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Tammy Duckworth will wieder in den US-Kongress. Im Kampf mit Republikaner Larry Kaifesh, ebenfalls Veteran, dominiert die IS.

Foto: AP/Cliff Owen

Tammy Duckworth mag ihn nicht, den voyeuristischen Blick auf ihre Beine. Bevor sie im Rollstuhl ins Scheinwerferlicht fährt, schieben Helfer einen Tisch auf die Bühne und legen ein Tuch darauf - groß genug, dass der Stoff bis auf den Boden fällt. Nichts soll zu sehen sein von Duckworths Prothesen. Die Frau will kein Mitleid, sie möchte eine Politikerin sein wie jede andere auch - nicht die Jeanne d'Arc der Amputierten.

Der Krieg im Irak hat ihr Leben verändert. Es war am 12. November 2004, als der Hubschrauber, in dessen Cockpit sie saß, nördlich von Bagdad von einer Rakete der Aufständischen getroffen wurde. Das Projektil explodierte direkt unter Duckworths Sitz. Ihr Kopilot schaffte es irgendwie, den beschädigten Black-Hawk-Helikopter noch landen zu lassen. Duckworth verlor das Bewusstsein, und als sie aufwachte, lag sie im Bett eines Feldlazaretts. Ihr rechtes Bein hatte sie vollständig, das linke vom Knie abwärts verloren. Im Walter-Reed-Hospital in Washington, half schwarzer Humor, wie sie ihn manchmal auf T-Shirts zur Schau stellte: "Dude, where's my leg?" ("Alter, wo ist denn mein Bein?") Bloß kein Selbstmitleid, nur kein Gejammer.

Krieg im Nahost aktuell

Als Barack Obama ins Weiße Haus einzog, übertrug er Duckworth einen wichtigen Posten im Veteranenministerium, das sich um die aus Afghanistan und Irak heimkehrenden GIs kümmern soll und damals genauso überfordert war wie heute. Die zähe Kämpferin profilierte sich als markante Stimme der "Fighting Dems", einer Gruppe von Ex-Soldaten in den Reihen der Demokraten, die es satt hatten, dass die Republikaner immer so taten, als seien nur sie allein die wahren Patrioten. Im Herbst 2012, zehn Monate nach dem Abzug aus Bagdad, gewann sie im achten Wahlbezirk von Illinois, im Vororte-Gürtel westlich von Chicago, einen Sitz im Repräsentantenhaus. Nun, da sich die Tochter eines Amerikaners und einer Thailänderin erneut einem Votum stellt, ist das Thema Krieg in Nahost wieder aktuell.

Ferngesteuerte Drohnen

Ihre Skepsis gibt sie nicht so schnell auf. Im September stimmte sie dagegen, eine halbe Milliarde Dollar aus dem Etat des Pentagon abzuzweigen, um syrische Rebellen zu bewaffnen. Zu viele Fragezeichen, kein durchdachter Plan, begründete sie ihr Nein. Sicher, die Extremistengruppe "Islamische Staat" (IS) sei eine Gefahr, doch erst müsse der Kongress Pro und Contra abwägen, statt sich auf einen Blindflug einzulassen. Damit stellte sich Duckworth gegen ihren Präsidenten, der nach langem Zögern seinen Kurs änderte.

Jetzt sitzt sie in einem gläsernen Hochhaus am Michigansee, um bei der "Chicago Ideas Week", einer Woche spannender Diskussionen, zu skizzieren, wie sie sich das Militär der Zukunft vorstellt. Von ferngesteuerten Drohnen, sagt Duckworth, halte sie viel, dann müssten Piloten seltener ihr Leben riskieren. "Es ist wichtig, dass wir Amerikaner bei Drohnen die Nase vorn haben; vor China, vor Russland." Sie klingt wie die Strategin eines Thinktanks, und wenn sie in Nahost zum Abwarten rät, dann eher verklausuliert.

Mammut-Sternenbanner

Auch Larry Kaifesh war als Soldat im Irak: 2003, 2004 und 2006, in Bagdad, Tikrit und Falluja. Er sieht aus wie ein Bruder der Klitschkos; früher gewann er Wrestling-Meisterschaften, bevor er zur Marineinfanterie ging. Heute versucht er, Duckworth das Mandat abzunehmen. Das Sternenbanner in seiner Wahlkampfzentrale ist sechs Meter breit und vier Meter hoch. Überdimensioniert selbst für US-Verhältnisse.

Im Interview mit Big John und Amy, zwei rechten Radiotalkern, gibt er sich so zackig, wie es die konservative Szene von einem wie ihm erwartet. "Ein paar Bomben abzuwerfen und zu behaupten, wir handeln jetzt, das ist zu wenig", kritisiert er Obamas Ansatz. "Ohne Bodentruppen kann man die Terroristen nicht aus dem Sand kratzen." Im Gespräch mit dem Standard klingt er vorsichtiger: Diesmal sei die Koalition gefragt, die USA könnten nicht alleine handeln. "Und wir sollten die Sache zu Ende denken, bevor wir Entscheidungen treffen".

Kekse und müde Mütter

Zwei Irak-Veteranen im direkten Duell, das lässt anderes in den Hintergrund treten. Der Einbruch nach der Finanzkrise hat auch im achten Wahlbezirk, rings um die Retortenstadt Schaumburg, tiefe Spuren hinterlassen. Motorola, Flaggschiff der Region, musste Jahr für Jahr Hunderte Leute entlassen. Die Löhne stagnieren, noch vor Kurzem wäre die Verunsicherung der Mittelschicht zentral gewesen. Nun dominiert die IS.

Da ist Billy Grant, ein Barbesitzer, der sagt, "wir haben uns einmal die Finger verbrannt, einmal reicht". Da ist Diane Ahrens, die vor zehn Jahren damit begann, Cookies für die GIs im Irak zu backen. Sieben Tonnen hat sie insgesamt verschickt im Rahmen der "Operation Süßer Zahn" . Der Ahrens'sche Bäckerladen in einer lauschigen Kleinstadt namens Dundee gleicht einem Schrein. Die Wände sind tapeziert mit den Postkarten dankbarer Sergeants, Captains und Colonels. "Es könnte sein, dass ich bald wieder mehr Cookie-Kartons packen muss", orakelt Diane.

Das Militär ist ihr hoch und heilig; was nichts ändert an ihren Bedenken. Bodentruppen an den Euphrat? Sicher, irgendwer müsse etwas tun, sagt sie und spricht von der Verantwortung, die das "Land der Freien" nun einmal trage. Nach einer Pause fügt sie hinzu: "Die Mütter hier, die sind einfach müde." (Frank Herrmann aus Chicago, DER STANDARD, 24.10.2014)