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Bill Bradlee spricht im April 2011 in der Nixon-Bibliothek im kalifornischen Yorba Linda über seine Rolle beim Sturz des Präsidenten.

Foto: Reuters/Gallardo

Der Tod von Ben Bradlee, dem langjährigen Chefredakteur der "Washington Post", macht viele Journalisten wehmütig. Bradlee war der Chef der Watergate-Aufdecker Bob Woodward und Carl Bernstein. Er gilt als Idealbild des mutigen Zeitungsmenschen, der trotz massiven politischen Drucks hinter seinen Reportern steht und ihnen ermöglicht, eine schmutzige Affäre aufzudecken – und damit den mächtigsten Mann der Welt zu stürzen.

Bradlee war sicherlich ein großartiger Journalist und ein guter Chefredakteur – klug, prinzipientreu und vor allem charismatisch. Aber er war auch in einer Zeit – von 1968 bis 1991 – tätig, als das Zeitungsmachen viel einfacher war als heute.

Zeitung als Gelddruckmaschine

Erstens hatten große Zeitungen damals viel Geld. Werbeeinnahmen stiegen von Jahr zu Jahr, und eine Zeitung wie die "Washington Post" hatte in ihrem Einzugsgebiet praktisch ein Monopol. Sie war eine Art von Gelddruckmaschine.

Und Qualitätszeitungen hatten auch weniger Konkurrenz. Das Besondere an der Watergate-Affäre ist ja nicht, dass hier rastlose Journalisten ein schmutziges Geheimnis aufgedeckt haben, sondern dass der Skandal so offensichtlich war.

"Oh, mein Gott"

Wie Bradlee es selbst in einem Interview beschrieb: Einbrecher werden auf frischer Tat im Wahlkampfbüro der Demokraten erwischt, in einem Notizbuch findet die Polizei bei einem Verhafteten den Namen von Howard Hunt mit Telefonnummer im Weißen Haus, und dieser ruft beim ersten Reporteranruf "Oh, mein Gott!" aus. Beim ersten Gerichtstermin hört Woordward das Wort CIA geflüstert. "Wenn das nicht dein Interesse erweckt, bis du kein Journalist", sagte Bradlee.

Doch kein Medium außer der "Washington Post" war hinter der Geschichte her. Es gab keine Webseiten, Magazine und Fernsehsender recherchierten kaum, die "New York Times" war weit weg, und auch sonst waren politische Skandale damals noch nicht das tägliche Geschäft der Medien. Informanten wie "Deep Throat", dessen Namen neben Woodward und Bernstein nur Bradlee kannte, gab es auch viel weniger.

Alle würden recherchieren

Heute wäre das alles anders. Die Geschichte über den Watergate-Einbruch würde auch über Dutzende Medien, Blogs und Social Media die Runde machen; alle würden recherchieren, schreiben oder auch nur gegen das Weiße Haus polemisieren.

Und wenn nicht, dann hätte es die "Washington Post" heute schwer, zwei Reporter wochenlang für diese eine Story abzustellen, die es offensichtlich nicht bringt.

Bradlee könnte auch heute ein erfolgreicher Chefredakteur sein. Aber 23 Jahre würde er sich wohl kaum halten können.

Schrammen durch "Jimmy's World"

Als ich 1981 als Student in den USA zum regelmäßigen "Post"-Leser wurde, bekamen er und seine Zeitung gerade die ersten Schrammen ab. Janet Cookes Pulitzer-preisgekrönte Reportage "Jimmy's World" erwies sich damals als Fälschung, und in der Reagan-Ära hatten es die "Post" und das zum Konzern gehörende Magazin "Newsweek" mit ihrem linksliberalen Kurs schwer. Die bessere Zeitung war die "New York Times".

Bradlee gab den Chefredakteursposten 1991 ab, gerade als das Internetzeitalter anbrach. Unter seinen Nachfolgern Leonard Downie (bis 2008) und Marcus Brauchli (bis 2012) ging es bei der "Washington Post" allmählich bergab, journalistisch und finanziell. Heute beruht die Hoffnung der "Post" auf dem neuen Eigentümer, Amazon-Gründer Jeff Bezos, der zwar viel Geld hat, aber auch kein Rezept, wie man Tageszeitungen nachhaltig profitabel machen kann.

Sein großartiger Ruf ist Bradlee, der mit 93 starb, gegönnt. Den heutigen Zeitungsmachern kann er wohl als Inspiration, aber leider nicht als Vorbild dienen. (Eric Frey, derStandard.at, 22.10.2014)