Wo formuliert wird, fallen Späne. Das zeigt schon dieses ziemlich schiefe Bild.

Wer schreibt und spricht, bewegt sich am Grenzgebiet zum Missverständnis. Viele halten vernünftigerweise großen Abstand von dieser Gefahrenzone - souverän, sicherheitshalber, oder weil sie ihren Spieltrieb gut beherrschen.

Spürtruppen: Geht's antimilitaristischer?

"Bei aller Wertschätzung des Projekts, aber geht's nicht ein wenig antimilitaristischer?", fragte ORF-Zentralbetriebsratschef Gerhard Moser schon im Sommer den Projektleiter für den multimedialen neuen Newsroom auf dem Königsberg. Stefan Ströbitzer, der hauptberuflich die TV-Entwicklung leitet, hatte da gerade Teams einberufen, um die große ORF-Klausur Anfang dieser Woche auf dem Kahlenberg vorzubereiten.

Diese "hierarchie- und bereichsübergreifenden Teams" nannte Ströbitzer "Spürtruppen". Betriebsratschef Moser irritierte dieses militärisch klingende Bild: "Was kommt nach den Spürtruppen? Spähtrupps oder was?", protestierte er in den großen Mailvertreiler von ORF-Führungskräften. Tatsächlich sollen die Spürtruppen von einer Science-Fiction-Reihe inspiriert sein, womöglich "Star Wars".

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Der Sieger-Entwurf von Riepl Kaufmann Bammer Architekten für das neue Newscenter auf dem Küniglberg.
APA/RIEPL KAUFMANN BAMMER ARCH.

Von Montag bis Mittwoch dieser Woche berieten 100 ORF-Führungskräfte und Mitarbeiter in der von Spürtruppen vorbereiteten, großen ORF-Klausur auf dem Kahlenberg: Wie sollen an die 1000 Journalisten und Programmmacher von Fernsehen, Radio, Online und allen anderen ORF-Medien künftig im Betonundglaswürfelneubau von Riepl Kaufmann Bammel Architekten miteinander und zusammenarbeiten? - Gar nicht weit entfernt von so konkreten Fragen: Wie stehen dort die Schreibtische? Bevor Journalisten diskutieren, wo ihr Drehstuhl steht, wüssten sie meist ganz gerne, welche Vorgesetzten sie bekommen sollen, zumindest strukturell.

München statt Kahlenberg

Das Suite Hotel auf dem Kahlenberg bietet, nicht allzu herbstliches Wetter vorausgesetzt, recht prächtige Aussichten auf Wien. Jene auf den Küniglberg, wo der ORF sein Newscenter vorbereitet, gestalteten sich diese Woche weniger prächtig, das lag nicht nur an der dafür ungünstigen Lage der beiden Hügel. Sondern wieder einmal an ein paar gelassen ausgesprochenen Worten. Die brachten am Dienstag die große ORF-Klausur fast zum Platzen, bevor sich ORF-General Alexander Wrabetz, Fernsehdirektorin Kathrin Zechner und Finanzdirektor Richard Grasl angesagt hatten, um zu erfahren, was die Ihren da auf dem Kahlenberg zum neuen Küniglberg erarbeitet haben. ORF-Radiodirektor Karl Amon zog dem übrigens vor, die alljährlichen Münchner Medientage zu besuchen, was auch den einen oder anderen Redakteur etwas irritierte.

Weit akuter irritierte freilich nach Auskunft einer Reihe von Teilnehmern Newsroom-Projektleiter Stefan Ströbitzer bei der Klausur (DER STANDARD berichtete): Am Dienstag präsentierte Ströbitzer, früher Amons Vize als Fernsehchefredakteur und später Radiochefredakteur, Themen für die Arbeitskreise. Eines davon: DAS multimediale Ressort in der ORF-Information.

Heikles Terrain

An der Stelle kann man daran erinnern, auf welch heiklem Terrain man sich hier bewegt: Der ORF hat das weitaus größte Publikum in Radio, Online und auch Fernsehen. Alleine die "Zeit im Bild" sehen an nicht ganz heißen Tagen eine Million Menschen und mehr. Von allen in Österreich gehörten Radiominuten entfallen fast drei Viertel auf ORF-Sender. Und zugleich steht der ORF als öffentlich-rechtliches Medium unter öffentlicher Kontrolle - Bundes- und Landesregierungen, Parteien bestimmen den größten Teil seiner Aufsichtsräte. Diese Aufsichtsräte wählen den Generaldirektor (und die Direktoren) des ORF, das nächste Mal spätestens 2016. Oberstes Eigeninteresse von Politikern am ORF: Wie kommen sie in den Programmen des ORF vor - und wie gut kommen sie dort weg?

