Der Stresstest der Banken hat alte Narben geöffnet, neue Wunden aufgerissen und wichtige Diagnosen gebracht. Er ist kein Garant für ein krisenfreies Finanzsystem, aber die konzertierte Röntgenaktion bringt einen Einblick in die Verfassung der europäischen Geldinstitute und liefert die notwendigen Rezepte für die Teilnehmer mit schlechten Werten gleich mit: entweder rasche Stärkung des Herzkreislaufsystems oder Abdrehen der lebenserhaltenden Maschinen.

Ein mindestens ebenso wichtiges Ergebnis der Prüfaktion: Sie ist vorüber. Der Check war eine wichtige Übung, aber er hat doch zu einem hohen Maß an Verunsicherung geführt. Die Vorgaben der Europäischen Zentralbank setzten die Geldinstitute unter erheblichen Druck. Sie mussten quasi als Vorbereitung auf die Prüfung ihre Bilanzen in Ordnung bringen. Dazu gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten bzw. eine Mischung aus beiden: Die Banken erhöhen ihr Eigenkapital oder sie reduzieren ihre Bilanzsumme. Letztere Methode heißt nichts anderes als Verkauf von Beteiligungen und Abbau von Krediten.

Kreditvolumen stark geschrumpft

Dieser Prozess kam zur Unzeit und verschärfte die Konjunkturprobleme in Europa; seit Ausbruch der Krise ist das Kreditvolumen um 600 Milliarden Euro geschrumpft. Keine Frage: Hohe Arbeitslosigkeit und schwache Binnennachfrage sind nicht dazu angetan, die Darlehensvergabe anzukurbeln. Aber die neuen Kandaren haben zweifelsohne den Geldfluss in die Realwirtschaft zusätzlich austrocknen lassen. Was nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt: Die EZB pumpt Milliarden in die Banken, die - wegen des Stresstests der Zentralbank - das Geld aber lieber parken, anstatt Kredite zu vergeben.

Nun ist der Spuk vorüber, wodurch auch die Fragmentierung des Marktes nachlassen sollte. Gerade in der Euro-Peripherie ging nicht nur die Kreditvergabe stärker zurück, es kam auch zu einer deutlichen Verteuerung der Darlehen. Mit Zinskosten, die um rund zwei Prozentpunkte über jenen im Eurokern liegen, stehen portugiesische oder spanische Klein- und Mittelbetriebe auf verlorenem Posten.

Diese unterschiedlichen Konditionen hängen auch mit höheren Risikokosten in den angeschlagenen Staaten zusammen, aber eben nicht nur. Zahlreiche Banken werden von Investoren nach wie vor gemieden, weil sich Leichen in ihrem Keller befinden könnten. Damit sollte nach Öffnung und Belastung der Bücher langsam Schluss sein.

Wenig kaufmännische Vorsicht

Apropos Bücher: Eines der auffälligsten Ergebnisse des Tests stellt die Korrektur der Darlehensbewertung dar. Um 136 Milliarden Euro wurden die faulen Kredite von den Bankprüfern nach oben geschraubt. Nicht gerade kaufmännische Vorsicht spiegelt das Ergebnis für Österreich wider, wo die sechs geprüften Banken mit drei Milliarden Euro zu wenig für Risiken vorgesorgt haben. Das entspricht ungefähr dem Anpassungsvolumen des weitaus größeren spanischen Kreditapparats.

Somit kommt es nicht überraschend, dass Erste Group und Raiffeisen heuer abermals mit dem Besen durch ihre Bücher gegangen sind. Schwer zu sagen, ob der neue Realitätssinn auch ohne den Druck der EZB eingekehrt wäre.

Zugutegehalten sei den heimischen Banken, dass sie sich angesichts der härteren Abwärtsszenarien für Osteuropa nicht so schlecht geschlagen haben. Auch sie können sich jetzt, mit dem Prädikat stressfest ausgezeichnet, auf die Kreditvergabe konzentrieren. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 27.10.2014)