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Viel Zentralbankengeld wird nie in Bargeld umgewandelt. Es versickert in den Bankbilanzen. Im Bild: eine Veranstaltung vom Vorjahr in Bern, die für ein bedingungsloses Grundeinkommen wirbt.

Foto: reuters/balibouse

In der Krise sind die Zentralbanken zum letzten Rettungsanker geworden. Haben sie ihre Arbeit zuvor weitgehend unbeobachtet verrichten können, müssen sie sich seither nicht nur Kritik daran gefallen lassen, dass ihre Medizin nicht wirkt. Auch wem die Flutung der Märkte mit billigem Geld überhaupt nutzen soll, fragen sich viele. Schließlich würden einzig Aktienmärkte boomen und davon nur die Reichen profitieren.

Wer tiefer in die Materie eindringt, stellt aber fest: Es ist alles furchtbar kompliziert. Ob man auf Inflation an sich schaut, ob man niedrige Leitzinsen oder Wertpapierkäufe beurteilt: Die verschiedenen Instrumente einer Notenbank lassen die Ungleichheit gleichzeitig steigen und sinken. Acht Gründe, wieso sich keine einfache Antwort finden lässt:

  • Tunnelblick auf Inflation erhöht Ungleichheit. Wenn Notenbanken nur auf die Inflation schauen, erhöht das tendenziell die Ungleichheit. Die Aufgabe der EZB ist es lediglich, die Preise stabil zu halten. Vor allem linke Ökonomen hätten aber gerne, dass sie sich genauso um Vollbeschäftigung kümmert. Joseph E. Stiglitz kritisiert die EZB für das Fehlen dieses Zieles immer wieder scharf. Aber auch ihr US-Pendant, die Federal Reserve (Fed), bekommt ihr Fett ab. Die Fed hat zwar offiziell das Ziel der Vollbeschäftigung im Statut. Manch Ökonom kritisiert aber, dass sie, sobald die Löhne zu steigen beginnen, die Zinsen anhebt und deshalb dafür mitverantwortlich ist, dass die Einkommen in den USA für viele nicht steigen oder sogar sinken.

  • Inflation selbst erhöht Ungleichheit. Alle großen Volkswirtschaften ticken heute ähnlich. Teil des Systems ist es, dass Geld jedes Jahr ein bisschen weniger wert wird: Wir sind bei der wenig beliebten Inflation. In den USA und der Eurozone soll sie im Jahr etwa zwei Prozent betragen. Das erhöht die Ungleichheit. Menschen mit niedrigem Einkommen haben ihr Geld oft auf dem Sparbuch liegen oder horten es zu Hause. Die Inflation knabbert ihnen also Jahr für Jahr einen Teil ihres Besitzes weg. Wer hingegen größere Vermögen hat, besitzt Immobilien oder legt es in Wertpapiere an. Vom Haus knabbert die Inflation nichts weg, Aktien und Anleihen bringen im Schnitt Erträge, die deutlich über der Teuerungsrate liegen.

  • Inflation senkt Ungleichheit aber auch. Die gewünschten zwei Prozent Inflation sind kein Produkt einer Verschwörung einer kleinen Elite, sondern so etwas wie das Schmieröl für eine Konjunktur, die in Schwierigkeiten steckt. In europäischen Krisenländern sind die Löhne in den Jahren vor der Krise viel zu schnell gestiegen. Ganze Länder litten darunter. Die Erfahrung zeigt aber, dass Löhne nur sehr selten gekürzt werden. Chefs fürchten wohl, die Arbeitsmoral der Arbeiter zu schädigen. Sie reagieren also damit, die Löhne nicht mehr zu erhöhen. Bleibt der Lohn konstant und beträgt die Inflation zwei Prozent, dann sinkt er real um zwei Prozent. So lassen sich Löhne indirekt kürzen, ohne an ihrer Höhe etwas zu reduzieren. Überwindet die Wirtschaft die Krise, profitieren Niedrigverdiener meist am stärksten. Sie verlieren nämlich am schnellsten ihre Jobs und erhalten sie bei besserer Konjunktur zurück.

