Äthiopien befindet sich in den allermeisten Entwicklungs- und Wirtschaftsstatistiken afrikanischer Länder unter den Aufsteigern. Bei Menschenrechts- und Presse-Indizes zählt das ostafrikanische Land allerdings zu den Schlusslichtern. Im Jahr 2013 zählte Äthiopien gleich hinter Eritrea zu jenen Ländern Afrikas mit den meisten Journalistenverhaftungen. Im Jahr 2014 wird der Negativrekord wohl wieder gebrochen werden, sind doch in den vergangenen Monaten erneut Magazinherausgeber, Journalisten und Blogger vor Gericht gestellt worden.

Schweigen der Journalisten

Die Vorreiterrolle am Horn von Afrika, der wirtschaftliche Boom und die entwicklungspolitischen Fortschritt sowie das überwiegend friedliche Zusammenleben von Muslimen und Christen lenken von den bedenklichen Zuständen ab. Wer in Äthiopien mit Journalisten über die Zustände der Pressefreiheit reden will, trifft auf eisernes Schweigen. Niemand vor Ort würde auf die Idee kommen, sich selbst zu gefährden und dem herrschenden Einparteienregime einen Anlass für Anschuldigungen zu liefern.

Die Zone-9-Blogger im Jahr 2012, zur Zeit der Gründung.
Foto: Creative Commons

Mithilfe des 2009 etablierten Antiterrorgesetzes, das eigentlich die Sicherheit vor Al-Shabaab und anderen Al-Kaida-Kämpfern gewährleisten soll, ist es den äthiopischen Behörden ein Leichtes, Journalisten wegzusperren. Handfester Beweise für die Anstachelung zu Aufständen oder die Zusammenarbeit mit terroristischen Gruppierungen bedarf es dafür nicht. Ein kritisches Wort gegen die von der "Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker" (EPRDF) geführten Regierung und den Präsidenten reicht.

Blogger von Zone 9 vor Gericht

Im Fall der sieben Blogger und drei Journalisten von "Zone 9", deren Festnahmen im März 2014 samt anschließendem Prozess auch für erhöhte Aufmerksamkeit im Ausland sorgte, ist es eine mutmaßliche Verbindung zur Oromo-Befreiungsfront (OLF) und zu Ginbot 7, beides politische Parteien, die vom Staat als terroristische Organisationen geführt werden, was die Verhaftung rechtfertigt. Die Beschuldigten streiten bis dato allerdings jeglichen Kontakt zu den Gruppierungen ab.

Laut Soliyana Shimeles, selbst eine der Zone-9-Blogger, ist ein auf Computern gefundenes Parteiprogramm der Oromo-Befreiungsfront das einzige Beweismittel, das die Justiz bisher vorgelegt hat. "Das Parteiprogramm ist Open Source und für jeden online abrufbar", so Soliyana Shimeles im E-Mail-Interview mit derStandard.at.

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Demonstration der Opposition gegen die tödliche Niederschlagung von Studentenprotesten in der Region Oromo.
Foto: Reuters/Negeri

Shimeles, Mitbegründerin von Zone 9, hätte ebenfalls im Gefängnis sitzen sollen. Ein Zufall wollte es, dass sie sich zur Zeit der Verhaftung gerade in den USA aufhielt, um den UN-Menschenrechtsrat über die Lage in Äthiopien informierte. Sie konnte dem Zugriff durch die Polizei entgehen.

Die Gruppe hatte sich in ihren Blogeinträgen kritisch mit der Menschenrechtssituation befasst und unter anderem auch politische Gefangene besucht. Der Blog wurde in Anlehnung an eine Haftanstalt in Addis Abeba, in der es acht Zonen gibt, Zone 9 genannt, quasi als Gefängnis außerhalb des Gefängnisses.

