Ungarns Premier Viktor Orbán wähnt sich schlau. In seinem Land liegen keine Investigativ-Journalisten erschossen im Straßengraben, schmachten keine Studentenführer in den Kerkern des Regimes. Kein Zensor kommt und schließt unbotmäßige Fernsehanstalten.

Noch nicht, meinen unverbesserliche Pessimisten im Orbánland. Aber der Regierungschef ist ein Optimist. Er glaubt, dass er mit seiner Schlauheit durchkommt. Unbotmäßige Fernsehsender werden mit einer eigens auf sie zugeschnittenen Reklamesteuer in die Verlustzone gedrängt. Wenn die Polizei den Sitz einer kritischen NGO stürmt, wird niemand verhaftet. Stattdessen wird die Büroleiterin von den Beamten nach Hause begleitet, damit man dort auch ihre privaten Laptops beschlagnahmen kann. Putinismus in der Gentleman-Variante, könnte man sagen.

Und jetzt das Internet. Dem in die Jahre gekommenen einstigen Studentenrevoluzzer Orbán ist es eigentlich eine fremde Welt. Aber so viel spürt er: dass ihm aus dem digitalen Dschungel unkontrollierbare Gefahren drohen. Abstellen oder filtern wie in Nordkorea oder im Iran geht nicht. Aber, wie in Erdogans Türkei eine neue Steuer erfinden, um es kleinen Leuten zu vergällen: Das ist schlau.

Mit der gewaltigen Protestwelle, die Orbáns neueste Finte ausgelöst hat, hat niemand gerechnet. Was sich daraus entwickelt, lässt sich noch nicht absehen. Und auch nicht, wann Orbáns Schlauheitsvorrat aufgebraucht ist. (Gregor Mayer, DER STANDARD, 30.10.2014)