Jusuf Hadžifejzović vor seinem Shop der leeren Dinge: "Wir hinterlassen Spuren, und die können über Objekte sprechen."

Foto: Semir Avdic

In Ex-Jugoslawien stellt ein Schild wie dieses sofort vielfältige Bezüge her.

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Der Künstler hat auch Uniformen der Jugoslawischen Volksarmee "zivilisiert", indem er sie zu normalen Anzügen mit Krägen umschneidern ließ.

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Seit dreieinhalb Jahren sammelt Hadžifejzović auch leere Flaschen.

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Jusuf Hadžifejzović sitzt oft vor dem Glasfenster, in das vom Gang das Licht hereinfällt, und malt "Unsinn", wie er sagt. Er füllt jene kreisrunden Abdrücke auf Bierkartonschachteln mit oranger Farbe aus, die die Bierdosen hinterlassen haben. Von draußen dringt Supermarktmusik herein. Ansonsten ist es sehr still. "Wenn man Unsinn wie eine Tatsache begreift, dann muss man mit dieser Tatsache leben", erklärt Hadžifejzović sein Tun. In sein Charlama Depot verirrt sich kaum jemand. Denn es liegt weit hinten im Untergeschoß des Kultur-, Sport- und Einkaufszentrums Skenderija in Sarajevo. Und es liegt im Dunklen. Seit vielen Monaten kann Hadžifejzović die Stromrechnung für das Licht nicht mehr zahlen. Mit einer Taschenlampe leuchtet der Mann mit den struppigen Augenbrauen und den blau-weiß gestreiften Hosen einzelne Objekte seiner umfassenden Sammlung zeitgenössischer Kunst an.

Gegenüber an der Wand hängt etwa ein altes Zugschild aus Metall: "Zagreb via Scheveningen" steht darauf. In dem Stadtteil Scheveningen in Den Haag befindet sich das Gefängnis des Jugoslawien-Tribunals, wo mutmaßliche Kriegsverbrecher auf ihr Urteil warten. In Ex-Jugoslawien stellt ein Schild mit der Aufschrift "Zagreb via Scheveningen" sofort vielfältige Bezüge her. Am Boden davor steht eine Krippe, in der eine Holzfigur eines gekreuzigten Jesus liegt, ein Werk von Halil Tikveša. Auf Fotos kann man Hadžifejzović eigene Performance "die Angst vor drinkbarem Wasser" nachvollziehen. Während viele Künstler im Krieg nach Sarajevo kamen, um die belagerte Stadt als Kulisse für ihre Selbstpromotion zu nützen, fuhr Hadžifejzović, der im serbischen Prijepolje geboren ist, 1994 nach Cetinje um seine Familie zu treffen. Auf das Foto, das dieses Treffen dokumentiert, richtete er später Dartpfeile. Bei dieser Performance stand er in dem nachempfundenen Fußabdruck von Gavrilo Princip, der sich im Attentats-Museum in Sarajevo befindet.

Museum für Depotgrafie

120 Künstler, vor allem Leute aus der Region, haben insgesamt etwa 5000 Objekte dem Charmala Depot zur Verfügung gestellt. Hadžifejzović sieht das Depot als Ganzes als Kunstobjekt an und spricht demnach von seiner Arbeit als "Depotgrafie". Das Charlama nennt er ein "Museum für Depotgrafie".

Tatsächlich ist das Charlama-Depot ohne Strom und Licht, im Keller des verwahrlosten Skenderija-Zenrums wie ein verdichtetes Bild davon, wie in Bosnien-Herzegowina mit Kunst umgegangen wird. Für diese Symbolik ist dabei kein Künstler verantwortlich, sondern die Behörden. "Die bosnische Regierung kümmert sich einfach nicht um Kunst", meint Hadžifejzović. Das Charlama spiegelt in diesem Sinn dieses Nicht-Gezeigte. Tatsächlich waren die Kulturagenden beim Friedensschluss 1995 nicht wichtig und wurden deshalb im Abkommen von Dayton gar nicht verankert. Fragt man nach den Kulturausgaben im Landesteil Föderation, bekommt man vom dortigen Ministerium nicht einmal eine Antwort. Im zweiten Landesteil, der Republika Srpska werden 0,94 Prozent des Budgets für Kultur ausgegeben. Dieses Jahr waren es 7,4 Millionen Euro. Der Großteil fließt aber in Gehälter und Institutionen.

Hadžifejzovićs Konzept, keine Galerie, sondern ein Kunstdepot zum Ausstellungsort zu machen, ist auch ein schlüssiger Weg, um den Zustand der bosnischen Gesellschaft darzustellen. Denn ein Depot ist auch ein Ort, zu dem nur bestimmte Leute Zugang haben. Es habe den Status von "verbotenen Geheimnissen", erklärt der 58-Jährige. Weil das Charlama dunkel und schwer zugänglich ist, kann man dort nicht nur Objekte entdecken, sondern Dinge, die zwar vorhanden, aber nicht bewusst sind, werden auch aufgedeckt. "Ich will die Dinge, die im Gefängnis sind, befreien", meint Hadžifejzović. "Und ich befreie sie vor der Zeit, an der sie ans Tageslicht kommen", fügt der Mann hinzu.

