MTV-Legende Ray Cokes hat seine Autobiografie veröffentlicht.

Foto: Schwarzkopf & Schwarzkopf

Wien - In den 90ern war er das Gesicht eines der erfolgreichsten Fernsehsender in Europa: Mit seinen Shows für MTV hat Ray Cokes Musik und Chaos auf die Bildschirme gebracht. Seinen Moderationsstil als unkonventionell zu bezeichnen wäre noch eine Untertreibung. Nun blickt er in seiner Autobiografie zurück: "Wir waren damals Pioniere, niemand hat etwas Ähnliches gemacht."

"Die Leute wollen das Chaos"

"MTV's Most Wanted" und "X-Ray Vision" waren Publikumsmagneten und der Brite Cokes das Sprachrohr einer Generation. "Für uns gab es keine Bezugsquellen. Wir haben das nebenbei gelernt und sind damit durchgekommen", erläuterte Cokes im Gespräch mit der APA in Wien. Der 56-Jährige befindet sich derzeit auf Pressereise für "My Most Wanted Life" und nimmt sich weder im Interview noch im Buch ein Blatt vor den Mund. "Die Leute wollen ja das Chaos, sie wollen Sendungen abseits üblicher Formate, sie wollen überrascht werden."

Mittlerweile versucht Cokes das in Shows, die etwas weiter von seinem ursprünglichen Betätigungsfeld entfernt sind. So ist er etwa seit zwei Staffeln Juror bei "Belgium's Got Talent", obwohl er sich lange dagegen gesträubt habe. "Firmen wie Endemol haben die Welt mit ihren Talent-Shows übernommen und machen viel Geld damit, aber es geht ihnen nicht um die Leute", zeigte er sich kritisch gegenüber Castingformaten. "Die Stars sind dabei die verdammten Juroren. Ich bin auch ein Juror, aber bei einer Familienshow, in der man etwa einen Großvater sieht, der durch die Nase pfeifen kann. Das ist wahnsinnig komisch."

Ehrlichkeit "nicht der richtige Weg zum Ruhm"

Dabei versuche Cokes stets, ehrlich gegenüber den Kandidaten zu sein. "Ich sage ihnen sehr deutlich, dass das nicht der richtige Weg zum Ruhm ist." Sein eigener Erfolg dürfte Anfang der 90er nicht nur ihn, sondern auch die Verantwortlichen von MTV etwas überrumpelt haben. Innerhalb kürzester Zeit wurde "Most Wanted" zu einer der beliebtesten Shows auf dem Musiksender und erreichte bis zu 60 Millionen Zuseher.

"War ich eine Diva, war ich ein Arschloch?"

"Wir lebten damals in einer Blase. In London kannte uns niemand. Erst als wir gereist sind, realisierten wir, dass sich Leute quer durch Europa die Show ansahen und wir eigentlich Stars waren." Für die Autobiografie hat er nun mit ehemaligen Kollegen und Wegbegleitern gesprochen. "Ich wollte ihre Perspektiven, sie sollten ehrlich sein: Wie war es, mit mir zu arbeiten? War ich eine Diva, war ich ein Arschloch?"

Cokes' direkte Art zieht sich durch die knapp 400-seitige, sehr kurzweilige Autobiografie, die mit tiefen Einblicken nicht geizt. Die Idee dazu sei vor knapp drei Jahren entstanden. "Ich dachte mir, dass meine '15 minutes of fame' vorbei sind. Also wollte ich etwas hinterlassen. Mit dem heutigen Fernsehen kann ich mich kaum noch identifizieren, also bot sich dieses Buch an." Die Leser will er "auf eine Zeitreise" mitnehmen. "Außerdem tat es mir gut, über mein Leben nachzudenken und das auf Papier zu bringen. Es war wie eine Therapie."

"Würde nie wieder einen Job bekommen"

Die größte Herausforderung war dabei der Schreibprozess selbst. "Ich wollte keinen Ghostwriter, habe aber noch nie etwas derartiges geschrieben. Das war ganz schön stressig. Außerdem musste ich mich entscheiden: Schreibe ich über alles, was passiert ist? Dann würde ich wohl nie wieder einen Job bekommen", lachte Cokes. "Man muss einfach die richtige Balance finden, was gar nicht so einfach war.

Eine Wiederbelebung seiner Shows im Fernsehen hätte heute jedenfalls kaum Erfolgschancen, glaubt Cokes. Schließlich habe sich die Vermittlung von Musik stärker in Richtung Internet verlagert. "MTV hätte Youtube oder iTunes sein können. Sie hätten nehmen können, was sie hatten, und es ins Internet transferieren." Einerseits seien Senderchefs heute gegenüber Musik sehr skeptisch, andererseits ist er von Online-Umsetzungen ebenso wenig angetan. "Da wird oft dasselbe wie früher im Fernsehen gemacht. Es gibt kaum neue Ideen.

Musik durch Castingformate "entwertet"

Grundsätzlich sei Musik, auch durch Castingformate, "entwertet" worden. "Außerdem hatte Musik früher eine soziale Bedeutung. Es gab Punks, es gab Hippies, es gab viele andere. Aber was haben wir jetzt?" Gerade bei MTV sei oft ein gesellschaftspolitischer Aspekt in die Diskussion gebracht worden, "das haben wir recht subtil gemacht". Er habe die vergangenen Jahre stets für eine Musiksendung gekämpft, "aber das kann man nicht ewig machen". Ein anderer Plan steht wiederum für kommendes Jahr an: Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der letzten Ausgabe von "Most Wanted" denkt er über eine Europatour mit alten Weggefährten nach. "Stellt sich nur die Frage, wie ich das finanzieren soll", grinste Cokes. (APA, 23.10.2014)