Wer bei diesen Männern nicht lachen muss, dem ist nicht zu helfen: Benir (Sebastian Reiß, links) versucht seinem Kollegen Gaspar (Jan Thümer) in aller Freundschaft einen Arm abzusägen.

Foto: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

Graz - Der erste Blick auf die Lobby des Hotels, in dem man die nächsten zweieinhalb Stunden verbringen wird, entzückt schon: Rezeptionist Güll Ebrudalsson (Thomas Frank) steht eingerahmt wie ein Bild da. Auch wenn man nicht wüsste, dass Regisseur Viktor Bodó Ungar ist, erinnerte man sich an Wes Andersons Film Grand Budapest Hotel. Und da weiß man noch gar nicht, welche wunderbaren Zimmer, Gänge und Hinterhöfe einem die Bühnenbildnerin Hanna Penatzer auf der Drehbühne des Grazer Schauspielhauses noch schenken wird.

Während Andersons Film aber erst ein Jahr alt ist, schrieb Viktor Bodó das absurde, unlogische, verwirrende, verrückte und einfach großartig kurzweilige Stück Motel schon 2003. Und zwar auf Grundlage eines Stücks von Harold Pinter gemeinsam mit András Vinnai, der in der nun gründlich bearbeiteten Fassung in Graz auch selbst spielt: den Zimmerkellner und den gruseligen Prof. Dr. Handke.

Geölte Zahnräder

Mit Vinnai glänzen 14 weitere Schauspieler, die Bodó wie schon in Produktionen wie Peter Handkes Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten oder Franz Kafkas Schloss und Amerika offensichtlich zu begeistern verstand. Dabei greifen die Ensembles der Szputnyik Shipping Company und des Grazer Schauspielhauses wie frisch geölte Zahnräder ineinander - selbst dann, wenn sie Deutsch und Ungarisch sprechen, mal synchronisiert, mal live.

Anders als in Wes Andersons Hotel ist die Handlung nicht stringent. Doch auch hier ist der Autor der Geschichte selbst Gast im Hotel - wobei es bald so viele sich gegenseitig die Urheberschaft streitig machende Autoren gibt, dass man sich fühlt wie ein Kind, das sich zwischen zwei Spiegeln unendlich oft multipliziert erblickt. Fix sind an diesem Abend nur dauernde Brüche: zwischen Genres, Musikstilen und Epochen. Schon zu Beginn, wenn das Licht im Saal mehrmals aus- und angeht: Geht es los oder nicht? Es setzen mehrere Songs ein und ersterben gleich wieder. Hier rennt ein Film, der sich noch nicht für den passenden Soundtrack entschieden hat. Wozu auch, wenn man alles haben und das genussvoll auf die Spitze treiben kann?

Zum Rezeptionisten gesellt sich der Hoteldirektor, den Stefan Suske hinreißend spielt - wie auch den Autor Dexter Waughin, der mit seinen Figuren diskutieren muss. Eine geheimnisvolle Blondine (Evi Kehrstephan) wandelt wie Hitchcocks Carlotta in Vertigo durch die Lobby, checkt ein und wieder aus und wieder ein und ist plötzlich hochschwanger. Zimmermädchen und Hausmeister sowie die kafkaesken Figuren Mops und Mefler tummeln sich, während Gäste die wunderbaren Retrozimmer beziehen.

Bleibenden Eindruck hinterlassen zwei tollpatschige Auftragskiller mit Herz, über die sogar Frank Stronach lachen müsste: Das kongeniale Schauspielerduo Jan Thümer und Sebastian Reiß gibt Gaspar Buharetti und Benir Tronsoir: So sehen Stan und Olli aus, wenn sie bei Quentin Tarantinos Pulp Fiction mitspielen.

Arme absägen, Haare spalten

Verzweifelt versuchen sie die Aufträge ihres in Gedichten kommunizierenden Chefs zu verstehen, ballern Leute nebenbei um, während sie à la Woody Allen Haare spaltend diskutieren. Tronsoir überredet Buharetti gar, einen Arm zu opfern, um in die Rolle eines Einarmigen zu schlüpfen. Im Nebenzimmer sucht ein sonderbares Pärchen (Kata Bach und Pál Kárpáti) Zuflucht, in einem anderen hat ein Forscherteam weitreichende Pannen, die Störungen im Verhalten aller Protagonisten erklären könnten.

Doch bevor es so weit kommt, eskaliert ein Autorenstreit. Vinnai meldet sich aus den Publikumsrängen als echter Autor, und das gesamte Stückpersonal brüllt sich über die Köpfe der Zuseher hinweg an. Zettel fliegen zu Boden und dann kommt der Albtraum vieler: Mitspieltheater. Aber sogar das macht dem Publikum Spaß, wenn es die Hymne eines Landes namens Garussia singt.

Am Schluss noch eine kleine Theaterschlacht in historischen Kostümen mit einer Königin mit Tourettesyndrom. Man hat fast alles gesehen: Slapstick, Film Noir, Splatter und Horror. Man hat sich keine Sekunde gelangweilt. Bodó und Vinnai haben in einem virtuosen Zitatereigen, in dem sie sogar Bodó zitierten, dem Theater eine liebevolle Kusshand hingeworfen. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 30.10.2014)