Wien – Die Flucht aus der Staatsholding ÖIAG beginnt: Andritz-Chef Wolfgang Leitner legte sein erst im Frühjahr angenommenes Aufsichtsratsmandat vor der Sitzung am Donnerstagnachmittag wieder zurück. Der zweite Rückzug erfolgte nicht so freiwillig: ÖIAG-Alleinvorstand Rudolf Kemler, an dessen Chefsessel Regierung wie ÖIAG-Aufsicht gehörig gesägt hatten, bat um einvernehmliche Auflösung seines Vertrags. "Herr Kemler steht der ÖIAG aber bis 31. Oktober 2015 zur Verfügung, er wird seinen Vertrag erfüllen", verkündete der Vorsitzende des ÖIAG-Aufsichtsrats, Siegfried Wolf, am Abend nach der außerordentlichen Sitzung.
Damit ist Kemler einer Entscheidung des Aufsichtsrats zuvorgekommen. Er habe den Aufsichtsrat gebeten, die Option auf Verlängerung seines Vertrags für zwei Jahre nicht zu verlängern, sagte Wolf unter Hinweis auf das einstimmige Votum des zwölfköpfigen Gremiums. Die Entscheidung sei auch im Einvernehmen mit den Eigentümervertretern erfolgt, betonte der frühere Magna-Chef, der nun bei Russian Machines tätig ist. Ein Angebot zur sofortigen Auflösung des Vertrags habe es nicht gegeben. Und: "Die ÖIAG hält sich an Verträge."
Warum Kemlers Vertrag einvernehmlich aufgelöst werden muss, obwohl im Aufsichtsrat nur die "Option auf Verlängerung nicht gezogen wurde", wie Wolf betonte, erschloss sich in der Veröffentlichung nicht. 2011 hatte Kemler einen Fünfjahresvertrag bekommen mit Option auf Verkürzung, wie in der Vertragsschablone für Staatsbetriebe vorgesehen.
Weg frei für Totalreform der ÖIAG
Egal, nun ist der Weg frei für die von der Regierung in Aussicht gestellte Totalreform der auf Beteiligungen an OMV, Post und Telekom Austria (TA) geschrumpften Verstaatlichtenholding. Nun stehen die Koalitionäre aber unter Zeitdruck. Die stark divergierenden Modelle der Koalitionsparteien für eine "ÖIAG neu" müssen unter einen Hut gebracht werden, es geht um nicht weniger, als die Entscheidung, welche (teil-)staatlichen Betriebe aus diversen Ministerien in die neue ÖIAG transferiert werden. Im Gespräch sind Unternehmen wie Verbund, Asfinag oder Bundesimmobiliengesellschaft. Das Bedürfnis der zuständigen Minister für Verkehr (Alois Stöger, SPÖ) und Wirtschaft (Reinhold Mitterlehner, ÖVP) gilt als überschaubar.
Kemler, dem mangelndes Geschick beim Syndikatsvertrag mit America Movil (Amov) bei der TA und vor allem schlechtes Krisenmanagement in der Führungskrise der OMV angelastet wird, wollte zunächst keine Stellungnahme abgeben zu den Gründen für seinen Abgang. Er wohnte der Pressekonferenz in der Eingangshalle des Bürohauses in der Wiener Dresdnerstraße nur als Zuhörer bei. Danach brach er das mit Wolf und dem ÖIAG-Aufsichtsrat vereinbarte Stillschweigen über die Modalitäten seines Abgangs nicht. Er rechtfertigte den von ihm als Aufsichtsratspräsident der OMV betriebenen vorzeitigen Abgang von OMV-Chef Gerhard Roiss jedoch als unumgänglich. Aus aktienrechtlichen Gründen sei die Vorgangsweise in der OMV unvermeidlich gewesen.
Wann Kemlers Nachfolger ausgeschrieben wird, ließ Wolf offen. Jetzt sei die Regierung am Zug mit neuen Konzepten und Strukturen. Erst danach gehe es um Personelles, betonte der ÖIAG-Präsident.
Kapitalerhöhung bei Telekom steht an
Eine der letzten großen Aufgaben des scheidenden ÖIAG-Chefs wird die Kapitalerhöhung bei der Telekom Austria. Die in tiefroten Zahlen grundelnde, inzwischen zu 60 Prozent im Eigentum des mexikanischen Telekomgiganten América Móvil stehende TA will ihre dünne Kapitaldecke noch heuer mit bis zu einer Milliarde Euro aufdoppeln. Sofern sich "die aktuellen Marktgegebenheiten nicht gravierend verändern", teilte der Ex-Monopolist mit. Noch stehe der genaue Zeitpunkt für die Aufstockung, die die Republik über die ÖIAG bis zu 280 Millionen Euro kosten wird, nicht fest.
Im operativen Geschäft sieht es im dritten Quartal dank Preiserhöhungen und geringerer Handy-Stützungen besser aus als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Auf Neunmonatsbasis schreibt die TA aber noch immer tiefrote Zahlen. Der Jahresüberschuss stieg im dritten Quartal um 149 Prozent auf 127,8 Millionen Euro, über drei Quartale gerechnet beträgt der Verlust aber immer noch 190 Millionen Euro – nach 159,2 Millionen Euro Überschuss in den ersten drei Quartalen des Vorjahres. Das Betriebsergebnis betrug im dritten Quartal 200 Millionen Euro (2013 waren es 121,5 Millionen), in neun Monaten ging sich aber trotzdem nur ein Verlust von 22,6 Millionen Euro aus 2013, bevor die Wirtschaftskrise in Bulgarien, Kroatien und Slowenien sowie die Senkung der Roaming-Tarife durch die EU voll durchschlagen hatte, betrug der Überschuss 344,7 Millionen Euro. (ung, DER STANDARD, 24.10.2014)