  • Inflation schützt vor Deflationskrise und senkt dadurch Ungleichheit. Die meisten Mainstream-Ökonomen halten sinkende Preise für gefährlich. Sinkt der Preis eines TV-Geräts, ist das kein Problem. Sinken aber alle Preise gleichzeitig, fürchten die Ökonomen eine Deflationsspirale, die die Volkswirtschaft in die Krise zieht. Gibt keiner mehr sein Geld aus, weil es immer mehr wert wird, verliert die Konjunktur an Schwung. Zuerst werden meist Zeitarbeiter und Niedrigverdiener abgebaut. Durch eine Inflationsrate von zwei Prozent soll das verhindert werden. IWF-Chefökonom Olivier Blanchard und Princeton-Starökonom Paul Krugman halten eine höhere Inflationsrate, etwa von vier Prozent, für sinnvoll. Das soll in Krisenzeiten einen besseren Schutz vor einer Deflationsspirale gewährleisten. Gleichzeitig soll es den Zentralbanken auch mehr Spielraum geben. In einer tiefen Krise braucht es negative Realzinsen, sagen viele Studien. Wenn die Zinsen schon bei null Prozent sind, kann das nur positive Inflation erreichen.

  • Sparer verlieren durch niedrige Leitzinsen kurzfristig, profitieren aber langfristig. Hält eine Wirtschaftskrise lange an, sind auch die Leitzinsen lange niedrig. Kritiker sprechen deswegen immer wieder von einer "Enteignung" der Sparer. Gerade in Österreich sind überdurchschnittlich viele Menschen davon betroffen, weil das Sparbuch trotz seiner geringen Erträge sehr beliebt ist. Langfristig profitieren aber auch Sparer von den niedrigen Leitzinsen. Würde man sie verfrüht erhöhen, würde das die Wirtschaft noch weiter bremsen. Schiebt die Zentralbank durch die niedrigen Zinsen die Konjunktur an, werden auch wieder mehr Kredite aufgenommen. Wollen sich viele Unternehmen und Investoren Geld leihen, steigen die Zinsen wieder. Durch zu hohe Leitzinsen in der Krise könnte dieser Effekt wegfallen.

  • Kreditnehmer gewinnen durch niedrige Zinsen. Wer schon vor längerem einen Kredit aufgenommen und keinen fixen Kreditzins vereinbart hat, spart sich durch niedrigere Leitzinsen Geld. All jene, die sich neue Kredite aufnehmen, wenn die Leitzinsen niedrig sind, gewinnen auch. In den USA senkt das die Ungleichheit, weil hier vor allem ärmere Haushalte verschuldet sind.

  • Wertpapierkäufe erhöhen die Ungleichheit. Die US-Fed tut es schon lange, die EZB hat jetzt damit begonnen: Durch den Aufkauf von Wertpapieren lassen Zentralbanken Aktienmärkte boomen. Wer viele Wertpapiere besitzt, gewinnt an Vermögen. Weil vor allem Reiche Wertpapiere besitzen, profitieren sie am meisten. Die Ungleichheit steigt.

  • Wertpapierkäufe senken die Ungleichheit aber auch. Der Aufkauf von Wertpapieren soll Unternehmens- und Immobilienkredite billiger machen und die Menschen dazu bringen, mehr auszugeben. Schafft die Zentralbank dadurch, die Wirtschaft aus der Krise zu manövrieren, sinkt die Ungleichheit, weil Arbeitslose wieder Jobs finden. Denn kaum etwas erhöht die Ungleichheit so stark wie hohe Arbeitslosenzahlen.

Auch Notenbanker selbst sind sich nicht einig. Yves Mersch, ein Mitglied des EZB-Direktoriums, sagte kürzlich, es gebe keine klaren Beweise, ob die Geldpolitik in normalen Zeiten die Ungleichheit erhöhe oder senke. Vom Aufkauf von Wertpapieren in der Krise würden Reiche aber mehr profitieren.

Anderer Meinung ist der Präsident der Bostoner Fed, Eric Rosengren. Natürlich würden Leute mit Vermögen von Wertpapierkäufen profitieren. Das bestreite auch niemand, sagte er zur "Washington Post". In Summe würde die Ungleichheit durch mehr Jobs und das Absinken des Zinsniveaus aber fallen.

Hinweise auf mehr Ungleichheit

Insgesamt ist es schwierig, zu einem eindeutigen Schluss zu gelangen, ob Reich oder Arm mehr von der Politik der Notenbanken hat. Geringverdiener profitieren von der Inflation und leiden zugleich unter ihr. Von der Steuerung des Auf und Ab der Konjunktur profitieren sie meist am stärksten.

Was die Wertpapierkäufe der vergangenen Jahre betrifft, hängt es schlussendlich davon ab, wie stark die Wirkung auf die Konjunktur ist. Wird sie mächtig angekurbelt, senkt es wohl die gestiegene Ungleichheit wieder. Sonst ist es umgekehrt. In der jüngsten Krise ist wohl Letzteres der Fall. (Andreas Sator, derStandard.at, 24.10.2014)