keine Sakramente spenden und keine Seelsorge betreiben. Aber das ist Mile Vlašić herzlich egal. "Niemand kann wen hinauswerfen. Wir sind Priester für immer. Der Bischof kann darüber nicht entscheiden. Das Priestertum ist etwas zwischen mir und Gott. Es ist ein Vertrag mit Gott. Es ist ein ewiger Schwur", sagt er zum Standard. "Ein Priester ist ein Geschenk für die Kirche und nicht für den Bischof. Und dieses Geschenk kann er nicht zurückweisen", fügt er hinzu. Überhaupt seien die Leute ohnehin solidarisch mit den Franziskanern und Verfolgung von außen gewohnt. In diesem Punkt hat Vlašić Recht. Den Herzegowinern ist der Vatikan offensichtlich ziemlich egal, sie solidarisieren sich mit den Rebellen-Mönchen aus dem balkanischen Karst. "Wir waren die einzigen die über Jahrhunderte hier den Glauben behalten haben, auch der Bischof ist damals geflohen und jetzt komme er daher und will entscheiden", sagt der hagere Mann mit den Brillen, als wäre der Bischof im 15. Jahrhundert der gleiche wie der, der heute in Mostar residiert.

Rebell in Čapljina

Vlašić sitzt jedenfalls selbstbewusst in dem Pfarrhaus mitten in Čapljina. Hinter ihm steht der Heilige Anton von Padua."Es gibt eine Spannung zwischen der Institution und dem Charisma", erklärt er den Konflikt. Für ihn fängt der Zoff mit der Weltkirche bereits damit an, dass Stadler, der 1881 zum Erzbischof ernannt wurde Weltpriester einsetzte und das Monopol des Ordens brechen wollte. "Die Leute waren schon damals dagegen", sagt er. Man könne Traditionen nicht so schnell ändern, führt er das Denken der Herzegowiner aus. So etwas dauere vielleicht 200 Jahre.

Vlašić beschäftigen vor allem die "Märtyrer" in der Herzegowina, damit meint er jene Franziskaner die während des Osmanischen Reichs verfolgt wurden. Um nicht erkannt zu werden, nannten sie sich damals "ujak", dies ist die Bezeichnung für den Bruder der Mutter. "Wenn die Türken gefragt haben: Wer ist das?, hat man gesagt: Das ist der Onkel", erzählt Vlašić. Bis heute nennt man die Franziskaner hier in der Herzegowina so. Und Rebell Vlašić sieht offenbar die Amtskirche durchaus in der Tradition der Unterdrückung der Osmanen. Jedenfalls gefällt er sich in seinem Widerstand. "Von hier aus war Konstantinopel immer weit weg und der Vatikan auch. Und niemand konnte viel machen", sagt er schmunzelt. Drei Pfarren widersetzen sich weiterhin dem Dekret des Papstes, neun Franziskaner sind trotz Hinauswurfs weiter aktiv. Auch in Crnač amtiert einer, der bereits 2001 aus der Kirche rausgeschmissen wurde. Der Generalvikar Majić betont aber, dass die Kooperation mit den Franziskanern in den vergangenen Jahren viel besser geworden sei. Im Fall der herzegowinischen Affäre handle es sich um eine rechtliche Frage. Wenn es um Međugorje gehe, dann handle es sich um eine dogmatische Frage, so Majić zum Standard. "Obwohl manche Međugorje in diesem Zusammenhang sehen." Zumindest zeitlich fallen die beiden Dinge zusammen.

Marienwallfahrtsort

Alles begann 1981, als ein paar Kinder in dem Dorf berichteten, ihnen wäre die Gottesmutter erschienen. Während die Franziskaner vor Ort auf der Seite der Kinder standen, hat die katholische Kirche die Erscheinungen bis heute nicht anerkannt. Seit rund 30 Jahren streitet der Bischof mit den Franziskanern, die die Pfarre und die Seelsorge im Marienwallfahrtsort inne haben und Međugorje zu dem machten, was es heute ist. Auch Pilgerfahrten sind offiziell untersagt. Die Franziskaner kümmern sich wenig darum. "Der Bischof erkennt die Erscheinungen nicht an. Aber auch wenn du mich nicht anerkennst, heisst das noch nicht, dass ich nicht da bin", sagt Mile Vlašić schnippisch. Ante Pranjić vom Franziskanerkloster in Tomislavgrad hat ein noch besseres Argument. Er verweist auf den franziskanischen Nachwuchs, der vor allem durch Međugorje gegeben ist: "Der liebe Bischof hat ja nicht so viele Priester. Wir haben ein bisschen mehr." Pranjić bezieht sich auch auf die herzegowinische Affäre. "Der Bischof hat uns einige Pfarreien weggenommen, aber Gott hat uns eine Welt-Pfarre gegeben. Nach Medjugorje kommen jedes Jahr über eine Million Leute von überall her", sagt er süffisant. Die Beziehungen zur Amtskirche betrachtet er nicht als gespannt. "Die Zeit baut und die Zeit zerstört", meint er, so als wäre er siegessicher, dass die Geschichte den Franziskanern ohnehin Recht geben wird.

Eine gewisse Affinität zur rebellischer Unabhängigkeit zeigt sich auch in der Haltung der bosnischen Franziskaner zur bosnischen Kirche, die unabhängig von den etablierten Kirchen hier vom 13. bis 15. Jahrhundert existierte. Während sie vom Vatikan abgelehnt wurde, sehen die Franziskaner sie als höchstens häretisch an. "Die waren einfach selbständig und hatten eine eigene Hierarchie, so wie heute die chinesische Kirche" sagt etwa Šarčević. Andere Franziskaner meinen, dass der Orden die bosnische Kirche integrieren konnte, weil es keine große Spaltung zwischen den Franziskanern und den "kristjani" gab, wie sich die Anhänger der bosnischen Kirche nannten. Mit der franziskanischen Missionstätigkeit in Bosnien-Herzegowina schrumpfte jedenfalls die Kirche bis zum 15. Jahrhundert und verschwand dann völlig. Heute hat die Provinz Bosna Srebrena 19 Klöster, drei sind ausserhalb von Bosnien, eines in Zagreb, eines in Belgrad und eines in Đakovica.

Mehr Altruismus und Gleichheit

Zum Kloster in Visoko gehört nicht nur ein sehr renommiertes Gymnasium, in das viele Bosniaken gehen, sondern auch ein Noviziat. Die jungen Männer, die aus ganz Bosnien-Herzegowina kommen, werden 13 Jahre lang ausgebildet. Insgesamt gibt es hier etwa 30 Seminaristen, erzählen die Jugendlichen, die im Garten vor dem Kloster herumschlendern. Sie zeigen das Tao-Kreuz der Franziskaner, das hier in die Wiese gemäht ist. "Wir wollen den Armen helfen", nennt einer von ihnen das Motiv für seinen Lebensweg. "Wir wollen ein Leben mit Gott verbunden", sagt ein anderer 15-Jähriger. In Visoko weht offensichtlich ein integrativer franziskanischer Geist. So wie im Franziskanerkloster in Kraljeva Sutjeska. "Heute müssen wir uns mit zwei Themen beschäftigen, mit dem Multikulturalismus und dem multikulturellen Staat", sagt Stjepan Duvnjak. "Wir haben hier in Bosnien verschiedene Kulturen, aber wir sollten wirklich alle dazu erziehen, dass sie sich als gleich verstehen. Und dazu brauchen wir mehr Altruismus, damit man sich wirklich dem anderen öffnet", beendet er seinen Rat. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 31.10.2014)