Charlama ist ein türkisches Wort und bedeutet so etwas wie "Trick" oder "Finte". Hadžifejzović Methode des "Aufdeckens" ist, dass er Objekte umkontextualisiert oder entkontextualisiert. Zu seiner Sammlung gehört etwa ein Wehrmachtshelm, der in Frankreich als Nudelsieb verwendet wurde. "Der Inhalt ist wichtiger als das Format", erklärt der Künstler, der auch Uniformen der Jugoslawischen Volksarmee "zivilisiert" hat, indem er sie zu normalen Anzügen mit Krägen umschneidern ließ. Neben ihnen hängt ein Anzug, der aus einer jugoslawischen Flagge gemacht wurde. Über einem Tisch kleben Hadžifejzovićs übermalte Stromrechnungen.

Das Charmala macht auch selbst in seinem Kontext eine neue Bedeutungsebene auf. Denn das Einkaufs- und Kulturzentrum Skenderija in dem es sich befindet und das 1969 erbaut wurde, ist heute schwer renovierungsbedürftig. Das Dach ist durch den Schnee im Winter 2012 eingebrochen. Im Keller stehen viele Geschäfte leer, in anderen Räumen lassen sich Frauen lange, glitzernde Fingernägel an die Hände kleben. Trash und billige Cafés dominieren. Dabei ist Skenderija als Veranstaltungsort mit vielen positiven Erinnerung an Jugoslawien, seine Architektur, seine Musik und seine Konsumkultur verbunden. Wer sich aber heute shoppend zeigen will, geht nicht hierher sondern ins "Sarajevo City Center", einen ganz neuen, plumpen Bau, der nicht nur die Sicht auf die Berge verstellt, sondern auf dem eine flirrende riesige Werbefläche Konsummöglichkeiten suggeriert, die es in dem armen Land für die allermeisten gar nicht gibt.

Wenn das "al-Shitty", wie einige das Sarajevo City Center als Verballhornung von "al-Shiddi" - so der Name des Investors - nennen, ein Symbol für vorgeblichen Wohlstand ist, dann ist Skenderija genau das Gegenteil. Denn Skenderija zeigt den ökonomischen Verfall von Bosnien-Herzegowina. Und insofern ist Skenderija auch etwas, was den Schein von "al-Shiddi" auf der anderen Straßenseite als solchen erkenntlich macht. Und das Depot von Hadžifejzović tut dies als Gesamtprojekt nochmals. Kein Kulturraum in Bosnien-Herzegowina reflektiert wohl den Zustand des Landes besser, als dieser lichtlose Kellerraum voller Kunst, die keinen Platz hat in einem Staat, der nicht einmal ein gemeinsames Kulturministerium hat.

Shop der leeren Dinge

An der Rückwand des Raumes, ganz im Dunklen stehen hunderte Plastikflaschen, die früher Wasser enthielten. Seit dreieinhalb Jahren sammelt Hadžifejzović die Flaschen, die er selbst verwendet. Es geht ihm darum Konsum und Alltag zu dokumentieren. "Wir hinterlassen Spuren und diese können über die Objekte sprechen", erklärt er. Er nennt dies den "Besitz des Leeren" und hat deshalb auch einen "Shop der leeren Dinge" eingerichtet, indem man Pizza-Schachteln oder Keksboxen kaufen kann. Die leeren Schokoladenschachteln als Kunstobjekte kosten übrigens genauso viel wie sonst die vollen. "Sie sind Zeugen unseres Lebens", sagt Hadžifejzović. Und in diesem Sinne enthülle die Leere.

Dem Künstler geht es auch darum, Dinge, die an der "Schwelle zum Weggeworfen werden sind", zu zeigen. Insofern ist sein Depot auch ein Asyl. Die Idee ein Depot als Ausstellungsraum zu nützen, kam ihm übrigens bereits 1987, als ihm untersagt wurde, eine seine Arbeiten an der Fassade des Unternehmens Energoinvest anzubringen, wo früher ein großes Tito-Bild zu sehen war. Also stellte er in einem Kellerdepot eines Kulturraums, wie in einem Exilquartier aus.

Während heute viele Sarajlijas gar nicht wissen, dass Hadžifejzović in der Skenderija in einem dunklen Raum sitzt und "Unsinn" malt, kommen Leute wie Chris Dercon, Direktor von der Tate Modern in London zu ihm auf Besuch. Auch ausländische Kunststudenten lassen sich vom Charmala-Depot inspirieren. Hadžifejzović liegt allerdings wegen Geldmangels im Dauerclinch mit dem Direktor von Skenderija. Einmal wurde bereits die Tür des Depots mit einer Kette versperrt, nach Protesten von Bürgern, wurde das Charmala wieder geöffnet. Die Zukunft ist aber mehr als ungewiss. In Sarajevo sind viele der anerkanntesten Kultureinrichtungen geschlossen, weil man sich nicht einigen kann, wer zahlen soll und wer zuständig ist. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, DER STANDARD, Langfassung, 30.10.2014)