Marco Michael Wanda, der Tänzer mit den elastischen Beinen, und seine Band verdichten auf "Amore" diverse Wien-Klischees. Das Auto ist unsympathisch.

Foto: Senekowitsch/Seehofer

Wien - Es ist schon sehr beruhigend, dass es heute noch einige junge Leute in Wien gibt, die trotz bundesdeutscher Leitkultur zumindest ansatzweise Wienerisch sprechen. Zumindest vertraut Marco Michael Wanda in der Schule des anderen wichtigen heimischen Raunzers - seines erklärten Vorbilds Der Nino aus Wien - auf eines: Der Zungenschlag, der meist mit dem Gemeindebezirk Meidling assoziiert wird (im Übrigen aber eigentlich einst vor ungefähr genau dings Jahren von Linz über die Donau mit dem Floß heruntergekommen ist, was jetzt aber wuascht ist) eignet sich wie kein zweiter dazu, "Oasch-Llloch" zu sagen.

Mag das deutsche Idiom auch längst Einzug in die Jugendzimmer zwischen Lobau, Kahlenberg und Monte Laa gehalten haben, beim Schimpfen wird es emotional. Wenn Gefühle im Spiel sind, bedient man sich der Muttersprache: "Einmal willst du leben in Rom / Einmal willst du nach Berlin / Einmal willst leben auf Hawaii / Sterben wirst du leider in Wien - da g'hörst hin."

Marco Michael Wanda, der Chef der in Wien schon jetzt nach einem halben Jahr weltberühmten Wiener Band Wanda, singt dieses eindeutig wienerische Bekenntnis zwischen Euphorie (kurz) und Resignation (eh dann für immer) im Lied Bleib wo du warst. Es kommt darin auch noch die Textzeile vor: "Ich sauf keinen Schnaps, ich sauf einen Pistolenlauf." Ein anderes Lied heißt allerdings Ich will Schnaps. Wieder ein anderes Stehengelassene Weinflaschen. Am deprimierendsten wird es in Schickt mir die Post. Dort will Marco Michael Wanda in den Himmel auffahren, "so schnell und bequem, wie es geht". Goldenes Wiener Herz. Noch genussvoll narzisstischer, bösartiger und selbstmitleidiger geht es eigentlich kaum: "Schickt mir die Post schon ins Spital / Und schläfert Rico bitte ein / Sagt meinen Mädchen, es war schön / Sie sollen sehr langsam traurig sein."

Die Musik dazu wird von Mittzwanzigern geliefert, die in ihrer Kindheit zwischen Teletubbies und Bob der Baumeister kurz die Geschichte des Punkrock auf Youtube daddelten. Joe Strummer, The Clash, dieses Zeug, wo sich Typen das Hemd von der Brust reißen, weil es das Herz darunter aus lauter Zurn zerspringt und sie deshalb ihren Weltekel hinausschreien müssen. Sie haben dann aber auch oft schon etwas getankt oder inhaliert oder geschnupft. Es wird alles ein wenig undeutlich in der Aussprache und krächzig. Rio Reiser von Ton Steine Scherben machte das früher auch, aber ohne Englisch und ohne Wien, sondern auf Berlinerisch und mit mehr Liebe - auch zum Hass. Auch so ein Vorbild Wandas.

Als Kind wurde Marco Michael Wanda von seinem Vater möglicherweise auch zu Zeltfesten an der Peripherie mitgeschleppt oder in Mischgetränklokale mit Livemusik, wo die Bands Die drei G'schissanen oder Kurti und die Haderlumpen heißen und darauf geschaut wird, dass die Gastleber ordentlich geschunkelt wird, damit der Umsatz für den Wirt passt.

Das alles prägt die Musik von Wanda auf ihrem jetzt vorliegenden und auch in Deutschland durch die Decke gehenden Debüt Amore. Stimmt, Italien. Es gibt in Wien diverse Pizzerien, in denen nie etwas gegessen wird, aber das Saufen billig ist. Dort läuft dann das übliche Zeug von Adriano Celentano, Drupi oder auch Bud-Spencer-Filmsongs von den Oliver Onions. Dieses Zeug mag Marco Michael Wanda auch. Das hört man. Manchmal klingt diese Band aber so patschert wie Mei potschertes Lebn von Hans Orsolics, dem stets glücklosen Wiener Boxer. Der konnte im Leben nichts auslassen, deshalb sang er auch noch.

Manchmal klingt die Musik von Wanda absolut nicht leiwand, etwa auf der aktuellen Single Bologna, die klingt wie eine Mischung aus vergilbtem Austropop, Drah-di-net-um-Falco-Fußballchören und der geschassten Begleitband von Umberto Tozzi (Ti amo). Die hatte vor dem letzten gemeinsamen Auftritt zu schwer gegessen und dann zu stark Fernet nachgekippt. Daraufhin verloren sie und auch Umberto Tozzi jegliches Taktgefühl. Er erklärte den Musikern, wohin sie gehen sollten.

Pfadfinderlager-Akkorde

Manchmal kann man sich trotz aller gestrampften und geschrammelten Pfadfinderlager-Akkorde auf der Gitarre und diesem unerträglichen Musikschulklaviergetue, das gleichzeitig sensibel und kraftvoll sein soll, aber nicht gegen Wanda wehren. Das überall auf und ab gespielte Lied Auseinandergehen ist schwer über eine angesoffene Krisensitzung unter Freunden zum Thema Scheidung ist das beste Wiener Lied seit Du Oasch von Der Nino aus Wien.

Ach so, stimmt: Wanda klingen auch ein wenig, wie wenn man dem Nino aus Wien eine auflegt und ihm sagt, er soll ein bisschen anzahn. Wirklich langsam spielen Wanda nämlich nicht. Das ist dann nicht so wienerisch. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 29.10.2014)

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