Revolte gegen zentralen Chefredakteur - allein im Fernsehen

Es ist noch keine zehn Jahre her, dass ORF-Redakteure offen revoltierten gegen einen zentralen Chefredakteur, der Informationen etwa über den Kauf der Eurofighter nach Ansicht vieler Journalisten sehr, sehr lange prüfen wollte, bevor sie auf Sendung gehen durften*. Die Redakeure revoltierten gegen Zentralismus und für Unabhängigkeit der ORF-Information.

Das war ein zentraler Chefredakteur für Nachrichten und Magazine im ORF-Fernsehen. Nun geht es um die Führung eines Newsrooms für Fernsehen, Radio und Onlinemedien, die bisher eigene Chefredakteure haben, meist eigene Direktoren für die einzelnen Medien, und in jedem Medium Ressorts für Innenpolitik, Außenpolitik, Chronik, Kultur, Wissenschaft, Sport und so fort.

1000 Redakteure, ein Newscenter

Da kann es schon irritieren, wenn man von DEM Multimediaressort wie einem beschlossenen Faktum hört, ohne dass man vorher darüber diskutiert hätte, wie die Ressorts denn nun am besten organisiert würden in diesem Newscenter mit - nach Angaben des ORF-Managements - rund 1000 Redakteuren.

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Newsroom-Projektleiter und TV-Innovationschef Stefan Ströbitzer.
APA/Georg Hochmuth

Ströbitzers Klausur-Thema Multimediaressort schien Ohrenzeugen vorwegzunehmen: nur noch ein Ressortleiter über alle Medien. Weitergedacht: ein Chefredakteur und womöglich ein Infodirektor über alle Medien. - Zentrale Ansprechpartner also für die Politik.

Redakteure und Chefredakteure hatten da erst einmal diese Ansage und ihre möglichen Weiterungen zu besprechen. Womit das ursprüngliche Arbeitsprogramm auf dem Kahlenberg zu vergessen war: Den Rest des Dienstags war die Klausur mit Klarstellung und Beschwichtigung befasst.

Ratschluss

Ströbitzer soll laut Teilnehmern zunächst auf den Beschluss des Stiftungsrates zum Newsroom verwiesen haben. Und diesen dann den Teilnehmern präsentiert haben - nicht alle kannten ihn. Multimediale Ressorts (mit einem Ressortleiter) standen nicht drin, sagen Teilnehmer. Schon in ersten Raumplanungsentwürfen für den Stiftungsrat vor einem Jahr allerdings waren Multimedia-Ressorts für die diversen Fachbereich eingezeichnet.

Wann Klausuren kippen

Es gibt, das darf nicht verschwiegen werden, aber auch Sitzungsteilnehmer, die sagen: Ströbitzer habe nicht irritiert, sondern im Gegenteil die Klausur "gerettet". Und es gibt einen ORF-Anchorman, von dem sinngemäß aus dem Kahlenberger Treffen überliefert wird: Heftiger Knatsch am zweiten Tag gehöre zu jeder Klausur.

Keine gemähte Wiese

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ORF-Direktoren (von links): Richard Grasl (Finanzen), Kathrin Zechner (TV), Generaldirektor Alexander Wrabetz.
APA/ROBERT JAEGER

Der zentrale Punkt dieser Irritation freilich blieb naturgemäß auch am dritten Tage Thema, als General Wrabetz und zwei Direktoren auf den Kahlenberg kamen und keine gemähte Wiese vorfanden für die künftige Führungsstruktur des ORF und der ORF-Information.

Guter Rat ist teuer: Boston Consulting

Mähen sollen diese Wiese eigentlich erfahrene externe Kräfte: In fünf Wochen präsentieren die Unternehmensberater von Boston Consulting im Auftrag von ORF-General Alexander Wrabetz Empfehlungen für die künftige Führungsstruktur des ORF und damit auch des Newsrooms. Es wird viel die Rede sein von internationalen Benchmarks, Best Practice und was der Unternehmensberater Managern gerne für gutes Geld serviert. Weniger als eine halbe Million soll dieser Auftrag kosten, hört man im ORF, die Angabe reicht rein nummerisch bis 499.999,99 Euro.

Strukturen für die Wiederwahl zum General

Wem guter oder jedenfalls bei geplanten Maßnahmen praktischer Rat so teuer ist, der möchte diesen teuren Rat nicht gegen andere Konzepte verteidigen müssen. Und es ist Wrabetz, laut Gesetz Alleingeschäftsführer, der über diese Struktur entscheidet - nötigenfalls mit dem überwiegend politisch besetzten Stiftungsrat. Von diesem will Wrabetz aller Voraussicht nach 2016 wiedergewählt werden. Das wird bei seinen Struktur-Überlegungen eine wesentliche Rolle spielen.

