Noch ist sie nicht ausgebrochen, die Grippesaison. Wie jedes Jahr wird es aber Ende November und Anfang Dezember soweit sein. Eine Person niest, hustet, spricht feuchtnaß und steckt damit jemanden anderen an. Überall dort, wo viele Menschen eng nebeneinander stehen, ist die Infektionsgefahr ganz besonders groß. In der U-Bahn zum Beispiel.
Schweizer und ungarische Wissenschafter erforschen, wie der Prozess der Ansteckung exakt vor sich geht.
Viren brauchen den Menschen, um sich vermehren zu können. Sie besitzen keinen eigenen Stoffwechsel und können damit auch keine Proteine herstellen. Wenn sich jemand mit Grippeviren infiziert, dringen diese in die Zelle ein, indem sie an die Wirtszelle andocken und von der Zelle, mit Hilfe eines Bläschens, absorbiert werden. Während das Bläschen zum Zellkern wandert, sinkt der PH-Wert der Lösung im Bläschen und die Virenhülle verschmilzt mit der Bläschenhülle.
Doch die Reise ist noch nicht zu Ende. Als nächstes will das Virus die schützende Hülle des sogenannten Kapsids aufbrechen um sich zu vermehren. Das Kapsid ist eine Proteinhülle und schützt das Genom vor Abbauprozessen während des Transportes in und durch die Zelle. Die Forscher der ETH Zürich, des Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research in Basel und dem Biological Research Center in Szeged (Ungarn) sind dem Virus auf die Schliche gekommen und berichten nun im Fachmagazin "Science", wie es sich vom Kapsid befreit.
Das trojanische Pferd
Das Kapsid des Virus täuscht einen Knäuel aus Proteinabfällen vor, welches entwirrt und entsorgt werden soll. Auf der Oberfläche befindet sich Ubiquitin, welches signalisiert, dass dieses Protein Abfall ist und abgebaut werden muss. Für diesen Prozess wird das Enzym Histon-Deacetylase (HDAC6) aktiviert. HDAC6 bindet an den Abfall, zerkleinert das Gerüst und entsorgt es. HDAC6 wird erst eingeschaltet, wenn die "normale" Müllentsorgung zu langsam ist und die Proteine Aggregate bilden. Das Kapsid wird vom HDAC6 bearbeitet und schließlich aufgebrochen.
Nun kann das Virus die Replikations- und Proteinbildungsmaschinerie der Wirtszelle für die eigene Vermehrung nutzen. Die gesamte Infektionsdauer vom Andocken bis zur Zellkerneroberung dauert zwei Stunden, die Zerstörung des Kapsids 30 Minuten. "Der Vorgang dauert länger und ist komplexer, als wir erwartet haben", erklärt Yohei Yamauchivon der ETH Zürich.
Neue Behandlungsstrategien?
In einem Mausmodell wurden die HDAC6 Enzyme gehemmt, allerdings bindet HDAC6 trotzdem an das Virus an. Die Grippesymptome sind zwar milder aber können so nicht verhindert werden. "In weiteren Studien werden wir versuchen die Bindestelle zu blockieren", erklärt Yamauchi. Vielleicht lässt sich so das Grippevirus stoppen.
Der Kampf gegen die Viren ist damit allerdings nicht geschlagen. Viren nutzen nicht nur die Zellen geschickt aus, sie können auch mutieren und so ständig neue Mechanismen erfinden, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, sich an neue Bedingungen anzupassen und die Zellen immer wieder überlisten. Vielleicht wird dieser Abbauprozess aber auch von anderen Viren genutzt und bietet eine Gelegenheit, die Vermehrung zu stoppen. Weitere Forschungen werden es zeigen. (roll, derstandard.at, 28.10.2014)