Während seiner Italienreise fertigte Velázquez ein Bild vom Garten der Medici in Rom an: Durch den Körper der Figur sieht man die Architektur durchlaufen. Schnur: "Er braucht das nicht zu übermalen."

Foto: robert newald

"Schmiede des Vulkan": Martin Schnur fasziniert, wie Velázquez das Staubige, die Haut und das Glühen des Eisens dargestellt hat.

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Sternstunde für Sylvia Ferino, Direktorin der Gemäldegalerie.

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Wien - "Peintre des peintres" - "Maler der Maler", so hat ihn Manet genannt. In einem Brief an Baudelaire rühmt er Diego Rodríguez de Silva y Velázquez (1599-1660) sogar als "bedeutendsten Maler aller Zeiten". Die Begeisterung für den spanischen Hofmaler ist aber bis heute nicht abgerissen: Es ist die Stofflichkeit, das schnelle, leichte Hinsetzen der Farbe auf die Leinwand, das auch österreichische Künstler der Gegenwart, etwa Herbert Brandl, zu schätzen wissen.

Als "Rotzigkeit" umschreibt der in Wien lebende Maler Martin Schnur Qualitäten wie das Stehenlassen von Skizzenhaftem, das in der Weitsicht trotzdem ein "total reales" Bild ergebe. Er habe den Impressionismus vorweggenommen, befindet auch Schnur, der den 1888 erschienenen Velázquez-Klassiker von Carl Justi seine "Malbibel" nennt: "Das Interesse liegt in der Darstellung des Lichts. Der eigentliche Gegenstand ist das Licht, die Figuren sind nur da um des Lichts willen", gehört zu seinen Lieblingszitaten.

Immer wieder besucht Schnur die dynastischen Porträts des Mal-Heroen im Wiener Kunsthistorischen Museum, findet dort Lösungen und Inspiration. Dort hat der Standard ihn auch während der Hängung der Velázquez-Schau getroffen, damit er genau jenen analytischen Blick auf Werk und Strich wirft, den nur ein malender Kollege werfen kann.

"Unglaublich", "fantastisch", unterbricht er seine Ausführungen immer wieder, während rundum kostbare Leihgaben aus ihren Transportkisten gehoben werden, darunter das gerade mit dem römischen Kurier aus den Kapitolinischen Museen eingetroffene Bildnis eines jungen Mannes, das um 1630 entstanden ist und Velázquez darstellen könnte.

Es sei faszinierend, wie sich Velázquez gesteigert habe, neben Lob, erkennt Schnur sogar Schwächen. "Schau her", sagt er und läuft auf das Gemälde Drei Musikanten (ca. 1617-1618), ein aus den Staatlichen Museen zu Berlin angereistes Frühwerk; zu.

"Wie bemüht das aussieht!" Man merke an der Farbstimmung und der Komposition schon, "der hat was drauf". Auch Brot und Gegenstände wären "ziemlich meisterlich" gemalt, nur beim Lachen, da wirke es noch ein bisschen maskenhaft und hölzern. Der Mensch sei am schwierigsten zu malen, "da verkrampft man sich oft, weil es so überprüfbar ist. Jedes kleine Kind merkt sofort, wenn etwas nicht stimmt."

Auch die Hell-dunkel-Malerei eines Caravaggio, den Velázquez' Lehrer Pacheco verehrt hat, spüre man hier deutlich. Später sei er viel mehr dem Freilicht verpflichtet, so Schnur, "es wird heller, oder sagen wir 'duftiger'." Er sei auch nicht so barock wie Rubens mit seinen "verspielten Formen"; bei Velázquez sei es mehr Realismus: "aber nicht so ein penetranter wie bei Jusepe de Ribera!"

