Abenteurer Tim Moore stellte sich einer gewaltigen Herausforderung: dem Giro d'Italia, wie er 1914 gefahren wurde.

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"Warum zur Hölle treibe ich diesen ganzen bescheuerten Aufwand?", fragt sich Tim Moore, als er sich in einer Werkstatt irgendwo im französischen Niemandsland inmitten uralter Speichen, Ritzeln, Felgen und Rohre wiederfand. Der Engländer hatte sich, verärgert über Lance Armstrongs Doping-Freispruch, in den Kopf gesetzt, den Giro d'Italia 1914 auf einem ebenso alten Boliden zu absolvieren - "das vielleicht grausamste Radrennen der Welt". In seinem Buch "Gironomo!" beschreibt er sein wahnwitziges Unterfangen.

Großes Unbehagen

"Mich beschlich ein eher allgemeines Unbehagen angesichts der relativen Leichtigkeit, mit der selbst durchschnittlich begabte Radprofis eine Herausforderung meisterten, die aus ihren Vorgängern noch zerstörte, stumpfsinnig nuschelnde Wracks gemacht hatte", schreibt der Abenteurer über seine Motivation. Mit der körperlichen Prüfung schien es ihm im modernen Radsport nicht mehr weit her zu sein. Da beschloss der Engländer, sich selbst einer solchen zu stellen - freilich völlig untrainiert und fast 50 Jahre alt.

Er will den Giro fahren, und zwar so, wie er im Jahr 1914 stattfand: dieselbe Strecke, das gleiche Material, die gleiche Ausrüstung wie früher. "Der Grund, warum erwachsene Männer weinen", zitiert Moore ein Radsportmagazin, das über den 1914er-Giro berichtete. Durchschnittliche Etappendistanz: 400 Kilometer.

Als Moore 14 Jahre zuvor die Tour-de-France-Strecke fuhr, hätten ihm 100 Kilometer beinahe den Rest gegeben. Und da war er erst gut 30 Jahre alt. Auch die Tatsache, dass die meisten der dereinst angetretenen Fahrer aufgegeben hatten, bereitet ihm Bauchweh: "Wie hatte ich es bis hierher [kurz vor Fertigstellung seines Rads] geschafft, ohne mir ein einziges Mal die aberwitzige Ungeheuerlichkeit des Unternehmens vor Augen zu führen, das ich mir vorgenommen hatte?" Kamen doch von den 81 Rennfahrern, die dereinst in Mailand quer durch Italien losrollten, nur acht wieder zurück.

Keine Gangschaltung

Sein letztes radfahrerisches Abenteuer, das Abfahren der Tour-de-France-Strecke im Jahr 2000, gelang ihm zu seinem eigenen Erstaunen. Damals merkte Moore, dass er mangelnde bis fehlende Vorbereitung bis zu einem gewissen Grad durch Motivation und eisernen Willen wettmachen konnte. Aber ob das noch einmal gelingen konnte, noch dazu in einem deutlich härteren Rennen?

Allen fahrerischen und vorbereitungstechnischen Unsicherheiten zum Trotz startet er schließlich tatsächlich - auf einem scheinbar originalen über hundertjährigen La-Francaise-Diamant-Rad, das sich kurz vor Aufbruch noch als No-Name-Rennrad, immerhin ebenso alt, entpuppt hat.

Keine Gangschaltung, Felgen aus Holz und Bremsen aus Weinkorken - dazu ein besorgniserregendes Outfit. Ob das gutgehen kann? Auch wenn man berechtigte Sorgen um Moores Gesundheit und Leben hat: Als Leser folgt man ihm gern durch sein überaus humorvoll beschriebenes Abenteuer - bis zum Schluss. (Florian Bayer, derStandard.at, 28.10.2014)