Thomas Schmidt ist wissenschaftlicher Assistent und Doktorand an der School of Journalism and Communication der University of Oregon. Zuvor war er als Journalist tätig, u. a. für "Zeit im Bild", "Kleine Zeitung" und "Datum".

Eugene/Oregon - Sie kennt sich aus im Kastrieren von Schweinen. Mit dieser Botschaft stellt sich Joni Ernst potentiellen Wählern im US-Bundesstaat Iowa vor. In ihrem Wahlkampfvideo präsentiert sich Ernst umringt von Schweinen und hofft nun auf genügend Stimmen, um gleichsam den Saustall in Washington auszumisten.

"Zum Quieken bringen"

Die Republikanerin hat überraschend gute Chancen den Demokraten einen Sitz im Senat abzuringen. Für diese hat sie im Video auch noch ein Wahlversprechen: "Ich werde sie zum Quieken bringen."

"Schieß dir mit meiner Glock die Eier ab"

Einer ihrer Mitbewerber in Iowa ist in der Wahl seiner Worte noch drastischer. Bob Quast posiert in seinem Wahlkampfvideo mit einer Glock-Pistole und lässt einem Plädoyer für Schusswaffen eine konkrete Drohung an Einbrecher folgen: "Ich schieß dir mit meiner Glock die Eier ab."

Quast hat keine Chancen auf den Einzug in den Senat, aber das Abschneiden von Ernst wird maßgeblich entscheiden, ob die Republikaner die Mehrheit im Senat und damit die Kontrolle in beiden Häusern des Parlaments erringen.

Was sagt die Wissenschaft?

Ernst und Quast wären nur bizarre Randerscheinungen würden sie nicht wichtige Trends im Wahlkampf und in der amerikanischen Politik im Allgemeinen veranschaulichen: angriffige Werbung, ein polarisiertes Meinungsklima und von Datenanalyse getriebene Wahlberichterstattung. Rechtzeitig zum Wahlkampf gibt es dazu auch Lesestoff aus wissenschaftlicher Perspektive.

Der Sieg der Statistiker

Joni Ernst steht in den Medien hoch im Kurs weil die Wahrscheinlichkeit eines Sieges bei 66 Prozent liegt. Und seit dem Präsidentschaftswahlkampf vor zwei Jahren dreht sich die Berichterstattung alles um Wahrscheinlichkeiten. Das ist vor allem das Verdienst von Nate Silver, einem Statistiker, der in seinem Blog für die New York Times ein Hochrechnungsmodell entwickelte und damit das Ergebnis in allen 50 Bundesstaaten korrekt prognostizierte. Silver wanderte danach zum Sportsender ESPN ab.

Vergleichbare Datenanalysen finden sich mittlerweile aber auch bei der New York Times, der Washington Post und Politico. Michael Butterworth von der Ohio University hat diesen Trend von den Meinungsmachern zu den Statistikern in einer aktuellen Studie nachgezeichnet und analysiert. Er kommt zu dem Schluss, dass diese Ausrichtung auf Statistik die rhetorische Vorherrschaft der traditionellen Medieneliten deutlich untergraben hat.

Diese Datenrevolution verstärkt Tendenzen, die Forscher schon lange beobachten: Wahlkampfberichterstattung, die mehr auf Strategie und Schlagabtausch der Kandidaten ausgerichtet ist (horserace) als auf konkrete Themen. Tatsächliche politische Probleme blieben dadurch auf der Strecke, lautet die Kritik. Empirische Studien zeigen aber auch, dass dieser Horserace-Journalismus beim Publikum sehr gut ankommt.

Angriff ist die beste Verteidigung

Das Wahlkampfvideo von Joni Ernst fügt sich gut ins Gesamtbild des Wahlkampfgeschehens ein. Laut einer Analyse der Washington Post sind diesmal 80% aller Spots negativ und attackieren den politischen Gegner. Die Auswirkungen von Negative Campaigning lassen sich in zweierlei Hinsicht erheben: einerseits in Bezug auf die Mobilisierung der Wähler, andererseits hinsichtlich der tatsächlichen Beeinflussung.

Yanna Krupnikov von der Stony Brook University stellte fest, dass Negativwerbung zu einer höheren Wahlbeteiligung führen kann. Allerdings nur dann, wenn das Timing stimmt. Wähler, die sich schon für einen Kandidaten entschieden haben, reagieren auf angriffige Werbung frustriert und bleiben am Wahltag eher zu Hause. Auf Wähler, die noch unentschieden sind, kann Negativwerbung jedoch motivierend wirken, findet Krupnikov.

Positive Aspekte negativer Werbung

Positive Aspekte von negativer Werbung haben auch John Geer (Vanderbilt University) und Lynn Vavreck (University of California, Los Angeles) analysiert. Sie kommen zu dem Schluss, dass angriffige Werbespots zu einem besseren Verständnis der ideologischen Unterschiede von Kandidaten beitragen.

Andere Wissenschaftler hingegen warnen vor gravierenden Folgen eines polarisierten Meinungsklimas. Basierend auf einem repräsentativen Fragebogen zu den Präsidentschaftswahlen 2008 untersuchte Bryan Gervais von der University of Texas (San Antonio) ob parteiische und grobe Berichterstattung im Fernsehen und Radio auch zu abschätzigen Kommentaren der Mediennutzer führt. Laut seiner Analyse gibt es einen eindeutigen Zusammenhang. Gervais betont, dass Medien nicht allein dafür verantwortlich sind, dass ihre Nutzer auf raue Polemik reagieren. Er hält aber fest, dass angriffige Berichterstattung zumindest das Meinungsklima aufheizt.

Die Wahlkampfkomödie

Eine Folge der ausgeprägten Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten ist auch, dass sich beide Gruppen das politische Geschehen über unterschiedliche Kanäle verfolgen. Laut einer aktuellen Erhebung des Pew Research Centers vertrauen Konservative auf Fox News während liberale Demokraten vor allem zur New York Times und dem öffentlichen Radio (NPR) neigen. Und jüngere Amerikaner nutzen überhaupt andere Quellen abseits der traditionellen Medien zur politischen Information, insbesondere Comedy Shows wie die Daily Show mit John Stewart oder den Colbert Report.

Eine neue Studie der University of Pennsylvania zeigt nun, dass es dabei nicht nur um Entertainment geht. Die Forscher haben festgestellt, dass Colbert Seher mehr über das dunkle Geflecht der undurchsichtigen Parteienfinanzierung wissen als durchschnittliche Nachrichtennutzer. Während des Präsidentschaftswahlkampfes hatte Stephen Colbert die neuen Finanzierungsregeln explizit zum Thema gemacht und zu Anschauungszwecken auch gleich selbst eine Stiftung gegründet.

Wie auch immer der Wahlkampf ausgeht - ob die Republikaner nun den Senat gewinnen oder nicht – angriffige Werbung, das polarisierende Meinungsklima und auch die Datenauswertung werden als Trends weiter zu beobachten sein. Und für Joni Ernst wird sich auch herausstellen, ob sie in den Senat einzieht oder in Iowa bleibt und Schweine kastriert. Und vielleicht hat dann auch Stephen Colbert etwas dazu zu sagen. (Thomas Schmidt, derStandard.at, 27.10.2014)