Während Schnur vor dem Wasserverkäufer (ca. 1622) von der Aufteilung der Flächen, dem Rhythmus von strukturierten und ruhigen Flächen und der Steigerung der Lebendigkeit im Gesicht des Bubens schwärmt, kommt kurz Sylvia Ferino, Direktorin der Gemäldegalerie hinzu, die die Ausstellung als "letzten Flash vor ihrer Pensionierung" umschreibt. Tatsächlich ist sie es, die wie der Blitz durch die Säle fegt, denn auf Unvorhergesehenes muss rasch reagiert werden: Die Bilder dürfen nur so hängen, wie es der Kurier gesehen hat. Als die Rokeby Venus aus der Londoner National Gallery platziert wurde, merkte sie, dass die "Tizian-Damen" rundum diese "umbringen" würden.

"Schauen Sie, welche Würde!", begeistert sie sich über das Antlitz des Wasserverkäufers mit dem zerrissenen Gewand. "Er gehört der niedrigsten sozialen Schicht an, aber der edle Knabe nimmt das gereichte Wasser fast ehrerbietig an. Großartig! Das ist Velázquez' Achtung vor den Menschen!"

Ein Gegengeschäft

Auch den Hofnarr Juan de Calabazas (um 1638) hat sie "wegen dieser unglaublichen menschlichen Tiefe" ausgesucht. Das zeichne Velázquez aus: nicht auf die große Geste, sondern das essenziell Menschliche ausgerichtet zu sein. Das Bild von Calabacillas ist eines von sieben Leihgaben aus dem Prado. Ein Gegengeschäft. Denn begonnen hat diese "Jahrhundertausstellung" (Schnur) - die erste überhaupt im deutschsprachigen Raum - mit einer Leihanfrage des Madrider Museums 2012. "Das war eine Sternstunde für mich, als ich sagte 'Wir geben Euch alle späten Velázquez, wenn wir dafür andere bekommen'."

Was Schnur beeindruckt, ist das Weglassen, nicht Ausmodellieren, das Stehenlassen nicht-geglückter Striche neben korrigierten - obwohl Restauratoren sagen, diese wären nur aufgrund dünner werdende Malschichten sichtbar. "Er verzichtet sogar aufs Malen der Zehen!" lacht Schnur vor der Schmiede des Vulkan auf. "Ich Trottel hätte ihnen Zehen gemalt." Und: "Aber es ist alles da, es fehlt nichts", fasst er Velázquez auf Fernwirkung bedachte Malweise zusammen. "Ich will nicht sagen Tricks, denn der Bursche macht keine Tricks." Maler Anton Raphael Mengs habe über ihn gesagt: "Die Hand scheint an seiner Ausführung keinen Anteil gehabt zu haben, sondern der bloße Wille."

Spannend ist für Schnur an diesem Bild aber auch wie er das Fenster als blaue Fläche in den Raum hineinschneidet - ein Motiv, das auch bei ihm, dem Fragen zu Licht und Raum wichtig sind, immer wieder auftaucht. Es sind kleine Dinge und Details wie die Teppichornamente mit den vielen verschiedenen Rottönen, aus denen Schnur Anregungen zu eigenen Bildern zieht. "Velázquez ist ja nie zum Malen gekommen, weil er so viel Hof-Krempel machen musste: Feste, Jagden, alles nur Dekor! Er hat ja gar nicht mal so ein riesiges Oeuvre", empört sich einer, der Ablenkungen von der eigenen Passion wohl ebenso wenig schätzt.

An Leidenschaft für die Malkunst mangelte es Velázquez nicht. Allerdings galt die Malerei damals, anders als die Poesie, noch als Handwerk. Und so galt es, der Kunst über einen Umweg mehr Ansehen zu verschaffen: Er macht sich bei Hof so verdient, bis er zum Ritter ernannt wird. Das Problem: Der spanische Adel darf überhaupt keiner händischen Tätigkeit nachgehen. Letztlich half der Papst aus dem Dilemma und argumentierte für die Poesie von Velázquez Arbeit. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 25.10.2014)