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Wäre sie ein Maßstab, man könnte den Begriff Makel aus dem Duden streichen. Helene Fischer beim Perfektsein.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Wien - Unzufriedenheit herrschte schon nach dem ersten Lied. Nicht im Saal, auf der Bühne: "Wien, dass ihr immer noch sitzt?!"

Dergestalt animiert erhoben sich am Samstag erneut 10.000 Faninnen und Fans aus den Stühlen der Stadthalle, um mit ihrem Star abzuschlagerrocken. Der Stern, der ihren Namen trägt, heißt Helene Fischer und gastierte am Wochenende zwei Mal in der Wiener Stadthalle mit ihrem aktuellen Programm Farbenspiel.

derStandard.at-FanCam: Fans beim Helene-Fischer-Konzert.
derstandard.at/von usslar

Das ist eine dreistündige Tour de Force durch die ultimative Schlagervolksmusik. Fischer und ihre vielköpfige Showtruppe tanzen singen, rocken, rappen, spielen Songs aus Musicals und den Popcharts, lassen Technobeats auf Schmonzetten und Metalriffs folgen, umarmen alles und jeden. Dazu lächelt Fischer wie eine Braut am schönsten Tag ihres Lebens. Nicht einmal der Schweiß vermag ihrer Schminke etwas anzuhaben. Es ist wie ein Wunder.

Aber noch sind wir im richtigen Leben, an den Verkaufsständen vor der Halle. Dort zeigt sich, wie weit die 30-jährige Deutsche mit russischen Wurzeln in das Dasein ihrer Fans vorgedrungen ist. Mit dem Angebot könnten diese ihr Eigenheim in eine Helene-Fischer-Enklave umgestalten, und viele scheinen drauf und dran, genau das tun zu wollen.

Im Angebot sind Kühlschrankmagneten und blonde Handytaschen, Kissenbezüge und Plüschtiere, Schlüsselanhänger und T-Shirts, weiße Bommelmützen und Mousepads. Dazu ein Poster mit dem Star in einem sehr kurzen, großmaschigen Pullover: sechsi. Aber huch! Sind das da drüben Vibratoren? Nein, es sind bloß Leuchtstifte.

Die Verkaufsstände sind Fetischhandlungen für die Neigungsgruppe blond. An deren Tresen erstehen hart aussehende Männer mit Schnauzer und Fransenlederjacke einen Helene-Fischer-Kalender für 2015. Muss ja. Menschen machen Fotos. Von sich, vom Stand, von sich vor dem Merchandise: "Weiter ume, jetzt du, Mutti!"

Helene Fischer singt alles für alle. Dementsprechend gestaltet sich ihr Publikum. Mädchen in Leopardenleggings, ältere Damen mit silberviolettem Haar, 20-jährige Girl-Gangs in Dirndln. Vor der Halle stehen Busse aus den Bundesländern, drinnen uniform gekleidete Gruppen. Sie sind gewaschen, gelegt und geföhnt und schon ganz aufgeregt. Zwischen ihnen schleichen einsame Wölfe herum, Pärchen und Familien.

Das richtige Leben hat Pause

Viele Fans tragen weiß, denn obwohl der Schlager als verlogenes Genre gilt, klammert er sich an die Unschuld wie sonst keiner. Doch das will keiner hören. Das richtige Leben hat jetzt Pause.

Man drängt in den Saal. Wo ist die Karte, wo das Bier? Im Saal grölen vor dem ersten Lied diverse Fanblocks. Aus Bauchläden werden Popcorn, Brezen und Schokolade verkauft. Noch vor dem ersten Ton herrscht Volksfeststimmung. Dann wird es dunkel, die Musik setzt ein, und als Fischer plötzlich auf dem Steg vor der Bühne auftaucht, wird gekreischt und gebrüllt. Einen Euro für jedes Handyfoto von diesem Moment, bitte.

Helene Fischer singt Unser Tag, und das soll er werden, für alle Anwesenden. Vergessen ist in dem Moment der Burgenländer, der Fischer wegen Diskriminierung verklagen will. Sie soll ihn wegen seiner Behinderung verlacht haben, Fischer leugnet. Vergessen sind die Drohungen des Alltags, dieses Ebola, der Mietrückstand oder die Leasingrate fürs Auto. Helene Fischer lächelt. Sie ist eine fleischgewordene Barbie, nur dass bei ihr die Proportionen stimmen.

Ihr Programm, sagt sie, orientiere sich an den Jahreszeiten und deren Farben. Und schon wird balladiert, auf der Videowand im Hintergrund fällt dazu Laub, wir nähern uns den dunklen Tagen des Winters, die Fischer für mythisch hält. Was tut man in dem Fall? Man spielt Lass jetzt los (Die Eiskönigin). Wie gut, dass es Walt Disney gab. Das Publikum macht derweil ein Foto nach dem anderen. Leute stehen auf und filmen mit dem Handy die Videowand. Andere begeben sich klatschend auf die Suche nach dem Takt. Elend und Triumph wiegen sich in enger Umarmung. Dazu singt Fischer Lieder wie Nur wer den Wahnsinn liebt, Ein kleines Glück oder Von hier bis unendlich.

Krieg und Frieden

Es sind Lieder wie Durchhalteparolen für uns Fußgänger des Lebens. Ihrer Botschaft lautet: Am Ende wird alles gut, und wenn nicht, dann ist das nicht das Ende. Der Grat zum Zynismus ist im Schlager immer schmal. Aus Ein bißchen Frieden (Nicole) wird da schnell Ein bißchen Krieg (DAF). Weil dieser Balanceakt niemandem dauerhaft gelingt, lockert Fischer das Fach auf und spielt Coverversionen von Rockbands wie Van Halen und Bon Jovi.

Jeansjackenträger springen entzückt auf, ältere Semester bleiben während dieser Nummern sitzen. Selbst wenn die Musik gerade nicht gefällt, gibt es viel zu schauen. Die edlen Leiber der Tänzerinnen und Tänzer (auf der Bühne, nicht im Saal), die Kostüme der zarten Heldin des Abends, die bunten Lichter.

Unser Lied

Drei Stunden dauert die Show, in der zweiten Hälfte werden manche müde. Statt auf die Bühne zu schauen, kontrollieren sie das Etikett des erstandenen T-Shirts, kaum jemand verlässt frühzeitig den Saal. Alle warten auf Atemlos durch die Nacht. Ein Lied, das nicht besser oder schlechter ist als der Rest. Aber Österreicher sind Patrioten und lieben die Staatsgewalt. Und seit sich zwei Ottakringer Polizisten in einem selbstgemachten Video auf Youtube als Helene-Fischer-Fans geoutet haben, gehört dieses Lied uns. Irgendwie halt.

Fischer strahlt, ihr wurde gegeben, sie hat gegeben. Dabei wirkt sie, als könnte sie gleich noch einmal. (Karl Fluch, DER STANDARD, 27.10.2014)