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Ein minderjähriger Schuhputzer auf den Straßen von La Paz. Bereits ab einem Boliviano (rund elf Cent) kann man sich in der Großstadt die Schuhe reinigen lassen.

Foto: REUTERS/David Mercado

La Paz / El Alto - Kailash Satyarthi widmet sein Leben dem Kampf gegen Kinderarbeit in seinem Heimatland Indien und weltweit. Für sein Engagement wurde er in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Doch nicht alle der 168 Millionen Kinder, die rund um den Globus arbeiten, wollen gerettet werden. In Bolivien gingen die Gewerkschaften der Arbeiterkinder auf die Straße und ließen sich bei ihrem Marsch auf den Präsidentenpalast in La Paz auch nicht durch das Tränengas der Polizeikräfte abhalten.

"Es hat die Polizisten nicht interessiert, dass dort Kinder und Jugendliche waren", erzählt der 25-jährige Deivid Pacosillo, der bei dem Marsch dabei war. "Danach hat sich die Regierung aber mit unserer Forderung nach legaler Kinderarbeit auseinandergesetzt und zugehört." Das war am 23. Dezember 2013.

Arbeit als Lebensrealität

Deivid arbeitet, seit er ein kleines Kind ist. Für ihn und rund 800.000 andere Minderjährige - das ist jedes vierte Kind - ist Kinderarbeit Lebensrealität in Bolivien. Deivid gründete die erste Organisation für arbeitende Kinder in El Alto, einem Vorort des Regierungssitzes La Paz. Beim Gespräch mit österreichischen Journalisten nimmt er zwischen minderjährigen Mitstreitern Platz.

Zu seiner Linken sitzt die 17-jährige Reyna Ticana, die seit ihrem neunten Geburtstag arbeitet. Dabei durchlief sie die Karriere eines bolivianischen Arbeiterkindes: Kellnerin, Küchenhilfe, Lebensmittelhändlerin und Kindermädchen. Gleichzeitig besuchte das Mädchen die Schule und macht heuer ihren Abschluss. Damit ist sie ein leuchtendes Beispiel für die Argumente der minderjährigen Gewerkschafter.

Für sie ist die Arbeit eine Möglichkeit, die Familie finanziell zu unterstützen und sich selbst eine schulische Ausbildung zu ermöglichen. Das Gesetz, das mittlerweile vom Parlament verabschiedet wurde, senkte das Mindestalter für Kinderarbeit auf zehn Jahre. Gleichzeitig wurden aber auch "Schutzmechanismen" eingezogen. So müssen die Eltern ihre Erlaubnis geben, wenn das Kind noch unter zwölf Jahren ist. Außerdem müssen zwei Stunden während der Arbeitszeit für Lernen reserviert werden, und die Kinder müssen in die Schule gehen. Wie die Kontrolle des Gesetzes funktionieren soll, ist unklar. Landesweit sind 78 Arbeitsinspektoren im Einsatz.

Kritik der NGOs

Jo Becker von Human Rights Watch stellt in einem Kommentar fest, dass legale Kinderarbeit nur kurzfristig die wirtschaftliche Situation der Familie fördert. Auf lange Sicht wären staatliche Unterstützungsprogramme für die Eltern sinnvoller. Solch ein Programm trägt den Namen "Juanciuto Pinto" und fördert Eltern, die ihre Kinder in die Grundschule schicken. Dabei werden Schulbedarf, Uniformen und Transportkosten übernommen.

Für die arbeitenden Kinder in El Alto bringt die neue Rechtslage, die im Kinder- und Jugendschutzgesetz verankert ist, finanzielle Sicherheit. "Wir können jetzt für unseren Lohn kämpfen", sagt Deivid. Dass Bolivien durch das niedrige Mindestalter die Konvention 138 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gebrochen hat, interessiert die jungen Gewerkschafter nicht. "Unsere Bewegung bricht mit der Vision von Erwachsenen", weiß Deivid. "Natürlich wollen wir alle in einer Welt leben, in der Kinderarbeit nicht notwendig ist. Aber dieses Wunderland gibt es nicht."

Der bolivianische Präsident, Evo Morales, zeigte schnell Sympathien für die Bewegung. Betont er doch selbst immer, dass er als Kind Lamas hüten oder Sachen verkaufen musste und er trotzdem Karriere machte. Lars Johansen von der ILO entgegnet aber: "Damit ist Morales die Außnahme der Regel. Arbeitende Kinder bleiben eher in dem Rad der Armut und schlechtbezahlten Jobs gefangen." (Bianca Blei, DER STANDARD, 23.10.2014)