Nach der Irritation über die Multimediaressorts und mögliche Konsequenzen daraus in weiteren Führungsebenen, berieten die amtierenden Chefredakteure bei der Klausur - und avisierten ORF-Chef Alexander Wrabetz eigene Strukturvorschläge - ob einen oder mehrere ließen sie offen. Wrabetz soll diesem Vorhaben dankend abgewunken haben. Hintergedanke wohl: Er möchte nicht gegen ein formelles Papier der Chefredakteure entscheiden. Ob sich die drei selbstbewussten Redaktionschefs davon ganz abbringen lassen, ist eher fraglich.

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Radiochefredakteur Hannes Aigelsreiter, TV-Chefredakteur Fritz Dittlbacher, hier bei einer Preisverleihung.
APA/Georg Hochmuth

Am nachdrücklichsten soll, so heißt es aus seiner Umgebung, Radiochefredakteur Hannes Aigelsreiter intern die Eigenständigkeit seiner Mannschaft betonen. Hintergrund wohl: Der Aktuelle Dienst im Radio gilt von Schwarz-Blau (noch unter Karl Amon) bis Rot-Schwarz als besonders unabhängig und streitbar. Diese - unter Schwarz-Blau noch von Sozialdemokraten gelobte - Unabhängigkeit soll unterwegs auf den Küniglberg, in einen multimedialen Newsroom mit neuen Strukturen, nicht verloren gehen, auch wenn das wohl alle drei großen Parteien nicht ungern sähen. Den Radioleuten ist schon Symbol genug, dass die Radioleute das Funkhaus aufgeben müssen und zu den Kollegen ziehen. In jeder Beziehung ein psychologisch schwieriger Moment.

Fernsehen vor

TV-Chefredakteur Fritz Dittlbacher sollen die Arbeitsvorgaben in der Klausur kaum weniger irritiert haben. Das Fernsehen freilich dürfte nach innerer Logik eines solchen Newsrooms eher die Führung übernehmen als das Radio oder gar Online. Nun könnte Dittlbacher womöglich auf den Lead im Newsroom hoffen - wären da nicht noch Projektleiter Ströbitzer und, immer wieder gehandelt, Roland Brunhofer, derzeit Landesdirektor in Salzburg.

Die Onlineredaktion unter Chefredakteur Gerald Heidegger ist personell die kleinste Einheit; sie hat sich in der Vergangenheit schon wehrhaft gezeigt.

Finnen und Franzosen: Bonaparte im ORF

ORF-Chef Alexander Wrabetz hat im STANDARD-Interview im Sommer das finnische Modell als eine mögliche Organisationsform genannt: Dort wechseln sich mehrere Redaktionschefs im Wochenrhythmus in der Führung des Newsrooms ab. "In der Geschichte hat sich das Modell nicht so hundertprozentig bewährt", ätzt ein hochrangiger ORF-Journalist und meint wohl: Das Konsulat dreier Konsuln nach dem Staatsstreich vom November 1799 beendete die französische Revolution - einer der drei Konsuln war Napoleon Bonaparte.

"Vertieftes Verständnis"

Projektleiter Stefan Ströbitzer schickte den Teilnehmern am Freitag eine erste Kurzzusammenfassung der Klausur. "In Workshops, Plenumssitzungen, Kleingruppen und 4-Augen-Gesprächen vertiefte sich das Verständnis für die Aufgaben des Gegenübers", schreibt er da: "Konkrete gemeinsame Projekte, die auf Ressort-Ebene medienübergreifend entwickelt und durchgeführt werden, sollen dazu beitragen, die Verknüpfungen zwischen Abteilungen und die Kenntnisse aller zu fördern."

Den Spielraum definiert der General

"Zum Abschluss der Konferenz konnten die Teilnehmer in intensiven Dialog mit der Geschäftsführung treten" - Wrabetz, Grasl und Zechner seien "ausführlich über die Ergebnisse aus der vorangegangenen Arbeit informiert worden". Und, wohl eine zarte Anspielung auf die Chefredakteure: Die Direktoren "erläuterten den Spielraum für weitere Schritte."

Diskussionsfreudige Tage

"Arbeitsweise und Organisation multimedialer Fachressorts" stehen, man hat sich ja ausgesprochen, wie es gemeint ist, wieder unter den "Themenfeldern" für die Arbeitsgruppen, die auch 2015 weiter tagen.

Im Begleitbrief bedankt sich Ströbitzer "noch einmal bei euch allen für die spannenden, kreativen, konstruktiven und diskussionsfreudigen Tage am Kahlenberg". (Harald Fidler, derStandard.at, 24.10.2014)