Eine Frau, die um ihren Job kämpft: Der französische Filmstar Marion Cotillard ist in "Zwei Tage, eine Nacht" ganz unglamourös und ungeschminkt zu erleben.

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Nahe dran an den Mühen des Arbeitslebens: die belgischen Regiebrüder Luc (li.) und Jean-Pierre Dardenne.

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Wien - Die Regiebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne sind Experten darin, aus minimalen Erzählbewegungen ein Maximum an Einsichten zu gewinnen. Diesmal berichten sie von der unternehmerischen Praxis, Konflikte an Mitarbeiter weiterzureichen. Marion Cotillard verkörpert eine Angestellte, die entlassen werden soll. Ihre Kollegen wurden vor die Wahl gestellt: Sie entschieden sich gegen sie und für den Bonus von 1000 Euro. Nun hat sie ein Wochenende Zeit, sie doch noch umzustimmen.

STANDARD: "Zwei Tage, eine Nacht" ist Ihr erster Film, der sich mit der unteren Mittelklasse beschäftigt. Was gab den Auslöser, sich mit dieser Geschichte um mangelnde Solidarität zu beschäftigen?

Luc Dardenne: Die Finanzkrise hat das Drehbuch, das eigentlich als Grundgerüst zehn Jahre alt ist, wieder aktuell gemacht. Sie hat enorme soziale Konsequenzen, mittlerweile auch für die untere Mittelklasse. Bisher standen unsere Protagonisten am Rande der Gesellschaft. Nun geht es um Leute, die ein Haus haben, ein Auto, einen gewissen sozialen Wohlstand. Auch sie sind gefährdet.

STANDARD: Es geht um ein eminent neoliberales Thema: Die Verantwortung wird an eine Einzelperson delegiert; Sandra wird gewissermaßen zu ihrer eigenen Unternehmerin ...

Jean-Pierre Dardenne: Vor zwanzig Jahren hätte man sich das nicht vorstellen können: Dass Arbeitskollegen zu entscheiden haben, ob einer/eine von ihnen entlassen wird, ist aber nur ein Aspekt des Neoliberalismus. Ein anderer ist die Angst: Alle fürchten nun um ihre Jobs und darum, aus der Gesellschaft herauszufallen. Sie haben das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Es wird alles getan, dass die Arbeiterschaft von vorneherein geteilt ist: etwa mit der neuen Praxis, dass innerhalb desselben Betriebs Leute angestellt sind, die nicht denselben Arbeitgeber haben.

STANDARD: Wie haben Sie diese Entwicklungen denn an das Szenario angepasst?

Luc Dardenne: Die Ausgangsidee, dass Sandra alleine von Tür zu Tür ihrer Kollegen geht, gab es lange. Neu ist, dass sie nicht alleine ist: Sie erfährt persönliche Solidarität durch eine Liebesbeziehung. Das konnte niemand von außen sein, den man neu einführen musste. Erst als uns der Ehemann einfiel, hatten wir die Figur, die wir brauchten. Er leistet private Solidarität, ist aber auch einer Art Coach. Er treibt Sandra an, Dinge zu tun, damit sie auch öffentliche Solidarität erfährt. Und er ist auch zu Hause für sie da, wenn sie nicht mehr weiter kann, verzweifelt ist.

STANDARD: Der Film wirkt wie eine "reifere" Variante von "Rosetta", Ihrem Film von 1999, mit dem Sie bekannt wurden. Diese war wilder, privater Rückhalt fehlte ihr gänzlich. Passen Sie Ihren Stil an die unterschiedlichen Geschichten an?

Jean-Pierre Dardenne: Wir haben Sandra eigentlich nie als reifere Variation von Rosetta gesehen. Rosetta ist eine Kriegerin, sie kämpft gegen alles, alle sind für sie bloß Feinde. Sie ist zu allem bereit, nur um einen Job zu bekommen. Sie ist auch dazu bereit, jemanden dafür zu opfern. Sandra geht jedoch von einem Kollegen zum nächsten, dabei war uns wichtig, dass jeder die gleiche Wichtigkeit und Präsenz bekommt. Wir haben das quasi in Echtzeit abgedreht. Deswegen gibt es sehr lange Einstellungen, und meistens ist es so, dass man beide im Bild sieht. Die Stilfrage haben wir uns so nicht gestellt: ob nun etwas radikaler ist oder nicht. Nanni Moretti hat einmal gesagt - und er hat dabei Eduardo de Filippo zitiert: "Wenn du nach dem Stil suchst, dann findest du den Tod. Aber wenn du das Leben suchst, dann findest du den Stil."

Luc Dardenne: Wie italienisch!

STANDARD: Wie findet man denn das Leben, technisch betrachtet: Wie erzeugen Sie den Sog Ihrer Filme? Sie arbeiten schon lange mit Kameramann Alain Marcoen zusammen.

Luc Dardenne: Alain Marcoen ist der Chefkameramann, Benoît Dervaux der Operator. Alain treffen wir immer erst kurz vor dem Dreh, nach den Proben mit den Darstellern, manchmal auch schon während der Proben. Dann gehen wir alles durch, was es an Bewegungen geben wird. Das Problem bei Alain ist immer, dass er ein Licht setzen muss, das unsichtbar bleibt. Er weiß, dass er bei uns nur mit natürlichen Lichtquellen arbeiten kann oder dass er natürliche Lichtquellen simulieren muss. Da es um eine Choreografie geht, muss es unsichtbar bleiben. Das heißt, er muss sich anpassen, ohne sich komplett in den Dienst zu stellen. Benoit sagt uns dann, was streckenweise überhaupt möglich ist mit der Kamera, weil es technische Zwänge gibt. Aber sein Talent liegt darin, diese fließenden Bewegungen, oft durch Objekte hindurch, zu finden.

STANDARD: Sie arbeiten erstmals mit einem großen Star, Marion Cotillard. Hat das etwas geändert?

Jean-Pierre Dardenne: Der Wunsch zusammenzuarbeiten, war auf beiden Seiten groß. Als wir sie beim Dreh von Jacques Audiards Rust and Bone, bei dem wir Koproduzenten waren, trafen, war das ein kurzer, starker Moment. Später, als wir ihr die Rolle anboten, sagte sie: "Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt." Ein schöner Satz, der sich leicht sagt. Aber am Ende hat es gestimmt. Sie hat viel Vorarbeit geleistet. Sie ist Sandra geworden und hat sich komplett in deren Welt integriert. Sie spielte nicht so, dass man es als Spiel, als Performance betrachtet. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 25./26.10.2014)