Folter und keine Anklage

Nun sitzt das Kollektiv selbst in einem Trakt und wartet seit einem halben Jahr auf ein Gerichtsurteil, das im schlimmsten Fall eine Haftstrafe von bis zu fünfzehn Jahren beinhalten könnte. Der Prozess wurde nun bereits zum zwölften Mal verschoben, Anfang Dezember ist der nächste Termin angesetzt. Die ersten drei Monate nach der Festnahme wurden die Blogger überhaupt ohne Anklage festgehalten. In dieser Zeit, sagen sie, seien sie auch gefoltert worden. Derzeit dürfen sie im Gefängnis keine Bücher lesen, und die Besuchszeiten wurden insbesondere für die zwei weiblichen Zone-9-Mitglieder stark eingeschränkt.

Einer der Zone-9-Blogger, die nicht verhaftet wurden.
Committee to Protect Journalists

Dass die Blogger von der Regierung offenbar als Bedrohung wahrgenommen werden, hat nicht mit der Verbreitung des Internets und den Möglichkeiten, die diese mit sich bringt, zu tun. Nur rund zwei Prozent aller Äthiopier haben überhaupt einen Internetzugang. Shimeles erklärt sich das Interesse der Behörden damit, dass viele der Artikel von Zone-9-Bloggern auch in Magazinen und Zeitungen aufgegriffen wurden. Gerüchten zufolge könnte die Aktion kurz vor dem Besuch von US-Außenminister John Kerry Ende April 2014 auch eine Retourkutsche an die Amerikaner gewesen sein, die wiederholt die Menschenrechtslage in dem Land kritisiert hatten.

"Von Einkerkerung bedroht"

Einer der Inhaftierten, Befeqadu Hailu, berichtet aus dem Gefängnis von Verhören, in denen er immer wieder mit der Frage "Was glaubst du, welches Verbrechen du begangen hast?" zu einem Schuldeingeständnis bewegt werden sollte. Das ernüchternde Resümee von Hailu: "Menschen, die über die politische Realität in Äthiopien schreiben, werden, solange sie hier leben, immer von der Einkerkerung bedroht sein."

Bevor die Blogger überhaupt im Juli von der Anklage nach dem Anti-Terror-Paragrafen erfuhren, hätten sie noch daran geglaubt, dass sich alles in Wohlgefallen auflösen könnte. "Wir haben unsere Texte weitergegeben, um zu zeigen, dass sie harmlos sind. Gelesen wurden sie offenbar nicht", schreibt Hailu.

Razzia bei Privatmedien

Das Konsortium der Zone-9-Blogger ist bei weitem kein Einzelfall. Im Sommer dieses Jahres wurden die Herausgeber von fünf der größten Magazine angeklagt. Den Privatmedien und ihren Mitarbeitern wurde vom Justizministerium vorgeworfen, mit ihrer Berichterstattung die nationale Sicherheit zu gefährden, zur Anstiftung von Terrorismus und ethnischen Konflikten beizutragen und öffentliche Stellen zu diffamieren.

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Äthiopische Diaspora demonstriert in Malta.
Foto: Reuters/Lupi

Die Inhaber sitzen nun Gefängnisstrafen von über drei Jahren ab. Sechs Publikationen haben deshalb in den vergangenen Monaten in Äthiopien zugesperrt, 30 Journalisten sind seit Jahresbeginn ins Ausland geflüchtet. Regierungsgesteuerte Medien heizen mit gezielten Kampagnen die Stimmung gegen unabhängige Medienplattformen weiter an, berichtet etwa Reporter ohne Grenzen.

Auch das Internet ist fest im Griff der Regierung. Eine Reihe von Websites wird in Äthiopien blockiert und Spyware zur Überwachung benützt. Der "kritische Blick" von innen auf das Land existiert de facto nicht mehr, wie auch Soliyana Shimeles bestätigt: "Mittlerweile gehen die meisten auf Nummer sicher." (Teresa Eder, derStandard.at, 21.11.2014)